Damals ausgesiebt, heute geeignet?
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/LE7Y2QL575L34YUBD2PWFRSUKU.jpg)
Ein symbolisches Atommüllfass steht unweit des ehemaligen Erkundungsbergwerks Gorleben. (Foto: phs)
Lüneburg. Zwar ist in Gorleben endgültig Schicht im Schacht, doch damit ist die Suche nach einem Atomendlager nicht mehr als nur einen Trippelschritt vorangekommen. Die Bundesgesellschaft für Endlagerung muss den Trichter bei ihrer Suche verkleinern. In Zahlen: Aus 54 Prozent des Bundesgebietes müssen etwa 5 werden. Aus 289 betroffenen Landkreisen bundesweit vielleicht noch 25. Aus 90 Standortregionen nicht mehr als sechs.
Atomkraftgegner Jochen Stay von der Initiative „ausgestrahlt“ kritisiert die Liste: „Diese Karte führt dazu, dass regionale Betroffenheit erst gar nicht aufkommt. Wer etwa über einem Salzstock lebt, der mit in der Auswahl ist, nun jedoch auf der Karte riesige Tongebiete im Umkreis sieht, kommt möglicherweise zu dem Eindruck, er oder sie müsse sich gar nicht mehr als andere mit dem Thema beschäftigen.“ Damit verfehle der Zwischenbericht sein eigentliches Ziel, „die betroffene Bevölkerung in die Debatte um die Standortsuche mit einzubeziehen“.
Geologen suchten 1983 mit Daten der Öl-Konzerne
Überrascht zeigten sich Atomkraftgegner aus der Region am Montag, dass auch der Salzstock Gülze-Sumte im Kreis Lüneburg von der Liste möglicher Endlagerstandorte geflogen ist. In einer Studie der Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe (BGR) von 1995 hatte er noch die zweithöchste Kategorie bei der Endlagereignung erreicht.
Die Überraschung dürfte anhalten. Nach Recherchen der LZ galten acht der neun am Montag genannten niedersächsischen Salzstöcke in der Region Lüneburg den Geologen noch im Jahr 1983 als ungeeignet für ein Endlager. Sie benannten vor 37 Jahren nach ihrer Vorauswahl 15 niedersächsische Salzstöcke als endlagerfähig. Darunter Gorleben. Natürlich, möchte man schreiben angesichts der vorab politisch gefällten Entscheidungen. Darunter war aber nur ein einziger der nun am Montag in der Region benannten Salzstöcke: Wittingen. Und auch der wurde damals mit einem großen Fragezeichen versehen.
Schon 1982 war die Bundesanstalt für Geowissenschaften in Hannover beauftragt worden, die Eignung der niedersächsischen Salzstöcke zu untersuchen. Am 19. Mai 1983 legte sie ihren 131 Seiten starken Bericht vor. Die Geologen sollten damals nach Standorten mit einem mindestens 200 Meter mächtigen Deckgebirge suchen. Sie stützten sich dabei zum Teil auf Unterlagen der Erdölindustrie, die auf der Suche nach dem schwarzen Gold Niedersachsens Boden durchleuchtet hatte.
Vergleicht man die Einschätzungen der Geologen damals und heute, zeigen sich eklatante Unterschiede. Zu hoffen wäre, dass dies auf einem Zuwachs an Wissen über das Reich unter unseren Füßen beruht. Doch selbst in diesem Fall offenbart der Vergleich, wie vorläufig augenscheinlich sogar naturwissenschafliche Erkenntnisse sind.
Wittingen: 1983 verorteten die Geologen der Bundesanstalt den Salzstock zwischen 250 und 750 Meter unter Normalnull. Als „Bewertung“ steht auf Seite 103 des Berichts: „Aufgrund seiner geringen Größe in der für ein Endlagerbergwerk in Betracht kommenden Teufe entspricht der Salzstock wahrscheinlich nicht den Vorauswahlgesichtspunkten.“
2020 wird die Teufenlage mit 580 bis 1500 Metern unter der Geländeoberkante angegeben.
