Giftcocktail in der Vase: Sind Pestizide auf Schnittblumen gefährlich?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/IMJ3UY6AYFHQBG26Z63GZL2FGQ.jpg)
Fast alle Rosensträuße, die im Winter gekauft werden, sind mit Pestiziden verseucht, heißt es bei Ökotest.
© Quelle: Christin Klose/dpa-tmn
Pestizide sind eine der Gründe, aus denen Obst und Gemüse vor dem Verzehr ordentlich gewaschen werden sollte. „Pestizide sind dazu gemacht, Beikräuter und Schadinsekten abzutöten oder auch Pilzkrankheiten zu bekämpfen,“ erklärt Corinna Hölzel, Pflanzenexpertin beim BUND. Sie gehören laut BUND zu den gefährlichsten Umweltgiften der Welt. Der Einsatz von Pestiziden ist in der Landwirtschaft in den vergangenen Jahrzehnten stark angestiegen – weltweit um rund 80 Prozent. Das betrifft nicht nur Lebensmittel.
Bereits im Jahr 2012 untersuchte ein Labor im Auftrag des BUND Rosensträuße, die in Berliner Geschäften gekauft wurden, auf Pestizide. Getestet wurden vor allem Blumen aus Supermarkt- und Blumenketten wie Rewe, Penny oder Blume 2000. Diese sind nämlich besonders im Winter beliebt, wenn es keine heimische Blumen gibt. Das Ergebnis: Die Sträuße sind alles andere als gut. Acht der zehn getesteten Sträuße enthielten Pestizidrückstände – darunter elf verschiedene teils stark krebserregende und hormonell wirksame Pestizide.
Auch Zimmerpflanzen sind belastet
Auch das Magazin „Ökotest“ hat sich die Pestizidbelastung auf Blumen genauer angeschaut – im Jahr 2017 und in einem aktuellen Test aus dem Jahr 2023. Im Jahr 2017 waren die meisten der getesteten Rosensträuße mit Pestiziden belastet – und daran hat sich im Jahr 2023 nichts geändert: Die Mehrheit der Blumensträuße fällt durch. Die Tester fanden in den getesteten Blumen 54 verschiedene Spritzgifte – viele davon sind in der EU verboten. Ökotest weist auch darauf hin, dass vor allem Blumensträuße, die im Winter verkauft werden, betroffen sind. Denn diese kommen meist aus Südamerika und Ostafrika. Länder, in denen der Einsatz von Pestiziden oft weder verboten noch reglementiert sei.
Und wie sieht es bei Zimmerpflanzen aus? Auch hier können Chemikalien zu finden sein – vor allem bei exotischen Pflanzen. Wie groß der Anteil und die Belastung sind, lässt sich jedoch kaum sagen – aktuelle Untersuchungen liegen dafür nicht vor. Eine Untersuchung des BUND von Zierpflanzen aus dem Jahr 2022 zeigte aber, dass bei ihnen ein großer Anteil pestizidbelastet sind. „Zierpflanzen für draußen und Zimmerpflanzen haben in der Regel den gleichen Produktionsweg“, sagt Hölzel. Die Vermutung, dass Zimmerpflanzen ebenso stark betroffen sind, liege also nahe.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/DMGOZCVWFNFMJBUMXEZCJBR5CM.jpg)
Das Leben und wir
Der Ratgeber für Gesundheit, Wohlbefinden und die ganze Familie - jeden zweiten Donnerstag.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Wie gefährlich sind die Pestizide für Menschen?
Aber sind die mit Pestiziden belasteten Pflanzen für Menschen gefährlich? Vermutlich nicht. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) hat sich dieser Frage bereits im Jahr 2021 gestellt und ist zu dem Schluss gekommen, dass „von den in Deutschland gehandelten Schnittblumen gesundheitliche Beeinträchtigungen für Verbraucherinnen und Verbraucher nicht zu erwarten sind“. Dem stimmt Hölzel zu. „Für Verbraucherinnen und Verbraucher besteht kein akutes Gesundheitsrisiko – die meisten Menschen haben ja nur alle paar Wochen einen Blumenstrauß in der Wohnung.“ Es sei aber nicht auszuschließen, dass Menschen, die sehr sensibel auf Chemikalien reagieren, auch auf die Pestizide in Blumensträußen reagieren.
