Frauenmörder im Iran: der packende Kinothriller „Holy Spider“
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Sie spielt den Lockvogel für den Frauenmörder: Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi) in einer Szene des Films „Holy Spider“.
© Quelle: -/Alamode Film/dpa
Wenn die Nacht kommt, küsst die Mutter zum Abschied ihr Baby. Dann wechselt sie ihr Outfit: Die flachen Schuhe wandern in eine Plastiktüte und werden gegen hochhackige eingetauscht. Vor dem Spiegel erhaschen wir einen Blick auf ihren mit blauen Flecken übersäten Rücken. Bevor sie ihren Platz an der Straße einnimmt, wagt die junge Frau eine Geste, die seit den Protesten auf Irans Straßen eine ganz neue Bedeutung bekommen hat: Sie holt keck eine Strähne unter ihrem Kopftuch hervor.
Die Mutter ist eine Prostituierte in Ali Abbasis Noir-Thriller „Holy Spider“. Eine Sexarbeiterin im Iran? Davon ist wohl in noch keinem iranischen Spielfilm erzählt worden. Und doch: „Ich bin noch in keiner iranischen Stadt gewesen, in der ich keine Prostituierte auf der Straße gesehen habe“, hat Regisseur Abbasi („Borders“) dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) kürzlich gesagt.
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In dieser Nacht wird die junge Mutter sterben – eines von 16 Opfern des „Spinnenmörders“, wie die iranischen Medien den Mann betitelten, der die heilige Stadt Mashhad in den Jahren 2000/2001 von sogenannten sittenlosen Frauen befreien wollte. Der heute in Dänemark wohnende Regisseur Abbasi lebte noch im Iran, als der „Spinnenmörder“ zuschlug.
Und nun hat er einen Kinofilm gedreht, der wie ein Menetekel der aktuellen Geschehnisse wirkt, seit die 21-jährige Mahsa Amini Mitte September vorigen Jahres nach Misshandlungen durch die sogenannte Sittenpolizei starb. Ihr Fall löste die bis heute andauernden Aufstände aus. Die Missachtung des weiblichen Geschlechts spiegelt sich in diesem bedrückenden Thriller.
Mit dem Kopftuch erdrosselt
Auf seinem Motorrad fährt der Serienkiller Saeed Hanaei (Mehdi Bajestani), Familienvater und Kriegsveteran, den grauen Straßenstrich ab und nimmt die Reihe der Prostituierten ins Visier. Wenn seine Ehefrau und seine Kinder nicht zu Hause sind, bringt er sein Opfer auf dem Sozius in die eigene Wohnung. Die Frauen erdrosselt er mit ihrem eigenen Kopftuch. Es dauert erschreckend lang, bis ein Mensch im Todeskampf erstickt und die um sich schlagenden Beine zur Ruhe kommen.
Die Leichen wickelt Hanaei in einem Teppich ein, packt sie auf sein Motorrad und entsorgt sie auf den Hügeln rund um die heilige Stadt, als wären sie menschlicher Müll. Dort oben öffnet die Kamera den Blick in die Totale: Wir sehen die Straßen der Millionenmetropole Mashhad leuchten wie ein Spinnennetz in der Nacht.
Später wird der Mörder einen Journalisten anrufen und ihm von seiner Tat berichten. Er will, dass alle Welt erfährt, wie er die Straßen „von menschlichem Schmutz“ säubert.
Erinnerungen an „Taxi Driver“ werden wach
Erinnerungen an Travis Bickle, Martin Scorseses „Taxi Driver“, werden wach – auch wenn der von Robert De Niro gespielte US-Kriegsveteran Bickle eine junge Prostituierte schützen wollte. Doch auch Bickle erledigte seiner Sicht nach einen Dienst an der Gesellschaft.
Abbasi erzählt die Geschichte aus der Perspektive der fiktiven Journalistin Rahimi (Zar Amir Ebrahimi). Sie bietet sich dem Killer als Lockvogel an und bringt ihn unter Lebensgefahr zur Strecke. Man darf das verraten, denn damit ist der Film noch lange nicht zu Ende.
Beinahe genauso erschreckend wie die Morde sind die Reaktionen von Teilen der iranischen Gesellschaft: Hanaei wird als Held gefeiert. Der Gemüsehändler schenkt Hanaeis Sohn eine ganze Plastiktüte voller Ware, eine Männerclique zieht hinter der Prozessfassade die Fäden und will den Täter entkommen lassen. Hanaeis Taten sind in diesem schockierenden Film nur die Auswüchse eines Systems, das auf der Unterdrückung der Frauen gründet.
Auch Rahimi muss sich mehrfach gegen übergriffige Männer zur Wehr setzen. Mit stiller Entschlossenheit verkörpert Ebrahimi ihre Figur. Man könnte sich diese Journalistin gut als eine der mutigen Frauen vorstellen, die seit Monaten täglich auf Teherans Straßen demonstrieren.
Von den Protesten auf Irans Straßen konnte Abbasi noch nichts wissen, als sein Film entstand. Gedreht hat er in Jordanien. Im Iran bekam er keine Genehmigung. Nun geht er für Dänemark ins Rennen um den Auslands-Oscar in Hollywood.
Als Hauptdarstellerin Zar Amir Ebrahimi für diesen Film beim Festival in Cannes als beste Hauptdarstellerin geehrt wurde, sprach die amtliche iranische Filmbehörde von einem „verlogenen und ekelerregenden Film“. Er stelle ein „verzerrtes Bild der iranischen Gesellschaft“ dar und beleidige „ungeniert den religiösen Glauben der Schiiten“, hieß es in einer Mitteilung. Die Konfrontation mit der Wirklichkeit war wohl zu groß für das Regime. Ebrahimi hat den Iran schon vor Jahren verlassen.
„Holy Spider“ ist mehr als die übliche Variante eines Frauenmörderfilms. Abbasi hat eine fulminante Anklage gegen die frauenfeindliche iranische Herrschaft inszeniert.
„Holy Spider“, Regie: Ali Abbasi, mit Zar Amir Ebrahimi, Mehdi Bajestani, 119 Minuten, FSK 16