„Die größte Abrissparty der Digitalgeschichte“
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Zerstört Elon Musk Twitter komplett?
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Imre, weißt du, was Du am 9. Dezember 2011 gemacht hast?
Imre Grimm: Ich nehme an, da habe ich mich bei Twitter angemeldet, richtig?
Du hast an dem Tag auf jeden Fall zum ersten Mal getwittert.
Imre Grimm: Und damals kam ich mir schon vor wie ein Späteinsteiger, weil ein Kollege schon fünf Jahre vorher gesagt hatte: „Twitter, das ist ein cooles Ding.“ Da hatte ich noch geantwortet, dass das überhaupt nichts für mich ist. Was soll ich denn damit? Das wird nicht die Zukunft sein.
Weißt du auch noch, was du als Erstes getwittert hast?
Imre Grimm: Ich fürchte, viel mehr als „Hallo, Welt“ wird es nicht gewesen sein.
Hätte ich auch gedacht. Aber du bist direkt klassisch imremäßig eingestiegen: „Der Weihnachtsstern ist der #davidgarrett unter den topfpflanzen. #blingbling“.
Imre Grimm: Das ist ja direkt mal ein Gag! Jedenfalls ein halber. Und wie viele Favs? Wahrscheinlich null.
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Ja, keine Reaktionen. Das war ähnlich auch bei Markus am 13. März 2014: „Zurück auf Los!“ Dazu ein Link, in dem es heißt: „Wagenknecht stellt sich hinter Moskau“.
Imre Grimm: Manche Dinge ändern sich nie.
Markus Decker: Echt? Wahnsinn. Das berührt eine zentrale Erfahrung als Korrespondent in Berlin. Dass sich manche Dinge einfach wahnsinnig im Kreis drehen. Dieser Tweet ist ein Beleg dafür. Der ist aktueller denn je.
Imre Grimm: Ich möchte anmerken, dass mein Tweet zu David Garrett auch immer noch Bestand hat.
Um David Garrett ist es allerdings ein bisschen ruhig geworden.
Imre Grimm: Auch um den Weihnachtsstern, ehrlicherweise.
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Die RND-Redakteure Imre Grimm (links) und Markus Decker neben Twitter-Chef Elon Musk (rechts).
© Quelle: dpa/Karl-Josef Hildenbrand/Patrick Pleul/Montage:RND/scs
Markus, alles dreht sich im Kreis. Trotzdem rund 38.000 Tweets auf Deinem Account @BerlinerNotizen. Wie konnte das passieren?
Markus Decker: Das ist einerseits ein bisschen verrückt und andererseits ist es sozusagen irgendwie ein Beleg dafür, wie sehr bestimmte Dinge in mir arbeiten und bestimmte Themen in mir arbeiten, bestimmte Gefühle in mir arbeiten und wie oft ich dem dann irgendwie Ausdruck verleihe. 38.000 ist natürlich viel zu viel, auch wenn zahlreiche Retweets darunter sind. Ich habe mir auch nie große Mühe gegeben, Sachen zu löschen, damit die Zahl weniger monströs erscheint.
Imre Grimm: Das Tweet-Follower-Verhältnis ist ja eine ziemlich harte Währung. Und ich hatte früher den Anspruch, immer nur so viele Tweets abgesetzt zu haben, wie ich auch Follower habe. Das ließ sich dann aber leider nicht halten.
Markus Decker: Je mehr ich getwittert habe, desto mehr Follower hatte ich dann eben auch. Man muss schon aktiv sein, um auf eine bestimmte Zahl an Followern zu kommen, auch wenn das nie ein strategisches Ziel war. Aber man merkt mit der Zeit, was aus eigenen Twitter-Aktivitäten folgt. Im Guten wie im Schlechten.
Imre Grimm: Empfindest du noch Freude, wenn die Followerkurve deutlich ansteigt? Gibt dir das immer noch so einen Dopaminkick?
