Karneval ohne Diskriminierung: Welche Kostüme sind tabu?
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An Karneval gehören Verkleidungen dazu.
© Quelle: Jonathan Borba/Unsplash
Ein Scheich posiert mit seiner Haremsdame, der Mann mit der Rastazopfperücke prostet der chinesischen Reissammlerin zu, dazwischen tollen kleine Cowboys und Indianer – Inspiration für ein Faschingskostüm holt man sich am besten nicht aus alten Fotoalben. Ansonsten setzt man sich heute dem Verdacht der kulturellen Aneignung aus oder wirkt respektlos und vorurteilsbeladen gegenüber fremden Kulturen. Wie viel Narrenfreiheit herrscht noch im Karneval, wenn es ums Verkleiden geht?
Marie Fisch arbeitet seit 25 Jahren in einem Kostümverleih in Düsseldorf. Bei Akki gibt es mehr als 1000 Kostüme zur Auswahl. Selbst Verkleidungsmuffel gingen hier nicht leer aus, sagt sie. „Eines aber führen wir nicht“, betont sie, „und das ist diskriminierende Kleidung.“ Es herrsche eine neue Sensibilität, sagt Fisch. Als „Urwaldmensch“ zu gehen sei heute ebenso ein No-Go wie Blackfacing. „Das letzte Baströckchen im Sortiment habe ich einfach für das Outfit der Vogelscheuche aus dem ‚Zauberer von Oz‘ verwertet“, berichtet die Fundusleiterin, die zum Teil selbst Kostüme näht. Stereotype Indianerverkleidungen habe sie schon vor längerer Zeit ausrangiert. Das habe nicht allein mit ihrem Verständnis von diskriminierender Kleidung zu tun, erläutert sie. Auch die Nachfrage sei nicht mehr da.
Menschen werden bei der Kostümwahl vorsichtiger
Da Akki auch Theatergruppen ausstattet, gibt es auch an traditionelle Kleidung aus anderen Ländern angelehnte Kostüme. Für den Fasching suchen sich die Kundinnen und Kunden dann aber doch etwas anderes: „In diesem Jahr ist es besonders eklatant mit der Vorsicht bei der Kostümwahl“, hat Fisch beobachtet. Kunden bewunderten zwar einen schönen Sari oder einen chinesischen Mantel, aber für ein Karnevalskostüm sei das dann vielen doch zu heikel. Man wolle niemandem zu nahe treten, laute oftmals die Begründung.
Diese Vorsicht bestätigt auch Philipp Hoffmann. Der Historiker ist Geschäftsführer des Vereins Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums. Für ihn ist Karneval „lebendige Tradition, keine Folklore. Es gibt keinen Bestandsschutz, und wir feiern auch nicht in einer Blase. Vielmehr besteht eine enge Verbindung zu gesellschaftlichen Themen. Dazu gehören aktuell auch die Diskussionen um Diversität und kulturelle Aneignung. Vor allem bei den Jüngeren hat sich da in den vergangenen fünf Jahren eine große Sensibilität entwickelt“, sagt Hoffmann. Seiner Ansicht nach hätten die Corona-Jahre diese Entwicklung noch einmal beschleunigt: „Die Pandemie, in der der Karneval ja eine Vollbremsung hinlegen musste, hat im Zusammenhang mit gesellschaftlichen Diskursen wie ein Katalysator gewirkt.“ Auch Gleichberechtigung und Integration seien große Themen.
Historiker: Karneval ist „ein Spiegel der Gesellschaft“
Politische Korrektheit und Karneval – wie passt das zusammen? Sexistische, rassistische und diskriminierende Witze und Outfits waren bei Prunksitzungen in den Vor-Corona-Jahren keine Seltenheit. Bewusst nicht als Dschungelbewohner verkleidet oder in einem Fatsuit Fasching zu feiern ist rücksichtsvoll gegenüber Menschen, die sich dadurch verspottet fühlen könnten. Doch das heißt noch lange nicht, dass das jeder so sieht und darauf achtet. „Natürlich gibt es auch Menschen, die sagen, das ist mir egal, ob ich jemandem mit meinem Kostüm zu nahe trete, aber Gleichgültigkeit oder Respektlosigkeit gegenüber anderen findet man auch abseits des Karnevals. Er ist ein Spiegel der Gesellschaft“, sagt Hoffmann. Gleichwohl betont er: „Diskriminierende Kostüme stellen grundsätzlich ein Tabu dar.“
Natürlich gibt es auch Menschen, die sagen, das ist mir egal, ob ich jemandem mit meinem Kostüm zu nahe trete, aber Gleichgültigkeit oder Respektlosigkeit gegenüber anderen findet man auch abseits des Karnevals.
Philipp Hoffmann, Geschäftsführer des Vereins Freunde und Förderer des Kölnischen Brauchtums
Karneval ist seit Jahrhunderten eine Verkehrung der Welt und der Verhältnisse – mithilfe der Verkleidung. Ursprünglich schlüpfte man vor allem in die Rolle der Gegenseite: Brave Christen mimten Teufel und Dämonen, einfache Bürgerinnen und Bürger übernahmen das Zepter der Obrigkeit, so wie sich schon bei den Saturnalien im alten Rom, dem Vorläufer der „fünften Jahreszeit“, die Sklaven als Herren verkleideten und umgekehrt. Doch „zosamme jeck“ zu sein hatte schon früher Grenzen. Vor genau 200 Jahren reglementierte man in Köln die „tollen Tage“, um einem Verbot des närrischen Treibens durch die Preußen zuvorzukommen: Ein „Festordnendes Komitee“ wurde gegründet. Der erste Rosenmontagszug am 10. Februar 1823 sollte dafür sorgen, dass die Feierlichkeiten nicht wie in der Vergangenheit ausuferten. Auch der Verkleidung wurden Grenzen gesetzt: Zeitgenössische Uniformen und Hoheitsabzeichen zu tragen war damals verboten. „So sollte die Verballhornung von Polizei und Militär vermieden werden“, erläutert Historiker Hoffmann. Die seit 1823 üblichen „Funkencorps“ persiflierten zwar autoritäres Auftreten, trugen aber schon damals Fantasieuniformen.
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Die Faschingstrends: Liebe, Superhelden, Kindheitsträume
Für das Unternehmen Deiters, einen der größten Kostümverleihe im Rheinland, gilt beim Verkleiden das Motto: „Sei, wer du willst.“ Und tatsächlich sagt ein Kostüm oft mehr über die Person aus als die Alltagskleidung. Persönliche Träume und Sehnsüchte nehmen im Karneval plötzlich Gestalt an: Bei Deiters sieht man in diesen Zeiten vor allem die „Liebe“ mit Artikeln in Rot und Herzaccessoires vorn. Doch auch Kindheitserinnerungen spielten eine große Rolle: Helden der Neunzigerjahre wie Super Mario lägen im Trend, ebenso wie Produktkostüme, etwa Ahoj-Brause.
Marie Fisch verzeichnet eine seit Jahren ungebrochene Nachfrage nach einem bestimmten Kindheitstraum: „Sie glauben gar nicht, wie viele erwachsene Frauen als Prinzessin gehen wollen.“ Ein anderer Klassiker, der zwischendurch out war, nun aber wieder stark im Kommen ist, ist sowohl Fisch als auch Hoffmann und Deiters zufolge der Clown. Da muss man nur aufpassen, dass man beim Schminken geschickt ist. Sonst wird man schnell zum Horrorclown. Das ist dann auch wieder ein fragwürdiges Kostüm.
Und was machen Verkleidungsmuffel? Hoffmann rät zu einer roten Pappnase: „Die geht immer.“