Matthias (48): „Warum sie ging, weiß ich bis heute nicht“
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/QLRP2P5OVVCTNBAIYVWCRJFK4Y.jpeg)
Eine Trennung und der damit einhergehende Trennungsschmerz ist eine emotional belastende Situation.
© Quelle: TheVisualsYouNeed - stock.adobe.com
Hamburg. Eine Beziehung scheitert an Langeweile, Eifersucht, Geldsorgen oder einer dauerhaften Sexflaute. Zumindest dachte ich das immer. Deswegen ist mir bis heute schleierhaft, warum meine Ehe in die Brüche ging. Und zwar nicht, weil ich Probleme ausblendete, sondern weil es kaum Streitereien oder Meinungsverschiedenheiten zwischen mir und meiner Ex-Frau gab.
Als Scheidungskind glaubte ich lange, mich nie richtig tief auf einen Menschen einzulassen zu können, geschweige denn eine Familie zu gründen. Damals war ich total auf meine Karriere fixiert und wollte für einige Monate ins Ausland gehen. Doch dann traf ich Anna auf einer Party und wusste sofort: Für diese Frau werde ich alle Pläne über den Haufen werfen. Da war sofort so viel Vertrauen und Ehrlichkeit. Sie sprach aus, was ich dachte – das haute mich um. Klar, dass ich ab diesem Moment nicht mehr wegwollte. Deshalb machte ich mich im Bereich erneuerbare Energien selbstständig und beriet Landwirte, wie sie ihre Äcker durch Vermietungen effizienter bewirtschaften könnten.
Und plötzlich war da Misstrauen
Nach drei Jahren heirateten wir und bekamen schnell unsere beiden Wunschkinder. Anna lag mit ihrem Ökotrophologie-Studium in den letzten Zügen und Ernährungswissenschaftler wurden damals händeringend gesucht. Daher entschieden wir, dass ich mich um die Kinder kümmere und sie arbeiten geht. Wie geplant fand Anna direkt einen tollen Job in einem Pharmaunternehmen und verdiente gut. Und ich genoss die Zeit mit Swantje und Mette, auch wenn ich kaum zum Arbeiten kam. Erst Recht nicht, als wir wenig später ein altes Haus kauften und es aufwendig sanieren ließen.
Doch wir schafften es, Paar zu bleiben, redeten über alles, was uns bewegte und schliefen nach wie vor gerne miteinander. Trotzdem war da plötzlich dieser bittere Geschmack von Misstrauen in mir.
Nach einem Wochenendseminar ihrer Firma war Anna mit einem Mal wie ausgewechselt. Ständig tippte sie auf ihrem Handy herum oder saß vor ihrem Laptop. Zu Anfang dachte ich, dass das normal sei in einer verantwortungsvollen Position. Ich konnte mir außerdem nicht vorstellen, dass Anna alles aufs Spiel setzen würde. Warum auch? Klar war der Alltag mit Kindern turbulent. Doch wir schafften es, Paar zu bleiben, redeten über alles, was uns bewegte und schliefen nach wie vor gerne miteinander.
Trotzdem war da plötzlich dieser bittere Geschmack von Misstrauen in mir. Als ich Anna davon erzählte, versicherte sie mir, dass ich mir alles nur einbilden würde.
Eindeutige Nachrichten: Ein Verhältnis mit dem Kollegen
Irgendwann fand ich eine ältere Handyrechnung von ihr und bekam Herzrasen: Sie hatte Hunderte SMS an eine Nummer verschickt. Und dann tat ich etwas, das ich nie wieder machen würde. Ich checkte heimlich ihre Mails. Mein Weltbild zerbröselte vor dem Bildschirm. Die Nachrichten waren eindeutig: Anna hatte ein Verhältnis mit ihrem Kollegen. Ich fühlte mich, als hätte ich einen schweren Autounfall gehabt. Geschockt, benommen, mein ganzer Körper tat mir weh, Gedanken flipperten unkontrolliert durch meinen Kopf.