Rosenthal (Echem/Neu Neetze): 1983: Langgestreckter, ca. 15 Kilometer langer und 4 Kilometer breiter Salzstock. Die größte Aufwölbung des Salzstocks liegt ca. 700 Meter unter NN. „Aufgrund seiner Tiefenlage entspricht der Salzstock nicht den Vorauswahlgesichtspunkten.“ Damals galten Einlagerungssohlen, die tiefer als 1000 Meter liegen, als ungeeignet, weil es dort zu heiß werde.
2020 gilt diese Tiefenbeschränkung nicht, wurden auch Salzformationen zwischen minimal 300 bis 1500 Meter unter der Oberfläche begutachtet, sodass Rosenthal im Verfahren blieb.
Egestorf-Soderstorf: 1983 lautete die Bewertung: „Der mangelhafte Kenntnisstand erlaubt z. Zt. keine Bewertung des Salzstocks.“ 2020 blieb die Salzstruktur mit einer Gesamtfläche von 26 Quadratkilometern im Verfahren.
Ebstorf/Wettenbostel: Über den langgestreckten, vier Kilometer langen und zwei Kilometer breiten Salzstock hieß es 1983: „Da nur ein relativ kleiner Teil des Salzstocks hoch genug aufragt, entspricht er nicht den Vorauswahlgesichtspunkten.“
Inzwischen ist das anders. 2020 blieb der 780 Meter mächtige Salzstock mit einer Fläche von 43 Quadratkilometern im Verfahren.
Horndorf/Bohndorf: Der ovale Salzstock wurde 1983 „aufgrund der Kleinheit der in weniger als 700 Meter Teufe aufragenden Teile der Salzstockoberfläche“ ausgesiebt.
2020 blieb er mit einer Fläche von 15 Quadratkilometern als Teilgebiet im Verfahren.
Rosche-Thondorf: Die 27 Kilometer lange und maximal 3,5 Kilometer breite „Salzmauer aus Zechsteinsalinar“ kam 1983 „aufgrund der geringen Ausdehnung der weniger als 700 Meter unter Normalnull gelegenen Bereiche“ nicht durch die Vorauswahl.
37 Jahre später gelten auch noch Salzstockbereiche bis 1500 Meter Tiefe als technisch machbar. Folglich blieben 30 Quadratkilometer im Verfahren.
Bahlburg-Garstedt: 1983 wurde auch dieser langgestreckte Salzstock „aufgrund der geringen Größe des weniger als 700 m unter NN gelegenen Teile der Salzstockoberfläche“ ausgesiebt.
2020 galten andere Vorgaben. Das Teilgebiet blieb mit 19 Quadratkilometern im Zechstein der Salzstruktur im Verfahren.
Bodenteich: Der ovale, 7 km lange und maximal 3,5 km breite, mit dem Salzstock Wieren verbundene Salzstock galt 1983 „aufgrund der geringen Größe des weniger als 700 m unter NN gelegenen Teils der Salzstockoberfläche“ als zu klein für Endlagerpläne.
2020 gilt dies nicht mehr. 42 Quadratkilometer wurden zum Teilgebiet ernannt.
Lüneburg: Der rundliche Salzstock mit einem Durchmesser von 1,5 Kilometern wurde lange Zeit durch Salinen genutzt. Liegt zudem vollständig unter städtischer Bebauung. Deshalb fiel er 1983 „aufgrund seiner hohen Lage und geringen Ausdehnung“ durch das Raster.
2020 wurde dagegen die flache Salzformation, die über das Stadtgebiet hinausragt, noch zu den zu überprüfenden Standorten gezählt.
Keine Rolle spielten in der Studie von 1983 die Tonformationen, die in fast ganz Norddeutschland flächendeckend zu finden sind, als mögliche Endlagerstruktur.
Im Zwischenbericht Teilgebiete spielen sie dagegen eine große Rolle, sodass der Landkreis Lüneburg quasi in Gänze noch im Verfahren ist.
Ein Grund, warum neben den Atomkraftgegnern und dem BUND nun auch die SPD-Landtagsabgeordnete Andrea Schröder-Ehlers den Kreis in die Pflicht nimmt: „Wir brauchen jetzt auf Kreisebene ein Gremium, das sich mit der Bewertung der aktuellen Karte befasst und geeignete Strategien entwickelt, ... um am Ende nicht kalt erwischt zu werden.“