Akustikingenieur: „Wie Elektroautos künftig klingen, werden unsere Kinder entscheiden“
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Ein Hauch von Science Fiction: So klingen E-Autos.
© Quelle: RND-Montage Patan
„Generationen von Akustikingenieuren sind darauf gedrillt, Autos leiser zu machen. Jetzt müssen wir sie lauter machen“, sagt Stefan Sentpali. „Das ist ein bisschen ungewohnt.“ Sentpali ist Professor für Akustik und Dynamik der Fahrzeugtechnik an der Hochschule München.
Spätestens seit dem 1. Juli 2021 muss er seinen Studierenden beibringen, was lange undenkbar war: wie man Autos eine Stimme gibt. Seit dem Tag gibt nämlich eine EU-Verordnung vor: In neuen Elektro- und Hybridfahrzeugen müssen akustische Fahrzeugwarnsysteme (Acoustic Vehicle Alerting Systems, kurz Avas) eingebaut sein. In den USA ist das schon seit 2020 bei Neuwagen Pflicht.
Denn einer der Vorteile von E-Autos – ihr leiser Motor – ist gleichzeitig auch ihr großes Manko: Fußgängerinnen, Fußgänger und Radfahrende wurden nicht ausreichend akustisch vor einem E-Auto gewarnt, Unfälle waren die Folge. Wer blind ist oder schlecht sieht, wurde des Öfteren von einem E-Auto überrascht, beklagten etwa Blindenverbände.
EU-Verordnung zu Warngeräuschen von E-Autos
Gemäß der EU-Verordnung Nr. 540/2014 müssen E-Autos in Deutschland bei Geschwindigkeiten bis zu 20 km/h warnende Geräusche machen – auch wenn das Auto rückwärts fährt. Die Lautstärke des Avas-Geräusches muss dabei mindestens 56 Dezibel entsprechen und darf nicht lauter als 75 Dezibel sein. Per Lautsprecher transportiert das Avas das künstliche E-Auto-Geräusch nach außen. Ab einer Geschwindigkeit von 20 bis 30 km/h dominiert das Abrollgeräusch der Reifen auf der Fahrbahn und das Avas-System kann ausgeschaltet werden.
„Nicht laut, sondern schön“
Warnen soll das Geräusch Fußgängerinnen, Fußgänger und Fahrradfahrende davor, dass „sich ein Straßenfahrzeug nähert, sich in der Nähe befindet oder sich entfernt“ – nicht vorgegeben ist jedoch, wie genau die Autos dabei klingen sollen. Was erst mal nach einer kreativen Aufgabe klingt, ist aber gar nicht so einfach umzusetzen. „Nicht laut, sondern authentisch schön“, so beschreibt Sentpali die Gratwanderung, die Akustikingenieure und -ingenieurinnen gehen müssen, wenn sie die Sounds von E-Autos entwickeln. Sie sollen schließlich nicht klingen wie ein Müllauto, das gerade rückwärts fährt, sondern den „Sound of Silence“ kreieren.
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Denn stören soll das Avas im Innenraum nicht. Für manche Kundinnen und Kunden ist der Umstand, dass man im Fahrzeuginnern eines E-Autos bei niedriger Geschwindigkeit kaum etwas hört, ein Kaufargument. Bei höheren Geschwindigkeiten nehmen Wind- und Rollgeräusche der Reifen dann eh überhand – das ist auch bei Verbrennungsmotoren so.
Und noch etwas gilt es laut Sentpali zu beachten: „Es gibt Hörmuster, die wir von Kindesbeinen an erlernt haben.“ Wie Geräusche klingen müssen, damit sie bei Menschen eine bestimmte Reaktion auslösen, sei nämlich Teil unserer Sozialisation. Den Klang einer schweren Tür, die ins Schloss fällt, verbinden viele Menschen etwa mit dem Gefühl von Sicherheit. Das soll auch bei Autotüren entstehen, sodass teilweise mit ein paar Tricks der Ingenieurakustik nachgeholfen wird. Geräusche haben eine Signalwirkung, sagt Sentpali: „Wir reagieren auf Gefahren, weil wir warnend klingende Geräusche wahrnehmen.“
Neue Produkte mit altem Klang?