Als die Kinder abends schliefen, drückte ich Anna wortlos die ausgedruckten Mails in die Hand. Wieder erkannte ich meine Frau nicht. Ich hatte mit Tränen und Beteuerungen gerechnet, zumindest mit Gründen oder Vorwürfen. Anna blieb jedoch relativ gefasst. Wie in einem Kitschroman mit vertauschten Rollen erklärte sie, dass es einfach so passiert sei. Meine Fragen nach dem Warum beantwortete sie nicht. Ich erinnere mich noch an ihre pragmatische Bitte: „Lass' uns ein Loch buddeln, den ganzen Mist hineinschmeißen und neu starten.“ Und das taten wir. Den Kindern zuliebe, aber auch, weil ich nicht einfach die Brocken an die Wand schmeißen wollte. Da waren so viele Gefühle zwischen uns, die konnte ich nicht ausknipsen. Ich wollte mich nicht vom Traum einer glücklichen Familie verabschieden, denn genau die vermisste ich, seit ich denken konnte. Also steckte ich ihr heimlich Gedichte in die Handtasche und kochte abends für uns.
Das Vertrauen war angeknackst
Doch gleichzeitig war mein Vertrauen zu Anna so angeknackst, dass ich ständig einen neuen Betrug witterte. Die Unbeschwertheit zwischen uns war weg, die Atmosphäre gereizt und angespannt. Also schlug ich Anna eine Eheberatung vor, aber sie winkte entnervt ab. Ich bin ganz sicher, dass mir die Gespräche geholfen hätten, vielleicht hätten sie sogar unsere Beziehung gerettet. Denn am meisten machte mir zu schaffen, dass Anna keine Gründe für ihren Seitensprung nannte: War ich ihr als Hausmann nicht mehr männlich genug? Wurde ihr die Last als Alleinverdienerin zu groß? Was vermisste sie in unserer Ehe? Was hatte sie bei dem anderen Mann gefunden?
Am meisten machte mir zu schaffen, dass Anna keine Gründe für ihren Seitensprung nannte.
Diese Verunsicherung machte Anna für mich unberechenbar. Wenn ich nachts nicht schlafen konnte, surfte ich im Internet und las Artikel von Paartherapeuten, wie Betroffene mit einer solchen Situation umgehen können und dass Untreue nicht immer das Ende sein musste. Zumindest sollten dafür aber beide bereit sein, miteinander an einer Lösung zu arbeiten – auch das Gefühl fehlte mir.
Nach der Trennung folgte der Sorgerechtsstreit
Nach einem Jahr sagte Anna, dass sie einen anderen Mann kennengelernt habe und bat mich auszuziehen. Dieses Mal blieb ich gefasst. In den vergangenen Monaten war die Mauer zwischen uns immer dicker und höher geworden. Ich spürte sogar ein bisschen Erleichterung, so wie Angehörige, wenn ein Verwandter nach schwerer Krankheit endlich einschlafen darf. Wichtig war mir ab da vor allem, dass die Kinder die Trennung relativ unbeschadet überstanden – und Anna und ich zumindest als Eltern fair miteinander umgingen. Doch auch daraus wurde nichts. Es folgte ein zermürbender Sorgerechtsstreit, der bis vor das Oberlandesgericht ging. Rückblickend bin ich in dieser Zeit um zehn Jahre gealtert, auch wenn meine Eltern und Freunde mich unterstützten. Als der Richter zu meinen Gunsten entschied, habe ich geweint. Anna zog nach Süddeutschland und bekam zwei weitere Kinder. Meine Rettung war, dass Swantje und Mette mich brauchten, und ich immer weitermachen musste. Ich weiß nicht, wie ich die Trennung sonst gepackt hätte. Angst vor einer neuen Liebe hatte ich dennoch nicht. Es bringt schließlich nichts, sich vom Unglück in der Vergangenheit auch noch die Zukunft verbauen zu lassen. Mittlerweile lebe ich wieder in einer Partnerschaft und werde demnächst noch einmal heiraten.
RND/aufgeschrieben von Stephanie Arndt