Das Kloster Lüne wird 850 Jahre alt. Es birgt eine immense Anzahl von kulturellen Schätzen. Diese und das geistige Erbe des Klosters für die Zukunft zu bewahren, haben sich der Konvent und die Äbtissin zur Aufgabe gemacht. Äbtissin Reinhild Freifrau von der Goltz verrät im Gespräch unter anderem auch, wie es mit dem "Kloster-Nachwuchs" ausschaut.
Lüneburg. Die Geschichte des Lüner Klosters begann 1172 mit der Erlaubnis des Verdener Bischofs an fromme Frauen, ein Kloster gründen zu dürfen. Seit 1272 lebt der Konvent nach den Regeln des heiligen Benedikt. Die Klosteranlage birgt eine immense Anzahl von kulturellen Schätzen wie Bildwerke, alte Schriften, Skulpturen und Teppichkunst. Diese wie auch der gotische Brunnen, Kapitelsaal, Äbtissinnen-Thron, das Rosa Barockhaus und vieles mehr faszinieren jedes Jahr Tausende Besucher. Das Jubiläumsjahr blickt nun mit vielen Veranstaltungen auf die 850 Jahre. Das Motto: Tradition mit Zukunft. Die LZ sprach dazu mit Äbtissin Reinhild Freifrau von der Goltz, die mit dem Konvent das kulturelle und geistige Erbe des Klosters für die Zukunft bewahrt.
Frau Äbtissin, Sie stehen seit 14 Jahren dem Kloster vor. Warum haben Sie sich für diese Aufgabe entschieden?
Reinhild Freifrau von der Goltz: Mit meinem Mann und meinen Kindern habe ich in der Nähe des Klosters Wienhausen gelebt und Verbindung zum Kloster gehabt. Meine Schwägerin war dort Konventualin, und ich habe dort Führungen gemacht. Dann kam eine neue Äbtissin, es entstand eine Freundschaft zu ihr. Als für das Kloster Lüne eine Äbtissin gesucht wurde, riet sie mir, mich zu bewerben. Mein Mann war inzwischen – leider viel zu früh – gestorben. Nach reiflicher Überlegung habe ich mich dann zwischen Weihnachten und Neujahr 2006 beworben. Der Konvent hatte unter allen Bewerberinnen drei, darunter mich, ausgewählt, die dann abwechselnd im Kloster gewohnt haben. So konnten wir drei uns dem Konvent vorstellen, dessen Aufgabe es ist, die Äbtissin zu wählen. Die Wahl erfolgt geheim unter Aufsicht des Landeskommissars. Denn wir sind eine rechtlich selbstständige Körperschaft des öffentlichen Rechts und leben nicht mehr nach den Ordensregeln, sondern nach der Klosterordnung, die der Landesherr beziehungsweise die Landesregierung erlässt.
Reinhild Freifrau von der Goltz wurde einstimmig am 26. September 2007 zur Äbtissin gewählt. Anfang November übernahm sie die Geschäftsführung, am 29. März 2008 wurde sie feierlich in ihr Amt eingeführt und eingesegnet. Mit der Wahl hat die Äbtissin die Verantwortung für alle und alles.
Das Wort der Äbtissin gilt in den Klostermauern?
In letzter Instanz ja. Aber ich höre auf den Rat des Heiligen Benedikt: Der Abt soll tunlichst auf den Rat der Brüder, vor allem der jüngeren Brüder hören.
Sie sind die Geschäftsführerin, die Managerin des Klosters. Was bedeutet das?
Als Äbtissin ist man allein verantwortlich für die Gebäude und deren Erhalt, die Kunstschätze, die Liegenschaften sowie für die Verkehrssicherungspflicht an der langen Klostermauer und zur Bahnstrecke hin. Das alles zu managen, kann ich natürlich nicht alleine, sondern nur gemeinsam mit dem Konvent und den Mitarbeitern des Klosters. Es ist eine vielfältige, spannende Aufgabe mit großen Herausforderungen. Oft nimmt die reine Geschäftsführung so viel Zeit in Anspruch, dass der Konvent dahinter bedauerlicherweise zurücksteht.
Welche Projekte standen in den vergangenen Jahren im Fokus?
Große Freude haben mir verschiedene Bauprojekte bereitet, die mit Unterstützung der Experten der Klosterkammer Hannover und mit den Geldern zur Bauunterhaltung möglich waren wie die Renovierung der Klosterkirche sowie die der Krüger-Villa, die sehr aufwendig war. Der Kapitelsaal, einst zentraler Versammlungsort der klösterlichen Gemeinschaft, bekam eine Fußbodenheizung. Außerdem sind eine neue Werkstatt und ein Sozialraum für die Mitarbeiter entstanden.
Wie wird das alles finanziert?
Beim Land liegt die Verpflichtung, uns zu unterhalten. Diese wurde auf die Klosterkammer Hannover übertragen.
