Der Baukran ragte weit über das Haus eines Anwohners. (Foto: privat)
Ein Baukran ragte weit über das Grundstück eines Lüneburgers. Er ging gerichtlich dagegen vor. Das Landgericht Lüneburg gab ihm nun recht, der Kran wurde demontiert. Das Bauunternehmen gibt aber nicht auf und wird vor das Oberlandesgericht ziehen.
Werner Kolbe
Lüneburg. Der alte Bungalow ist längst abgerissen, die Baugrube ausgehoben. Hier, am Tüner Berg in Lüneburg, soll ein Sieben-Parteien-Mehrfamilienhaus entstehen. Ein Baukran stand bereit – die Betonung liegt auf „stand“, denn am Donnerstag musste der 18-Meter-Kran abgebaut werden. Das ist die Konsequenz aus der Entscheidung des Landgerichts Lüneburg in einem einstweiligen Verfügungsverfahren. Was war passiert?
„Als der Kran aufgebaut wurde, war das für mich eine Art von Hausfriedensbruch“, sagt der Anwohner, der namentlich nicht genannt werden möchte. Er wohnt zusammen mit Tochter und Enkelkind in dem Haus neben der Baugrube. Er hat Fotos gemacht. Darauf ist zu sehen, wie der Gegenausleger des Krans mit den schweren Gewichten über seinem Haus schwebt, über der Eingangstür, und auch über dem Schlafzimmer von Tochter und Enkelin. Hinzu kommt, dass es sich um einen sogenannten kopfdrehenden Kran handelt, der sich zum Abfangen der Windlast im oberen Bereich frei drehen muss, der deutlich längere Ausleger zweitweise auch über die gesamte Grundstücksbreite ragen kann. Ein „Risiko“, eine Verletzung seiner Rechte am eigenen Haus und Grund, die der Mann nicht hinnehmen wollte und will. Er habe vorher nicht gewusst, dass der Kran so nah an seinem Grundstück stehen würde.
Dem widerspricht Stefan Müller. Er ist Geschäftsführer des Bleckeder Unternehmens Tillmann Bau GmbH, Bauherrin des Vorhabens am Tüner Berg. Ein entsprechender Brief, betont er, sei vier Wochen vorher abgeschickt worden. Zudem hätte es keinen anderen, besseren Standort gegeben. Der Kran sei auch nicht zu groß, und die Belastungen für die Anwohner sollten in der gesamten Bauphase so gering wie möglich gehalten werden. Rund vier Monate sollte der Kran dort stehen. Für den Fall, dass sich der Bau verzögert, habe er dem Anwohner pro angefangenem Monat 1000 Euro als „Entschädigung“ zahlen wollen, sagt Müller. Doch es gab keine Einigung. Ein Vergleichsangebot vom Anwalt des Klägers lehnt Müller ab. Dabei ging es um viel Geld. Um 30 000 Euro Sicherheitsleistung für den Fall, dass etwas passiert. Um Schmerzensgeld, um eine Art Miete für die Nutzung des Luftraumes, sagt Müller. Und: „Wozu eine Sicherheitsleistung? Ich habe schließlich eine Versicherung, die Schäden auch im Millionenbereich abdeckt.“
Der Anwohner betont, er sei selbst nicht glücklich gewesen mit dem Vergleichsangebot seines Anwaltes. Denn Angst könne man ja nicht abkaufen. Er sieht aber auch die Risiken und Kosten langwieriger Prozesse auf sich zukommen. Also muss das Landgericht entscheiden.
Am 8. Februar ist es soweit: „Der Baufirma wird geboten, es zu unterlassen, den Schwenkarm für Lasten und den Ausleger mit Kontergewicht eines Baukrans...über das Grundstück des Klägers zu schwenken oder schwenken zu lassen.“ Für den Fall einer Zuwiderhandlung setzt das Gericht ein hohes Ordnungsgeld fest. Einfach ausgedrückt: Ein Kran, der sich nicht drehen darf, ist nutzlos.
In der Urteilsbegründung spielen zwei juristische Begriffe eine wichtige Rolle: Die „verbotene Eigenmacht“ und das „Hammerschlags- und Leiterrecht“. Die verbotene Eigenmacht ist im Zivilrecht der zentrale Begriff des Besitzschutzes. Als verbotene Eigenmacht gilt „die Beeinträchtigung des unmittelbaren Besitzes durch widerrechtliche Entziehung oder Störung“. Das „Hammerschlags- und Leiterrecht“ erlaubt es einem Grundbesitzer, das Grundstück des Nachbarn zu betreten, um auf seinem Grundstück Bau- oder Instandsetzungarbeiten durchzuführen. Dieses muss aber vier Wochen vorher angekündigt werden.
Für das Gericht ist aber am Ende klar: „Das Eindringen der Teile des Krans in den Luftraum des Nachbargrundstückes ist als verbotene Eigenmacht anzusehen.“ Denn auch der über einem Grundstück befindliche Luftraum unterstehe der Herrschaftsgewalt des Besitzers, der ein „rechtlich schützenswertes Interesse daran hat, dass dieser nicht gegen seinen Willen beeinträchtigt wird“. Dass vom Kranarm selbst eine konkrete Gefahr ausgehe, sei nicht erforderlich. Die vom Eindringen des Schwenkarms in den Luftraum des Nachbargrundstücks ausgehenden Belästigungen seien vom Nachbarn „grundsätzlich nicht hinzunehmen“. Und: Die verbotene Eigenmacht sei nicht deshalb ausgeschlossen, weil der Beklagte sich möglicherweise auf das Hammerschlags- und Luftrecht berufen könnte. Auch die Frage, ob das Schreiben mit der Ankündigung der Aufstellung des Baukranes pflichtgemäß rechtzeitig und tatsächlich dem Kläger zugegangen sei, „ist unerheblich“. Denn laut Bundesgesetzbuch sei dem Beklagten die Berufung auf das Hammerschlags- und Leiterrecht „ohnehin versagt“.
Stefan Müller wird das Haus am Tüner Berg weiterbauen – und dabei mobile Kräne einsetzen. Dafür muss aber immer eine Straßensperrung beantragt werden. Das bedarf großer Vorplanung. Denn manchmal komme eine Genehmigung schon innerhalb von zwei Tagen, manchmal dauere es auch mehrere Wochen. Unwägbarkeiten, die seine Firma nur stemmen könne, weil sie viele Mitarbeiter und viele Aufträge habe. Wenn es am Tüner Berg mangels Kran hake, könne er seine Mitarbeiter zu einer anderen Baustelle beordern. „Für kleine Firmen kann so etwas aber das Aus bedeuten“.
Auch deshalb werde er gegen die Entscheidung des Landgerichts vorgehen. Müller setzt auf eine Duldungsklage und auf das Oberlandesgericht Celle. Er hofft auf einen Erfolg „im Interesse aller Bauherren und Bauunternehmen bundesweit“, denn es wäre fatal, wenn man keine Kräne mehr aufstellen dürfte, das Bauen „ist ohnehin schon viel zu teuer in Deutschland“.
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