Krimis, die das Leben schreibt
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/I5P2HTB3SJCXHJPSQWKDRZKUEY.jpg)
Bettina Mittelacher schreibt über reale und fiktive Mordfälle.
© Quelle: privat
Hamburg. Manchmal spielt der Zufall die Hauptrolle. Auch in Redaktionen: Der Mann für die Reportagen aus dem Gerichtssaal war verreist, Bettina Mittelacher sprang ein. „Auch wenn‘s komisch klingen mag, ich habe vom ersten Moment an Blut geleckt“, sagt die aus Lüneburg stammende Journalistin.
Seit gut 30 Jahren ist sie nun in Hamburg Gerichtsreporterin. „Ich habe fast alles gesehen und gehört“, sagt sie – bis hin zu einem Mord vor ihren Augen im Gerichtssaal. Seit 2016 ist Bettina Mittelacher immer mehr als Buchautorin präsent, im Gespann mit dem Gerichtsmediziner Klaus Püschel. „Vermisst“ heißt ihr letztes „True Crime“-Buch.
Das Autorenduo folgt der Überzeugung: „Die Wahrheit ist der beste Krimi.“ Was reizt Bettina Mittelacher daran, über Jahrzehnte in Abgründe des Lebens zu schauen? „Man erfährt, was Menschen anderen Menschen anzutun im Stande sind — bewusst und absichtlich. Aus Habgier zum Beispiel, aus Eifersucht oder sogar Mordlust. Man erlebt aber auch, wie schwer das Leben manchen Menschen mitspielt. Und wie Menschen in Situationen geraten, in denen sie sich so verhalten, wie sie sich das gar nicht vorstellen konnten.“ Von alledem handeln die „True Crime“-Bücher von Mittelacher und Püschel.
Journalistin trifft Gerichtsmediziner
Bettina Mittelacher stammt aus einer Journalisten-Familie. Ihr Vater Wolfram schrieb in Lüneburg als Politik-Chef beim Niedersächsischen Tagesblatt die Kolumne „Von Woche zu Woche“ und vieles mehr. Bettinas älterer Bruder Alexander absolvierte wie sie die Herderschule und bei der Landeszeitung ein Volontariat. Beide gingen später zum Abendblatt nach Hamburg. Alexander ist in Rente, Bettina schreibt in Sachen Verbrechen weiter.
Im Gerichtssaal lernte sie 2015 Klaus Püschel kennen. Er zählt zu den prominentesten deutschen Gerichtsmedizinern. Der – mitunter kontrovers gewertete Positionen vertretende – Forensiker untersuchte viele prominente Fälle. Dazu zählen der Leichnam des unter mysteriösen Umständen gestorbenen Politikers Uwe Barschel und der des Reemtsma-Entführers Wolfgang Koszics, der in Portugal von einer Klippe kippte. Püschel war im Kosovo, in Ägypten, Syrien und anderen Ländern tätig. Er erforscht Moorleichen, den sogenannten Störtebeker-Schädel – und er war in die Ermittlungen der Göhrde-Morde 1989 einbezogen.
Leben mit der Frage nach dem Warum
Die fast drei Jahrzehnte später aufgeklärten Morde sind eines der Themen in „Vermisst“. Mittelacher und Püschel greifen in dem Buch durchweg Fälle auf, in denen Menschen für Tage, Monate, Jahre oder wohl für immer verschwunden sind. Den Autoren geht es dabei auch um die Menschen, die zurückbleiben, die mit ihrer Angst, mit ihrer oft schwindenden Hoffnung, mit der Frage nach dem Warum leben müssen.
Bei den Göhrde-Morden, die dem Lüneburger Friedhofsgärtner Kurt-Werner Wichmann zugeschrieben werden, ist nach wie vor nicht alles geklärt. Wichmann nahm sich 1993 das Leben. Aber er könnte einen Mittäter gehabt haben.
„Ich habe mehr den erzählerischen Part, Klaus Püschel den rechtsmedizinischen“, sagt Mittelacher. Ihr Anteil ist der spannendere. Mal geht sie bei den Fallschilderungen von den Hinterbliebenen aus, mal sind Kapitel szenischer aufgebaut.
Zum Beispiel bei der Familie, die aus Drage verschwand. Da schildert die Autorin zunächst das Haus, das eine Idylle vorspiegelt, aber verlassen dasteht. Tatsächlich fand man nur den Vater, der sich in der Elbe ertränkt hatte. Von Frau und Tochter fehlt nach wie vor jede Spur. Klaus Püschel setzt in dem Kapitel etwas über die Arbeit mit Spürhunden hinzu.
Ein Ausflug in das Fiktive
„Die Chemie zwischen Klaus Püschel und mir stimmt einfach. Wir arbeiten beim Schreiben auf einer Wellenlänge“, sagt Bettina Mittelacher. Mittlerweile unternahm das Autorenduo einen Ausflug ins Fiktive. 2012 erschien der Thriller „Totenpuzzle“. In dem harten Fall um einen Serienmörder ermitteln eine Kommissarin und ein Rechtsmediziner. Es soll nicht der einzige Fall bleiben, sagt Bettina Mittelacher.
Das Autoren-Duo ist oft auf Lesungen zu erleben, beim Hamburger Krimifestival, in Buchhandlungen, sogar in einem Bestattungsinstitut. Das Lüneburger Krimifestival fehlt noch auf der Liste.
Was liest sie denn selbst zum Ausgleich? Krimis. Die von Hjorth und Rosenfeldt, die „Lost in Fuseta“-Reihe von Gil Robeiro, die Bretagne-Krimis von Jean-Luc Bannalec. Beim Lesen entspannt Bettina Mittelacher. Manche Verfahren, die sie vor Gericht verfolgte, gehen ihr aber lange nach: „Verfahren, in denen ich auch mal Tränen in den Augen hatte und die mich nicht schlafen ließen. Das sind vor allem solche Prozesse, in denen es um gequälte und getötete Kinder geht. Das macht mir bis heute sehr zu schaffen. Da ist es gut und wichtig, wenn man zu Hause einen Partner hat, mit dem man über solche Dinge sprechen kann.“
Privat heißt Bettina Mittelacher mit Nachnamen Frankenfeld. Sie ist mit einem Sohn des Entertainers Peter Frankenfeld verheiratet. Thomas Frankenfeld war Außenpolitik-Chef des Abendblatts, schreibt heute auch Thriller. Kreise schließen sich.