Markus Decker: Es hat mir nur einen Kick gegeben, wenn es binnen kurzer Zeit sehr viel mehr wurde. Wenn ich auf einen Tweet 500 neue Follower hatte. Oder manchmal auch 1000.
Kannst du dich an einen bestimmten Tweet erinnern, bei dem das so war?
Markus Decker: Als ich mal aufgelistet habe, wie viele HSV-Trainer es während der Kanzlerschaft von Angela Merkel gegeben hat, hat das sehr viele Reaktionen ausgelöst. Meistens war es eine Kombination aus allgemeiner Stimmungslage, aber gut auf den Punkt gebracht. Das ist so wie beim Surfen: Man erwischt eine Welle optimal und dann trägt es einen sehr weit. Manchmal kommt ein Tweet zu früh, manchmal kommt er zu spät. Aber richtig scharf bin ich darauf nicht mehr.
Imre Grimm: Ich vergesse Tweets im Moment ihres Absendens. Das ist ja gerade Bestandteil des Systems. Wenn ich etwas getwittert habe, ist es weg. Und dann kann ich mich auch nicht mehr daran erinnern, ob das jetzt besonders clever war oder besonders folgenreich oder ob ich da jetzt den Zeitgeist ganz genau eingefangen habe oder nicht. Ich habe es dann einfach schlicht vergessen.
Alles weg?
Imre Grimm: Ich könnte dir nicht wirklich einen Tweet sagen von mir, der irgendwie Kreise gezogen hat. Das gab es. Ich habe mal 5000 Favs gekriegt. Das war das Highlight. Ich weiß aber echt nicht mehr, wieso. Ich weiß noch, dass ich einmal Ärger hatte mit der AfD. Damals hat mich Frau Petry ihren Jüngern zum Fraß vorgeworfen. Und jetzt weiß ich wieder: Es ging um das Attentat vom Breitscheidplatz. Und es gab wirklich einen veritablen Shitstorm. Ich sage es jetzt nicht wörtlich, aber ich habe zu emotionaler Abrüstung aufgerufen. Offensichtlich kam dieser Aufruf zu früh, der Zorn war noch zu groß, und das habe ich auch direkt zu spüren bekommen. Also shitstormgestählt zu sein gehört bei diesem Spiel dazu.
Markus Decker: Ja, das ist so. Ich hatte einmal einen Shitstorm, sodass ich wirklich Angst bekommen habe. Das dauerte ein ganzes Wochenende, und ich hatte dann auch mit Leuten aus der rechten Szene zu tun. Auch mit Leuten aus der medialen rechten Szene – ich will da keine Namen nennen –, die mich dann auch ihren Followern zum Fraß vorgeworfen haben. Wenn man dann pro Stunde 200 Tweets kassiert, in denen man negativ konnotiert auftaucht, und das nimmt dann über zwei, drei Tage kein Ende, dann ist das eine sehr unangenehme Erfahrung. Dieses Wochenende werde ich nicht vergessen.
Imre Grimm: Diese ganze Leichtigkeit und spielerische Eleganz der ersten Twitter-Jahre, jedenfalls meiner ersten Twitter-Jahre, die ist vergangen. Das ist wirklich ein ganz anderes Medium geworden innerhalb von ein paar Jahren. Und so richtig zog das an 2015. Davor war es oft auch einfach ein Spiel mit der Sprache, ein Spiel mit Gedanken, auch eine deutlich freundlichere Auseinandersetzung. Klar, es gab immer schon die Siff-Ecken, in denen ein ekliger Stil herrschte. Aber das grundsätzliche Verständnis von Twitter war doch eher das eines Gesellschaftsspiels, das auch ein bisschen Cleverness ausstrahlt und Freude. Du musst so was moderieren. Die am besten funktionierenden sozialen Netzwerke sind eben nicht die, die nicht moderiert werden. Es ist ein Trugschluss zu glauben, dass man einfach alle Schranken aufheben kann und dann eine freie, liberale, freundliche Gesellschaft bei Twitter entsteht. Das ist einfach falsch. Das erleben wir zwei andauernd. Und es ist mit den Jahren immer härter geworden, immer gnadenloser und auch immer mehr schwarz-weiß.
