Warum Fachleute ein Handyverbot für Kinder ablehnen
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Ein Junge und ein Mädchen sitzen mit Handys auf einem Sofa (Symbolbild).
© Quelle: picture alliance / Westend61
Ist es ratsam, Kindern und Jugendlichen in einer digitalisierten Welt das Smartphone zu verbieten? Die Schulleiterin und Buchautorin Silke Müller forderte im Interview mit dem RedaktionsNetzwerk Deutschland genau das: ein Handyverbot bis zum 16. Lebensjahr.
Gewalt, Missbrauch, Rassismus – von früh auf würden Kinder auf verstörende Inhalte im Netz stoßen, Müller spricht von digitalen Bedrohungen. Kindern schon im Grundschulalter ein Handy mit Internetzugang zur Verfügung zu stellen sei ein „gesellschaftlich folgenschwerer Fehler“ gewesen, sagte Müller dem RND. „Wenn wir ein Smartphoneverbot durchsetzen könnten, wäre das aus meiner Sicht ein erster großer Schritt in Richtung Heilung.“
Umsetzbarkeit eines Smartphoneverbots
Experten reagieren allerdings kritisch auf den Vorstoß: „Das kann nicht funktionieren“, sagt Joachim Türk. Er ist Experte für Kinder- und Jugendmedienschutz beim Kinderschutzbund. „Wenn wir Smartphones verbieten, müssten wir auch Tablets, Laptops, Fernseher, Gamecontroller, und Smartwatches verbieten“, sagt er. „Wir sind vom Netz umzingelt und wir können unsere Kinder nicht davon fernhalten.“ Und selbst Müller, die das Verbot forderte, würde Türk in puncto Umsetzbarkeit wohl zustimmen: Sie bewertet ihre Forderung nach einem generellen Verbot als „vollkommen illusorisch“.
Türk lehnt eine Verbotsforderung aber nicht nur deswegen ab. „Kinder müssen – im Gegenteil – in dieser Welt, die immer digitaler wird, kompetent im Umgang mit Handys und dem Internet werden“, sagt er. Eltern seien in der Pflicht, zu entscheiden, ob ihr Kind bereit ist für ein Handy. Das hänge nicht nur vom Alter ab, sondern von vielen Faktoren. Orientierungspunkte finden Eltern zum Beispiel bei der EU-Initiative „Klicksafe“, die sich für den Schutz von Kindern im Internet einsetzt. „Eltern sind die Experten für ihr Kind. Sie wissen, was sie ihm zutrauen können. Eine gesetzliche Lösung in Form eines Mindestalters ist nicht die richtige Lösung“, sagt Türk dem RND.
Handyverbot verhindert Medienkompetenz
„Wir würden Kindern der Möglichkeit berauben, Medienkompetenz zu erlernen“, pflichtet ihm Robert de Lubomirz-Treter bei. Er ist Leiter der Onlineberatungsplattform „Zebra“ rund um digitale Fragen und arbeitet eng mit „Klicksafe“ zusammen. „Aus der fehlenden Medienkompetenz mancher Eltern entsteht ein Ohnmachtsgefühl, das wiederum zu Verboten führt“, sagt de Lubomirz-Treter.
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Schulleiterin Silke Müller machte im Gespräch mit dem ZDF-Moderator Markus Lanz deutlich, welchen schlimmen Inhalten viele Kinder im Netz ausgesetzt sind.
© Quelle: ZDF / Markus Hertrich
Deshalb sei es so wichtig, Erwachsene und Kinder darin zu schulen – zum Beispiel mithilfe von Weiterbildungen und Präventionsprojekten. Ein interessanter Ansatz sei die Ausbildung von Jugendlichen zu Medienscouts, die Gleichaltrige in ihrer Medienkompetenz schulen, so de Lubomirz-Treter. „Jugendliche sollten in die Debatte einbezogen werden“, sagt er.