Aber keiner weiß so ganz, welchen Klang Menschen sich bei einem E-Auto vorstellen. „Man erwartet schon etwas Neues, aber keiner kann Ihnen sagen, wie das klingen soll, weil es keine Vorgänger gibt“, sagt Sentpali. Einem neuen Produkt einen alten Klang zu geben, sei nicht authentisch, meinen manche Sounddesigner und -designerinnen. Und Authentizität ist bei Geräuschen sehr wichtig. Sentpali sagt: Solange wir noch Verbrennungs- und Elektromotoren auf den Straßen haben, ist es sinnvoll, an das erlernte Hörmuster eines Verbrennungsmotors anzuschließen und ein ähnliches Geräusch – zum Beispiel mit höherer Tonlage – für E-Autos künstlich zu erzeugen.
Zudem sei Deutschland eh ein Land, in dem Menschen recht konservative Erwartungen an Geräusche von Fahrzeugen haben und sich Hörmuster fest verankert haben. „Das Thema ist hoch emotional“, sagt Sentpali. „Die Generation, die jetzt Autos kauft, will das Original.“
Unternehmen setzen auf Stars, Didgeridoos – oder Plastikrohre
Inzwischen haben die Autohersteller, die E-Autos herausgebracht haben, erste Sounddesigns entwickelt. Alle machen ihr eigenes Ding, klingen in den Ohren von Laien aber recht ähnlich: mal mehr und mal weniger wie eine Kreuzung klassischer Verbrennungsmotoren mit Raumschiffen aus Science-Fiction-Filmen.
Bei der Entwicklung der Sounds haben die Autobauer sehr unterschiedliche und teils kreative Zugänge gewählt. Manche setzen auf Stars der Musikszene: So hat BMW den Starkomponisten Hans Zimmer rekrutiert, für Renault komponiert der französische Elektromusiker Jean-Michel Jarre. Mercedes-AMG hat mit der Band Linkin Park zusammengearbeitet, bei VW verlieh Leslie Mandoki – einst Schlagzeuger der Popgruppe Dschinghis Khan und erfolgreicher Produzent – den E-Autos ihren Sound.
Seat-Tochter Cupra hat laut eigenen Angaben versucht, die Hauptmaterialien im Innenraum des Wagens – Kupfer, Holz und Kohlefasern – in einen Sound zu übersetzen. Andere Hersteller haben mit Instrumenten herumexperimentiert: Im Avas von Nissan Leaf sollen unter anderem Flötenklänge stecken, General Motors hat Töne von Gitarre, Klavier und Didgeridoo aufgenommen. Und auch Audi hat mit dem Blasinstrument der indigenen Bevölkerung Australiens experimentiert. Überzeugt hat am Ende aber als einer der Grundtöne ein Plastikrohr, das Akustikingenieur Rudolf Halbmeir in seinem Garten gefunden hat. Final setzt sich das künstliche Fahrgeräusch der Audi e-tron GT-Modelle aus 32 Tonspuren zusammen, die fahrsituationsabhängig ineinander gemischt werden.
Autogeräusche werden zum Audiologo
„Eigentlich hatte ich etwas ganz anderes damit vor. Als ich draufgeklopft habe, dachte ich sofort: Das klingt echt cool“, sagt Halbmeir. Normalerweise können Rudolf Halbmeir und sein Kollege Stephan Gsell nur Geräusche benutzen, die man in Dauerschleife abspielen kann. Deshalb hat er mit einem Lüfter das Rohr kontinuierlich hörbar und davon mehrere Aufnahmen gemacht. „So wurde ein Plastikrohr eine der Hauptspuren unseres E-Auto-Sounds“, sagt Halbmeir. „Eine blumige Geschichte, die sich nicht immer so ergibt.“ Stattdessen muss man oft viel herumprobieren, bis man ein Ergebnis hat, das allen gefällt. Im Fall vom Audi e-tron GT probierten Halbmeir und Gsell neben Instrumenten unter anderem auch mit einem Synthesizer, einem Akkuschrauber, Aufzuggeräuschen und einem Modellhubschrauber herum, bis der finale Sound entstanden war.