Elon Musk will als Twitter-Chef zurücktreten – unter einer Bedingung
Elon Musk will als Twitter-Chef zurücktreten – allerdings erst, wenn ein Nachfolger gefunden ist.
© Quelle: dpa
Markus Decker: Ja, und die Sachen wiederholen sich eben auch. Da stehen sich grob gesagt das eher linksliberale und das eher rechtsliberale Lager gegenüber und hauen sich eigentlich die immer selben Sachen um die Ohren. Man ermüdet auch an sich selbst, wenn man da immer mitmacht.
Imre Grimm: Ich habe Phasen, dann geht mir das wochenlang nur auf den Nerv und ich umkreise Twitter weiträumig, weil ich keinen Bock habe auf diese grüne Wolke, die dann aus meinem Laptop suppt und mich vergiftet. Und dann ist es mal wieder so, dass ich einige Tage so dermaßen intensiv dieses Ding nutze, dass ich vor mir selbst erschrecke und sage: Was ist jetzt passiert? Was tust du jetzt wieder? Wie nutzt du gerade deine Zeit oder missbrauchst du deine Zeit? Im Moment bin ich twitterfaul. Das hat auch damit zu tun, dass keiner weiß, wohin sich Twitter entwickelt.
Wenn ich Markus richtig verstanden habe, dann ist er komplett auf dem Absprung, oder?
Markus Decker: Ja, ich habe jetzt meinen Abschied zu Weihnachten angekündigt.
Imre Grimm: Oha. Willst du das durchziehen?
Markus Decker: Ja, ich habe das auch deswegen angekündigt, damit andere mich darauf festnageln können. Damit ich nicht mehr zurückkann. Musk ist einfach niemand, in dessen Gesellschaft ich mich noch gern aufhalten möchte. Und es ist vielleicht auch der Zeitpunkt, um zu sagen, es gibt sowieso so viele negative Seiten an Twitter, dass man am besten gleich ganz aufhört und es bei Mastodon noch mal neu versucht.
Imre Grimm: Musk tut wirklich alles dafür, diesem Ruf als erratischer Zerstörer gerecht zu werden. Ich habe immer das Bild eines Clowns vor Augen, der auf einem Geburtstag von Sechsjährigen in der Ecke sitzt. Um 18.30 Uhr, kurz bevor die völlig überzuckerten Kinder abgeholt werden, zischt der irre lachend ein Bierchen und bewundert die Zerstörung, die er selbst angerichtet hat. Ich werde aber trotzdem noch bleiben. Ich bin auch Katastrophentourist. Ich will dann auch lustvoll in den Untergang mitmarschieren und einfach wissen, was dort passiert. Daran habe ich eine diebische Freude. Die überwiegt bei Weitem die Wehmut. Aber man spürt es schon: Die Rechten haben Oberwasser. Und es ist oft so, dass auf dieser Seite des politischen Spektrums Meinungsfreiheit damit verwechselt wird, seine Meinung ohne Widerworte sagen zu dürfen. Und das ist natürlich ein Irrtum.
Musk erliegt diesem Irrtum auch.
Imre Grimm: Man darf seine Meinung sehr gern sagen, aber man muss immer mit Gegenwind rechnen, und das ist nicht gleich Zensur oder ein Eingriff, sondern es ist einfach eine andere Meinung. Meinungsfreiheit heißt ja nicht Widerspruchslosigkeit, und die Leute, die das glauben, werden bei Twitter wieder aktiver, seit Musk die Sache übernommen hat.
Markus Decker: Abgesehen davon ist Twitter nicht isoliert zu sehen, sondern ist Symptom gesellschaftlicher und politischer Entwicklungen, die wir weltweit beobachten. Ich meine einen gewissen Neoautoritarismus in Gesellschaften und in Staaten. Wenn Twitter ein isoliertes Phänomen wäre und wir hätten noch die gemütlichen Siebziger- oder Achtzigerjahre, dann könnte man sagen, lasst doch den Musk machen und wir schauen uns das amüsiert an.
