Rachedurst und Rokoko

Aufstieg immer! – Die Serie „Gefährliche Liebschaften“ erzählt von berühmten Intriganten

Erster Schritt des Aufstiegs: Die Marquise de Merteuil (Lesley Manville) findet Gefallen an ihrer Erpresserin Camille (Alice Englert, r.) Szene aus der Serie „Gefährliche Liebschaften“.

Erster Schritt des Aufstiegs: Die Marquise de Merteuil (Lesley Manville) findet Gefallen an ihrer Erpresserin Camille (Alice Englert, r.) Szene aus der Serie „Gefährliche Liebschaften“.

Ein Tiefpunkt – wir setzen den Spoileralarm diesmal früh – für Valmont, den Mann, der nichts unversucht lässt, wieder aufzusteigen in der Pariser Gesellschaft. Weil er erst einmal aussteigen muss – aus der Kutsche von Madame de Regnier nämlich, einer seiner aristokratischen Amouren. Die ihn zuvor in vermeintlich schlüpfriger Absicht gebeten hatte, sich doch bitte seiner Garderobe zu entledigen. Und die erst Hemd, Hose, Strümpfe, Schuhe Valmonts aus der Karosse wirft, um ein paar Straßen weiter, den nackten Galan auf den nassen Asphalt zu setzen.

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Ein nackter Mann in den Straßen von Paris

Nicht ohne ihm zuvor mit seiner Ermordung zu drohen, sollten ihm irgendwo irgendwelche Details über beider gemeinsame körperliche Wildheiten entfleuchen. Zu verdanken hat der Casanova dieses erotische Desaster einer Indiskretion seiner wahren Liebe – Camille, einem Mädchen aus dem Freudenhaus, die zur Vertrauten der ältlichen Marquise Geneviève de Merteuil wurde, einer weiteren verheirateten Dame, deren Schlafzimmer Valmont zu gut kennt. Die Serie hat Witz.

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DeMerteuil und Valmont – diese Namen klingen vertraut in den Ohren von Film- (und Literatur-)fans. „Valmont“ war 1989 Milos Formans Film, der damals – unglücklicherweise – nur ein halbes Jahr nach Stephen Frears‘ „Gefährliche Liebschaften“ ins Kino kam. Beide Verfilmungen des Stoffs waren süffisante Schilderungen von Sittenlosigkeit und Intriganz im Frankreich des späten 18. Jahrhunderts.

Berühmte Verfilmungen von Stephen Frears und Milos Forman

Colin Firth war in der Titelrolle des Forman-Films zwar ein heißkalter Romeo, aber kein Vergleich mit dem frauenvernichtenden Spieler John Malkovich. Annette Bening war nie schöner als hier in der Rolle der Marquise de Merteuil, doch eine viel gemeinere Schlange war Glenn Close im Film „Gefährliche Liebschaften“. Einzig die Unschuld Meg Tillys („Valmont“) konnte mit der Michelle Pfeiffers („Gefährliche Liebschaften“) mithalten. Wer sie nicht kennt: Beide Filme sind uneingeschränkt empfehlenswert.

Die Biografien der Romanfiguren wurden für die Serie modifiziert

Und nun also die ebenfalls sehenswerte Vorgeschichte: In der wir erleben, wie der junge Valmont und die junge Camille wurden, was sie sind. Hauptautorin Harriet Warner und ihre drei Mitarbeiterinnen haben für die Prequel-Serie „Gefährliche Liebschaften“ ein wenig an den Biografien der Protagonisten des gleichnamigen Briefromans von Pierre-Ambroise-François Choderlos de Laclos gerüttelt. Sowohl an der des Vicomte, der sich im Handlungjahr 1783 als Callboy der weiblichen Haute volée verdingen muss, weil die neue Frau und inzwischen Witwe seines Vaters den Familienbesitz für ihren Sohn zu reservieren trachtet und ihm jede Teilhabe verweigert.

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Als auch an der Vita seiner Gegenspielerin Camille, die – mit mysteriöser, sich im Verlauf der Staffel offenbarender Vorgeschichte – im Schmutz der Armenviertel lebt, und nicht davon erbaut ist, dass ihr Geliebter Valmont offenbar bereit ist, die Merteuil mit deren Liebesbriefen zu erpressen.

Camille verachtet Valmonts Erpressungsplan – und erpresst selbst

„Ich will sie nicht zerstören“, versichert Valmont, „ich will nur ein besseres Leben.“ Und so nimmt die darob ungehaltene Camille eines Tages einen dieser Briefe mit zur Marquise (Lesley Manville), um nun ihre eigene Erpressung durchzuziehen, das erste von vielen ähnlichen „Briefspielen“, die ihr Markenzeichen werden. Die Merteuil soll ihr gegen die Übergabe ihrer sämtlichen kompromittierenden handschriftlichen Erotika beibringen, wie man das „privilegierte Leben“ in erlauchten Kreisen beherrscht.