Joachim Türk sieht das ähnlich und nimmt dabei die Regierung in die Verantwortung: „Der Staat muss in Medienkompetenzförderung investieren – von der Kita an. Wir haben einen Riesennachholbedarf. Das Wissen fehlt und die Entwicklung rast.“
Gefahren eines Smartphoneverbots mit 16
Robert de Lubomirz-Treter sieht auch eine Gefahr in dem Verbot: „Kinder würden trotzdem Smartphones nutzen oder andere Wege ins Internet finden.“ Ihre Aktivität würde im Verborgenen weitergehen. „Das würde durch ein Verbot unkontrollierter und die Kinder würden sich möglicherweise nicht mehr trauen, mit Eltern oder Lehrkräften über ihre Erfahrungen zu sprechen.“ Dabei seien gerade diese Gespräche sehr wichtig für die Sicherheit und das Wohlbefinden von Kindern im Netz. „Wir fordern Eltern auf, mit ihren Kindern ins Gespräch zu gehen“, argumentiert er gegen ein Smartphoneverbot.
„Es gibt andere Maßnahmen und Gesetze, die Kinder im Netz schützen sollen“, sagt er. Pornografische oder gewaltvolle Inhalte sind schon jetzt auf sozialen Plattformen nicht erlaubt und müssen entfernt werden. „Die Verantwortung für die Inhalte liegt bei den Anbietern, nicht nur bei den Nutzern“, so de Lubomirz-Treter.
Derzeit wird darüber hinaus eine Änderung im Jugendmedienschutzstaatsvertrag der Länder diskutiert. Diese würde eine verpflichtende und leichte Einstellung des Kindermodus im Betriebssystem von Smartphones vorsehen. Im Kindermodus werden bestimmte Apps und Inhalte sowie der Internetzugang reguliert.
Autorin und Schulleiterin Silke Müller fordert Verbot
Silke Müller ist das angesichts der aktuellen Situation an Schulen und im Klassenchat ihrer Schülerinnen und Schüler nicht genug. Zwar sieht sie auch Positives in digitalen Medien und Plattformen wie Tiktok, doch überwiegen für sie die Risiken. „Wir hinken immer hinter den Gefahren hinterher und kriegen sie einfach nicht unter Kontrolle.“ Robert de Lubomirz-Treter gibt ihr in dem Punkt recht: „Die Umsetzung der Regulierung ist aber mühsam. Hier gibt es Defizite.“
Kinderschützer: Komplettschutz im Internet gibt es nicht
Neben der staatlichen Regulierung gebe es auch viele technische Möglichkeiten, Kinder im Internet zu schützen, sagt Joachim Türk. Dazu gehören der Kindermodus von Apple- und Android-Handys, aber auch Software, die Eltern auf den Handys ihrer Kinder installieren können. Klar sei aber: „Wir können Kinder nicht komplett schützen. Einen Komplettschutz gibt es nicht.“ Das sei wie beim Fahrradfahren, so Türk: „Stürze sind möglich und trotzdem verbieten wir Kindern nicht das Fahrradfahren. Wir müssen sie auf die Möglichkeit vorbereiten, dass sie im Netz mit nicht kinderfreien Inhalten in Berührung kommen.“ Über Fragen wie die folgenden sollten Erwachsene mit ihren Kindern sprechen: Welche Inhalte sind illegal und wie gehe ich damit um? Was für Inhalte kann ich verschicken und welche nicht?
„Es gibt keine einfache Lösung für ein gesellschaftliches Problem“, so Türk. Auch wenn Gewalt, Hass, Sexismus und Rassismus im Internet über soziale Medien schneller an viele Kinder gelangen, seien diese Medien nicht verantwortlich für ihre Existenz. Es seien gesellschaftliche Phänomene, die sowohl in der virtuellen als auch in der restlichen Welt ihren Ausdruck fänden und denen daher auch auf beiden Ebenen begegnet werden sollte.