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Hauptstadt-Radar
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Imre Grimm: Es ist ein Wahnsinn, dass wir sehenden Auges einem Milliardär mit massiven ökonomischen Eigeninteressen die Rolle des Retters der öffentlichen freien Rede zugestehen – zumindest einige von uns. Auch seine eigene Behauptung, er würde dem demokratischen Grundgedanken ein neues Fundament geben, ist ein solcher Blödsinn. Da geht’s um Geld, und das ist ja auch relativ schnell klar geworden mit seinem lustigen Vorschlag, sich die persönliche Eitelkeit jeden Monat 8 Dollar kosten zu lassen. Ich habe das Gefühl, Milliardäre kriegen früher oder später so ein Gottesgen. Da wird dann nach abgeschlossener Vermögensbildung ein ideologischer Überbau erzeugt, bei dem es dann um das große Ganze geht. Bei dem es dann um Sinn geht und Freiheit und Demokratie und Grundwerte. Und Musk wäre auch gern ein Visionär dieser Art. Aber er ist sicherlich kein Kämpfer, keine Jeanne d’Arc der Redefreiheit oder so. Das ist ein solcher Unfug. Ich fühle mich, wenn ich weiter twittere, auch ein bisschen als Kollaborateur dieses Wahnsinns. Und natürlich nützt das am Ende auch einem solchen Mann. Andererseits bin ich so ein kleiner, niedlicher Spaßaccount, der jetzt auch keinem irgendwie wehtut. Und ob ich nun bei Twitter bin oder nicht, davon wird die Welt nicht zugrunde gehen oder gerettet.
Das ist auch ein Verlust für die Plattform, wenn die Vernünftigen wie Markus die Segel streichen, oder?
Imre Grimm: Ich finde, das ist ein totaler Verlust, wenn Markus aufhört. Gerade, weil solche Accounts die Sache am Laufen halten. Und es ist absurd, denjenigen, die den Content erstellen, dann auch noch Geld abzuknöpfen. Aber ich habe so das Gefühl – das klingt so nach FDP –, aber ich glaube, das regelt der Markt. Wenn Twitter nicht mehr funktioniert, wird jemand eine funktionierende Alternative programmieren. Mastodon ist für mich ein fröhliches, nerdiges Chaos, in dem ich mich im Moment noch nicht zurechtfinde. Aber ich bin sicher, früher oder später wird es eine simple, coole, lässige Alternative geben, auf der wir uns dann alle wiederfinden und weinend in den Armen liegen.
Für jemanden, der nicht auf Mastodon ist: Wie ist es da?
Imre Grimm: Mastodon ist schwergängig und kompliziert. Man muss sich wegen der Dezentralität für einen Server entscheiden. Es ist nicht leicht, seine Favoriten von Twitter zu übertragen. Es gibt inzwischen Tools, die dafür geschrieben wurden, aber es ist nicht selbsterklärend. Und diese Einfachheit ist ja immer der Reiz von Twitter gewesen.
Markus Decker: Mastodon ist auch ein bisschen langsam in der Anwendung. Man sieht auch Kommentare auf Tweets nicht auf Anhieb. Die Benutzerfreundlichkeit und die Attraktivität können mit Twitter nicht mithalten. Ich hoffe darauf, dass sich das entweder verbessert oder dass ich irgendwann eine andere Plattform finde, die technisch das Twitter-Niveau hat und dabei einfach ein bisschen menschenfreundlicher ist. Und ich verstehe auch nicht so ganz, warum es das bisher nicht gibt.
Imre Grimm: Twitter verdient kein Geld, warum soll ich dann Twitter nachbauen? Ich habe das Gefühl, Mastodon verhält sich zu Twitter wie Linux zu Windows. Wahrscheinlich mache ich mir jetzt wahnsinnig viele Feinde und alle möglichen Leute sagen, Linux ist total toll. Und wenn du ein neues Twitter etablieren möchtest, muss man ein solches Medium moderieren. Es hat nichts mit Zensur oder staatlichem Eingriff oder Bevormundung zu tun, wenn man dort darauf achtet, die niedrigsten Common-Sense-Regeln für menschliches Miteinander durchzusetzen.