Jedoch seien mögliche Langzeit- und Wechselwirkungen verschiedener Pestizide bei der Risikobewertung des BfR nicht berücksichtigt, sagt Hözel. Doch genau diese Wirkungen könnten problematisch sein. „Es gibt Hinweise darauf, dass die verschiedenen Pestizide sich in ihrer Wirkung verstärken können – und so noch giftiger werden. Gerade diese Wechselwirkung kann gefährlich werden – und die ist noch nicht erforscht und zu wenig beachtet.“
Gefährlich können die Chemikalien auch für Floristinnen und Floristen werden. „Die Stoffe bauen sich über die Zeit ab, daher gelangt bei uns natürlich weniger an“, erklärt Hölzel. Floristinnen und Floristen, die den ganzen Tag über mit den Pflanzen zu tun haben, seien aber trotzdem einem gewissen Gesundheitsrisiko ausgesetzt – vor allem durch die Wechselwirkungen der verschiedenen Pestizide. Die Pestizide können über die Lunge und über Hautkontakt aufgenommen werden, so Hölzel.
11.000 Menschen sterben jährlich an Pestizidvergiftungen
Weltweit ist das Risiko, das von Pestiziden ausgeht groß: 385 Millionen Menschen erkranken jährlich an Pestizidvergiftungen, 11.000 sterben daran, zeigt der Pestizidatlas 2022, der von der Heinrich Böll Stiftung und dem BUND herausgegeben wird. Betroffen sind vor allem Menschen in Asien. 44 Prozent aller Beschäftigten der Landwirtschaft weltweit sind von Vergiftungen mit den Chemikalien betroffen.
„Ökotest“ weist ebenfalls darauf hin, dass die mit Pestiziden verseuchten Blumenfelder ein großes gesundheitliches Problem darstellen – vor allem für die Arbeiterinnen und Arbeiter vor Ort. Oft werden die Felder demnach viel zu schnell nach dem Besprühen mit den giftigen Chemikalien wieder betreten – in vielen Fällen ohne Schutzkleidung. Hölzel zufolge soll es auch vorkommen, dass die Leerverpackungen der Pestizide manchmal nicht richtig entsorgt und dann von den Arbeiterinnen und Arbeitern genutzt werden, um Lebensmittel oder Wasser aufzubewahren. Das Problem sei, dass die Menschen meist nicht über die Risiken der Pestizide aufgeklärt seien. Die Pestizide bedrohen die Menschen und die Umwelt – denn sie gelangen in den Boden, in die Luft und ins Wasser.
Vergiftungen mit Pestiziden können direkte Auswirkungen haben – oder auch solche, die sich erst nach Jahren zeigen. Der BUND erklärt, dass gesundheitliche Folgen „von akuten und chronischen Hauterkrankungen über Vergiftungserscheinungen bei direktem Kontakt, Krebs, Fruchtbarkeits- und Erbgutschäden bis hin zu Missbildungen bei Neugeborenen“ reichen. Laut Heinrich Böll Stiftung werden Pestizide ebenfalls mit einem erhöhten Risiko für Typ-II-Diabetes und Asthma, für Allergien, Adipositas und Störungen der Hormondrüsen in Verbindung gebracht.
Sollte man diese Blumen kaufen?
Wer sichergehen will, sich mit den Schnittblumen keine Pestizide ins Haus zu holen, sollte „Ökotest“ zufolge auf regionale Blumen zurückzugreifen – oder darauf verzichten, wenn es sie im Winter nicht gebe. Auch Hölzel empfiehlt, lieber Bioblumen zu kaufen. Als Alternative im Winter könnten Zweige von Obstbäumen oder auch Trockenblumen dienen. Wer sich bei Zimmerpflanzen Sorgen um Pestizide macht, sollte einmal im Bekanntenkreis nachfragen: „Die allerbeste und nachhaltigste Lösung ist es, Ableger zu nutzen“, sagt Hölzel.
Hölzel zufolge handelt es sich beim Kauf von Schnittblumen aber auch um eine moralische Frage. „Angesichts der Gefahr durch Pestizide und auch den Bedingungen, unter denen die Blumen produziert werden, sollten die Menschen sich fragen, ob es unbedingt notwendig ist, diese Pflanzen zu kaufen.“