Für Unternehmen ist die Klangwende von E-Autos auch ein Marketinginstrument. Das Geräusch eines Autos kann zum Audiologo einer Marke und damit zum Alleinstellungsmerkmal werden oder das individuelle optische Design eines Automodells unterstreichen. Manche Hersteller haben zusätzlich zum verpflichtenden Avas noch an Sounds getüftelt, die im Innenraum des Fahrzeugs über zusätzliche Lautsprecher verfügbar sind – Autofahren soll also auch zum Hörgenuss werden. Meist kosten solche Klangpakete aber extra, weil die Innenlautsprecher dafür verbaut werden müssen.
E-Auto-Sounds als Werbejingle?
Aber warum klingen E-Auto-Sounds eigentlich nicht melodischer? Als fahrbarer Werbespot könnte der Sound durch die Straßen einer Stadt transportiert werden. „Unsere Überzeugung ist: Immer dann, wenn etwas harmonisch-tonal klingt, dann erfordert das mehr Aufmerksamkeit“, sagt Halbmeir. Autofahrerinnen und -fahrer würden das auf Dauer aber nicht wollen. Es braucht vielmehr einen technischen Sound, der unbewusst verarbeitet wird und sich an den Fahrparametern des Fahrzeugs orientiert.
„Ein musischer Sound wäre zu prägnant, das hält man nicht aus“, vermutet Halbmeir. „Zumal ein Auto ja auch ein technisches Gerät und kein Musikinstrument ist“, ergänzt Stephan Gsell. „Ein Auto sollte sich nicht wie ein Orgelakkord anhören.“
Surr statt mäh oder pffffft
Übrigens: Elon Musk reagierte auf die EU-Verordnung zum Avas, indem er in Tesla-Modellen alternative Huptöne wie Ziegengemecker, Pupsgeräusche oder Applaus verfügbar machte. Dass sich solche Geräusche auf deutschen Straßen durchsetzen, hält Akustikprofessor Sentpali aber für unwahrscheinlich – dafür ist das deutsche Hörverhalten zu konservativ. „Fahrzeuge sind bei uns (noch) keine Spielzeuge“, sagt er. In asiatischen Ländern wie Japan seien Menschen hingegen nicht so verhaftet in ihren soziologisch gelernten Hörmustern.
Auf Straßen in Deutschland wird laut Sentpali erstmal das Science-Fiction-Surren des E-Motors bleiben. Das heißt allerdings nicht, dass Menschen das in zwanzig Jahren genauso sehen. „Wie Elektroautos weiterhin klingen werden, wird der Markt, werden unsere Kinder entscheiden“, sagt Sentpali.
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Und er prognostiziert: „Nicht nur Autos, sondern auch ihre Sounds müssen intelligenter werden, weil sie in Zukunft schneller die Sinneswahrnehmungen vom Menschen bedienen müssen.“ Denn wenn sich autonomes beziehungsweise teilautonomes Fahren in Deutschland durchsetzt, braucht es Warntöne, die Fahrerinnen und Fahrer schneller „aufwecken“, damit sie wieder die aktive Steuerung übernehmen. An diesen Warngeräuschen – zum Beispiel gekoppelt mit der Richtung, aus der das Geräusch kommt – tüfteln Sounddesignerinnen und Sounddesigner wahrscheinlich schon heute.
Hinweis: Wir haben in diesem Text eine Angabe zur Lautstärke von Verbrennermotoren entfernt, weil sie ohne entsprechenden Kontext irreführend war.