Markus Decker: Ich finde den Gedanken, dass man als Nutzer eines digitalen Netzwerkes – um das Wort sozial zu vermeiden – etwas zahlt, gar nicht so abwegig. Ich meine den Vorschlag von Musk, für den blauen Haken ein Abo abzuschließen.
Imre Grimm: Wenn ich wüsste, dass ich für das Geld dann auch eine vernünftige Moderation kriege, wenn ich mich darauf verlassen kann, dass man bei Hinweisen auch tatsächlich eine Antwort bekommt, und wenn damit auch eine funktionierende Infrastruktur innerhalb des Netzwerks geschaffen würde, dann wäre ich auch bereit zu zahlen.
Markus Decker: Es würde vielleicht auch der Onlinegratismentalität etwas entgegenwirken. Qualitative Onlineangebote gibt es eben nicht umsonst. Und wenn Leute wie Musk versuchen, das Geld anderweitig zu erwirtschaften, dann sieht man eben, was dabei herauskommt.
Imre Grimm: Mein Eindruck ist, er hat überhaupt keine Idee.
Markus Decker: Nein.
Imre Grimm: Die Musk-Fanboys behaupten ja immer, er hätte einen klaren Plan. Aber ich glaube, in Wahrheit hat er keinen Plan. Er zeigt mit dem, was er schreibt und tut, dass er schwimmt, dass er massiv schwimmt. Das ist ja genau das, was die ganze Werbekundschaft und auch die Nutzer abschreckt. Dass niemand sagen kann, was der mit dem Ding vorhat. Und ich glaube, nicht einmal er selbst.
Markus Decker: Das Ganze hat auch eine politische Dimension: All diese Plattformen kommen aus den USA. In Europa haben wir dem nichts entgegenzusetzen. Und es wäre eigentlich an der Zeit, dass es in Europa mal ein paar Leute gibt, die Alternativen entwickeln, die technisch anspruchsvoll sind und gleichzeitig einfach zu bedienen und die eben auch demokratischen Standards gehorchen. Plattformen, auf denen ein durchaus kontroverser, aber eben demokratischer Austausch stattfindet – ohne Hass und Beleidigungen.
Imre Grimm: Das ist wahnsinnig teuer, wie willst du es finanzieren? Du kannst es mit Werbung finanzieren und du kannst es mit Abo finanzieren. Das sind die beiden Mittel, die du hast. Werbung ist ein ganz schmaler Grat, wann und wie lange Nutzer bereit sind, sie auszuhalten. Und ehrlich gesagt weiß ich auch nicht, wie viele Leute bereit sind, zur Befriedigung ihrer Eitelkeit mehrere Euro im Monat zu zahlen.
Markus Decker: Ich kenne Hunderte, die bereit wären zu zahlen.
Imre Grimm: Aber Hunderte werden nicht reichen, Markus. Millionen müssten es sein.
Markus Decker: Schon klar. Aber zur Befriedigung ihrer Eitelkeit würden schon einige was zahlen.
Imre Grimm: Musk hat ja Erfahrung damit, indem er zum Beispiel Teslas überteuert verkauft, was ja auch nichts anderes ist als ein Statussymbol.
Stichwort: Eitelkeit. Auf Mastadon habt ihr wahrscheinlich noch nicht so viele Follower, oder?
Markus Decker: Jetzt muss ich überlegen. Aber ich bin jetzt so bei 500. Es kommt im Moment jeden Tag ungefähr einer dazu. Also bis ich auf 17.000 bin wie jetzt auf Twitter, dafür muss ich lange stricken. Aber wir werden sehen.