850 Jahre Frauen im Kloster – was bedeutete das früher?
Gegründet wurde das Kloster Ende des 12. Jahrhunderts von Frauen, die ein eigenständiges, selbstbestimmtes und gottgefälliges Leben führen wollten. Frauen waren versorgt und damit unabhängig vom guten Willen der Familie, wenn sie nicht heirateten. Nonnen kamen in der Regel als junge Mädchen ins Kloster und hatten damit ausgezeichnete Chancen auf Bildung, und sie konnten im Kloster auch Karriere machen, indem sie für unterschiedliche Aufgabengebiete verantwortlich zeichneten. Von der Scriptorin – vor der Erfindung des Buchdrucks wurden Bücher durch Abschreiben vervielfältigt – über Sangmeisterin bis hin zur Subpriorin und Äbtissin. Wie selbstbestimmt Frauen im Kloster lebten, zeigen zahlreiche Belege im Klosterarchiv. Gegen die durch den Celler Herzog Ernst von Braunschweig und Lüneburg eingeführte Reformation wehrten sich die Frauen heftig, es dauerte Jahrzehnte bis zur Annahme der Lehre Luthers. Gleichzeitig wurde das Kloster vom Herzog enteignet, sodass nur noch der Grundbesitz in den Mauern blieb. Durch den Verlust der Propsteigüter verfügte das Kloster nicht mehr über die Einkünfte wie vor der Reformation. Die Folge: der Konvent musste auf 20 bis 25 Konventualinnen verkleinert werden. Im 13. Jahrhundert hatte Bischof Conrad von Verden noch festgesetzt, dass bis zu 60 Nonnen im Kloster Aufnahme finden sollten.
Und heute?
Die Mitglieder des Klosters leben als Koventualinnen in einer Glaubens-, Lebens- und Arbeitsgemeinschaft. Der Konvent fühlt sich verantwortlich für das Kloster. Die Konventualinnen sehen es als ihre Aufgabe an, das Kloster zu erhalten und mit Leben zu füllen. Damit erfüllen sie den in der Klosterordnung vorgegebenen Auftrag, bei dem sie von der Klosterkammer – wie bereits ausgeführt – unterstützt werden. Der gesellschaftliche Auftrag des Klosters hat sich auch nach 850 Jahren nicht gänzlich geändert. Gemäß der geltenden Klosterordnung ist das Kloster „Träger ehrwürdiger Überlieferung und dient gemeinnützigen, kirchlichen und mildtätigen Zwecken.
Für alleinstehende Frauen ist das Kloster ein wunderbarer Ort, um in Gemeinschaft und christlicher Verbundenheit zu leben und bis ins hohe Alter sinngebende, interessante Aufgaben zu übernehmen. Bei Führungen präsentieren wir der Öffentlichkeit die kulturgeschichtlichen und bauhistorischen Schätze des Klosters. Außerdem öffnen wir Kirche und Kloster für zahlreiche Veranstaltungen. Auch laden Kirchengemeinde und Konvent seit mehreren Jahren alle Besucher und Gäste zur Vesper, dem gesungenen Abendgebet, ein, die auf dem Nonnenchor stattfindet. Das alles ermöglicht interessante Begegnungen und wirkt einer Vereinzelung im Alter entgegen.
Welche Voraussetzungen muss eine Frau erfüllen, um in Ihre Gemeinschaft aufgenommen zu werden?
Sie sollte nicht viel älter als 65 Jahre, evangelisch, rechtlich alleinstehend sein und ihren Lebensunterhalt selber bestreiten können. In der Regel kommen Frauen nach dem Ausstieg aus dem Arbeitsleben ins Kloster. Ich würde aber gerne die Idee umsetzen, auch berufstätige Frauen aufzunehmen. Unsere Priorin Charlotte Pattenden ist ein Beispiel dafür, wie sich Beruf und Kloster vereinbaren lassen. Was man in sich tragen sollte, ist die Liebe zu den alten Mauern und den Traditionen, die damit verbunden sind und die in die Zukunft geführt werden sollen.
Wird es genug „Nachwuchs“ geben?
Eine künftige Klosterfrau steht bereits ante portas. Und es wird weiter „Nachwuchs“ geben, weil zunehmend Menschen alleine leben und Familie wegfällt. Das Kloster bietet Gemeinschaft genauso wie die Möglichkeit zum Rückzug, denn alle Konventualinnen haben eigene Wohnungen. Für den letzten Lebensweg steht das Kloster Marienwerder im Nordwesten von Hannover offen.
Gibt es größere Projekte, die in den kommenden Jahren umgesetzt werden sollen?
Das Rosa Barockhaus muss dringend saniert werden, da es dort Feuchtigkeitsschäden gibt. Errichtet wurde es nach 1729 in der Mitte des Klosters, nachdem Georg II., König von England und Kurfürst von Hannover, dem Kloster einen Besuch abgestattet hatte und für ihn eine standesgemäße Unterkunft geschaffen werden sollte, falls er wiederkäme. Er starb aber vor Beendigung des Baues.
Sie sind hoch geschätzt, nicht nur als Managerin des Klosters Lüne. Was bedeuten Ihnen die vergangenen Jahre?
Äbtissin zu sein, ist ein großartiges, neues Leben, wobei ich aber mein erstes Leben nicht missen möchte. Manchmal frage ich mich, woher ich den Mut genommen habe, den Schritt zu tun. Aber es war eine wunderbare Entscheidung, die mir viele Chancen und Möglichkeiten eröffnet hat. Und ich habe die unterschiedlichsten Menschen kennenlernen dürfen, das war eine große Bereicherung.
Von Antje Schäfer