Schwere Grippewelle: Jeder Zehnte leidet an akuten Atemwegserkrankungen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/GWQJ4UQS4FG4XOVGIQBR2CYD5M.jpg)
Ein kranker Junge liegt in seinem Bett. (Symbolbild)
© Quelle: picture alliance / Frank May
Die Zahl der akuten Atemwegserkrankungen in Deutschland ist in dieser Woche nochmals deutlich gestiegen. Nach Angaben des Robert Koch-Instituts (RKI) sind aktuell mehr als acht Millionen Menschen erkrankt. Damit liegt die Zahl der Erkrankungen deutlich über dem Niveau der Vorjahre. Die häufigsten Gründe für Arztbesuche sind laut dem jüngsten Bericht des RKI Influenzaviren, das Respiratorische Synzytialvirus (RSV) und zu einem geringeren Anteil das Coronavirus. Besonders betroffen sind demnach Kinder und junge Erwachsene.
Laut RKI liegt die Gesamtrate der akuten Atemwegserkrankungen nun „deutlich über dem Bereich der Vorjahre zu dieser Zeit und hat damit das Niveau erreicht, das zum Höhepunkt der schweren Grippewelle in der Saison 2017/18 beobachtet wurde“. Damals gab es zuletzt eine schwere Grippewelle, in deren Verlauf rund 25.000 Menschen starben. Die Daten zeigen zudem, dass der Anstieg an Grippeerkrankungen in der aktuellen Saison deutlich früher stattfindet als in den Jahren vor der Corona-Pandemie.
Vor allem Kinder und Jugendliche sind betroffen
Während die Zahlen für akute Atemwegserkrankungen bei den über 59-Jährigen aktuell stabil bleiben, haben sie bei Schulkindern und jungen Erwachsenen deutlich zugenommen. Eine RSV-Infektionswelle trifft vor allem Kleinkinder unter vier Jahren. Die vielen Krankheitsfälle führen zu überfüllten Arztpraxen und Krankenhäusern. So hat sich etwa in in Mecklenburg-Vorpommern die Zahl der Arztbesuche laut Gesundheitsministerin Stefanie Drese (SPD) fast verdoppelt.
Die Corona-Pandemie hingegen ist auf den Intensivstationen der Krankenhäuser in Deutschland kaum noch relevant. Inzwischen mache der Anteil der Corona-Patientinnen und ‑Patienten auf den Intensivstationen weniger als 5 Prozent aus, sagte der Präsident der Deutschen Interdisziplinären Vereinigung für Intensiv- und Notfallmedizin (Divi), Gernot Marx, am Freitag zum Abschluss des Jahreskongresses der Organisation in Hamburg. „Es ist kein Vergleich zur Situation vor einem Jahr.“
Kinderkliniken am Limit
Dagegen kommen aktuell Kinderkliniken und ‑praxen an ihre Grenzen. Die Divi sprach zuletzt von einer „katastrophalen Lage“ auf den Kinderintensivstationen.
„Wir sind tagtäglich am Limit bei der Aufnahme von Patienten“, sagte Chefarzt Hans Kössel der Deutschen Presse-Agentur. Er leitet seit mehr als 20 Jahren die Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Klinikum Westbrandenburg in Brandenburg an der Havel. Zwei Drittel der Betten in seiner Kinderklinik seien mit Patientinnen und Patienten mit schweren Atemwegsinfektionen belegt, sagte Kössel. Viele der behandelten Kinder bräuchten Sauerstoff. „Das ist nicht der Standard.“ Teils gebe es über Stunden keine freien Betten mehr.
Auch an der Kinder- und Jugendklinik am Standort Potsdam hieß es: Bis zu 80 Prozent der Patientinnen und Patienten auf der Kinderstation seien aufgrund einer RSV-Infektion in Behandlung. Die hohe Belastung werde vermutlich bis in den Januar oder Februar anhalten.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/EZHJQQG67RD4LOGG3ATC7MQUTQ.jpg)
Hauptstadt-Radar
Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Berliner Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Die Berliner Charité hatte am Donnerstag angekündigt, angesichts der angespannten Situation ein Netzwerk für Kindermedizin mit den anderen Kinderkliniken Berlins einzurichten. „Auch wir müssen aus unserer Notaufnahme Kinder in andere Kliniken in Berlin und Brandenburg verlegen, was sich aufgrund der allgemein angespannten Situation jedoch oftmals schwierig gestaltet“, hieß es aus der Charité.
Auch in Nordrhein-Westfalen klagen viele Kinderkliniken über eine starke Belastung aufgrund vermehrter Lungenerkrankungen bei Kindern. Laut einem Sprecher der Düsseldorfer Universitätsklinik sei man in Düsseldorf zum Teil „maximal ausgelastet“ und die Situation „maximal angespannt“.
„Ambulante und stationäre Versorgung ist für Kinder nicht mehr gesichert“
Kinder- und Jugendärzte sind ebenfalls von den vermehrten Erkrankungen betroffen. „Im ambulanten Bereich ist gerade „Land unter“, erklärte Michael Achenbach vom Berufsverband Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) in Westfalen-Lippe. Auch bei ihm dominierten RSV und Grippe, die wenigen Corona-Fälle, die Achenbach und seine Kollegen und Kolleginnen aktuell behandelten, liefen schon unter „ferner liefen“.
Kinder- und Jugendarzt Axel Gerschlauer vom BVKJ Nordrhein sieht derzeit zwei Probleme: Die verfrühte und ungewöhnlich starke Infektionswelle mit viralen Atemwegserkrankungen und einen politikverschuldeten Mangel an pädiatrischen Krankenhausbetten. Es sei frustrierend und mache wütend, dass die Warnungen aus der Branche jahrelang als das typische Arztgemecker abgetan worden sei, beklagte Gerschlauer. „So unglaublich das für Deutschland ist, aber die ambulante und stationäre Versorgung ist für Kinder nicht mehr gesichert.“
Lauterbach kündigt rasche Unterstützung für Kinderkliniken an
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat rasche Unterstützungsmaßnahmen für akut überlastete Kinderkliniken angekündigt. Unter anderem soll Pflegepersonal aus Erwachsenen- in Kinderstationen verlegt werden.
Nach den Gesetzesplänen der Bundesregierung soll es außerdem für Kinderkliniken in Deutschland in den Jahren 2023 und 2024 jeweils 300 Millionen Euro mehr geben. Zur Sicherung von Geburtshilfestandorten sind es jeweils 120 Millionen Euro mehr. Die Finanzierung soll auch unabhängiger von der jetzigen leistungsorientierten Logik werden.
RND/dpa/ar