Imre Grimm: Ich habe die Mastodon-App auf meinem Handy wieder gelöscht. Ich habe den Account, damit der Name reserviert ist, und hatte dann 17 Follower. Und ich habe dann entschieden, dass ich das erst mal nicht mache. Man mag mir gern Bescheid geben, wenn Mastodon ähnlich schnittig funktioniert wie Twitter früher. Bis das so weit ist, nehme ich noch nicht teil. Ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich habe bestimmt seit der Musk-Übernahme 15 Prozent meiner Follower verloren. Die sind einfach weg. Mein persönlicher Eindruck ist, dass das die größte Abrissparty der Digitalgeschichte ist.
Markus Decker: Den Eindruck habe ich auch. Ich habe auch viele Follower verloren. Mein Eindruck ist auch, dass Musk nicht weiß, was er eigentlich gekauft hat. Ich habe neulich ein Interview mit Joe Kaeser gelesen, der über sein persönliches Verhältnis mit Musk geplaudert hat. Da kam doch sehr deutlich heraus, dass Musk, sagen wir mal, schwierig ist. Um es noch irgendwie freundlich auszudrücken.
Imre Grimm: Das ist der Punkt. Ich möchte nicht, dass die globale Kommunikationsinfrastruktur in den Händen „schwieriger“ Milliardäre ruht. Ich möchte auch nicht, dass Musk mit Tim Cook um den See in der Apple-Zentrale in Cupertino wandert und dort im Zwiegespräch klärt, ob Twitter weiterhin bei ihm im App-Store vertreten ist oder nicht. Ich möchte nicht, dass Sie das untereinander klären, wie Millionen Menschen sich miteinander verhalten. Da liegt die Verantwortung in den falschen Händen, ob das China ist als Staat oder Musk als Milliardär. Das macht es mir schwer, auf Twitter zu bleiben, aber mein Leidensdruck ist noch nicht so hoch, dass ich sagen würde „Auf Wiedersehen“. Aber es gibt schon Leute, die ich bei Twitter vermisse. Das ist wie so ein langjähriger WG-Mitbewohner, der auf einmal nach Freiburg gezogen ist. Und Freiburg ist jetzt sozusagen Mastodon.
Wer sind die Leute, die du vermisst?
Imre Grimm: Igor Levit vermisse ich zum Beispiel. Er ist schon ein wichtiger gesellschaftlicher Seismograf für mich. Da geht es um echte Kommunikation und echtes Reinhören in die Welt. Und wenn dieses Bild jetzt unvollständiger wird und flacher und schwarz-weißer und weniger bunt, ist das sehr, sehr schade.
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Was wird man an Markus’ Account @BerlinerNotizen vermissen, wenn er nach Weihnachten nach Freiburg umgezogen ist?
Imre Grimm: Also, ich habe die Hoffnung, dass ich die Handynummer und die Mailadresse von Markus auch weiter haben werde. Ehrliche Antwort. Ich bin mal gespannt, ob er seine Ankündigung wirklich umsetzt. Ich hab so eine 20-prozentige Hoffnung, dass das nicht der Fall ist.
Markus Decker: Ich habe das extra angekündigt, damit man mich daran misst, und habe mich selbst unter Zugzwang gesetzt, weil ich mir diese 20-Prozent-Chance verbauen wollte. Es kann natürlich sein, dass ich nach zwei Monaten mit einem neuen Account zurückkehre und bei null wieder anfange. Ich habe jedenfalls die Entscheidung getroffen und werde sie auch in die Tat umsetzen. Dann muss man aber sehen, wie das Leben weitergeht. Mein Gefühl ist jedenfalls auch, dass das mit Musk nicht so weitergehen kann. Entweder ruiniert er den Laden tatsächlich vollständig und schmeißt ihn dann vielleicht auch wieder weg. So oder so wird er etwas aus Twitter machen, auf das dann auch viele andere Leute keinen Bock haben.
Imre Grimm: Das geht mir ganz genau so und deshalb bleibe ich da sozusagen als Chronist des Elends. Und wenn ich am Ende der Letzte bin, der da einsam ist, in den Sonnenuntergang reitet, dann soll es mir auch recht sein. Ich gucke es mir an bis zum bitteren Ende.