Vorgestellt als „Tochter einer guten Freundin“, entspinnt sich eine beinahe zärtliche Vertrautheit zwischen den Frauen. Camille macht sich gut mit Rokoko-Frisur und pompösen Roben.

Und als die erlauchte Gesellschaft die erstbeste Gelegenheit (aber nicht die letzte) nutzen möchte, um die Emporkömmlingin samt ihrer Freundin Victoire (Kosar Ali) wieder loszuwerden, macht Camille unmissverständlich klar, dass eine Abkehr vom fürstlichen Leben für sie nicht mehr infrage kommt. Ihr Verhältnis zum Womanizer Valmont? „Valmont ist tot für mich“, das hatte sie der Merteuil bei der ersten Begegnung im Foyer ihres Stadtpalasts versichert. Ist er nicht. Vielmehr wird es eine sehr wechselhafte Beziehung werden, was die Serie swingen lässt.

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Camille will nach oben – aber niemals mehr Besitz sein

Aufstieg immer, Abstieg nimmer. In Zeiten, in denen es gärt und es nur noch sechs Jahre sind, bis Frankreichs Adel von der Französischen Revolution erschüttert wird, geht Camille in die historisch entgegengesetzte Richtung. Sie ist dabei eine Feministin in eigener Sache. Der machtbewusste, empathiefreie Marquis, den Michael McElhatton, der Roose Bolton aus „Game of Thrones“, wird Teil des Plans einer Frau, die ihrem Verstand folgt, niemandem gehören und nicht ertragen will, wenn Männer Frauen in irgendeiner Form in Besitz nehmen, instrumentalisieren, ausbeuten oder gar bewusst in Notlagen bringen.

Ihrerseits benutzt sie Menschen, um als nächste Marquise de Merteuil die Freieste ihres Geschlechts zu werden. Alice Englert („Top of The Lake“, „Ratched“) spielt sich dem Zuschauer mit ihrer Anmut, ihrem Zorn und ihrer Unbedingtheit ins Herz, obzwar man weiß – eingedenk der bekannten überragenden Niedertracht der Figur in ihren späteren Jahren – dass man sie sich irgendwann wieder herausreißen werden muss. Nicholas Dentons verführerischer Valmont tänzelt – ähnlich hinreißend – mit dem Lächeln eines Fauns durch diese Welt von Puder, Perücken und Schönheitsflecken, die sich ihm wieder und wieder entgegenzustellen wagt.

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À la Kubrick: Die Nacht ist in „Gefährliche Liebschaften“ von Kerzen und Laternen illuminiert

Und die (abgesehen von ihren stroboskopartig flackernden Mikro-Rückblenden) eine faszinierende Optik besitzt. Es scheint, als hätten die Kameraleute Ashley Barron und Christos Voudouris für ihr Regieduo Leonora Lonsdale und Olly Blackburn John Alcotts Arbeit für Stanley Kubricks Rokoko-Drama „Barry Lyndon“ (1975) studiert. Tageslicht ist stets dunstig. Die nächtlichen Sets von Innenräumen scheinen oft nur von Kerzen oder Kaminfeuer illuminiert, nächtliche Stadtszenen von tranfunzeligen Laternen ausgeleuchtet. So sah das damals wohl aus.

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Körper, Gesichter und Gewänder sind dabei oft gerade so zu erkennen – der nackt aus der Kutsche stürzende Valmont wird so schnell und gnädig von der Schwärze des Kopfsteinpflasters und Hausfassaden verschluckt.

„Gefährliche Liebschaften“ ist eine zunehmend tragische Geschichte über Geheimnisse und ihre Folgen, eine Nachtgeschichte mit beeindruckenden Dunkelheiten – einem Straßenzug zu den blauen Stunden des Vormorgens etwa, einem die Aufführung erwartenden Theaterpublikum oder einem Fest mit Fackeljongleuren und Feuerspuckern, bei dem sich die imposante Kugel einer Montgolfière Richtung Sternenhimmel schiebt.

Noch ein Aufstieg.

„Gefährliche Liebschaften“, Serie, acht Episoden, von Harriet Warner u. a., Regie: Leonora Lonsdale, Olly Blackburn, mit Alice Englert, Nicholas Denton, Michael McElhatton, Lesley Manville, Paloma Fait, Carice van Houten, Kosar Ali (ab 6. November bei Lionsgate+)

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