Die eiskalte Spur
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Bei einer Pressekonferenz im Mai hatte die Ermittlungsgruppe Göhrde-Morde der Polizei um deren Leiter Jürgen Schubbert (l.) die Asservate aus der Durchsuchung des Grundstückes von Kurt-Werner Wichmann präsentiert. Die Polizeiarbeit ist ein wesentlicher Bestandteil der Doku, die am Freitag im NDR zu sehen sein wird. (Foto: phs)
Lüneburg. Die Geschichte wurde oft erzählt, aber nicht so. Es geht um Kurt-Werner Wichmann, der als Serienmörder gilt. Mit hoher Wahrscheinlichkeit hat er 1989 Birgit Meier aus Brietlingen getötet, er könnte für die Göhrde-Morde im selben Jahr verantwortlich sein, zwei Paare starben damals. Eine DNA-Spur Wichmanns legt eine Verbindung nahe. Bekannt. Doch wie hat die Polizei ermittelt? Warum haben die Beamten in der Vergangenheit vieles übersehen? Warum waren Staatsanwälte so zögerlich? Was machen die Morde mit den Hinterbliebenen? Einige Antworten liefert Björn Platz. Der Fernsehjournalist hat den Fall und die Protagonisten drei Jahre lang begleitet. Seine Dokumentation „Eiskalte Spur – Die Göhrde-Morde und die verschwundene Frau“ ist am Freitag, 27. September, ab 20.15 Uhr im NDR-Fernsehen zu sehen.
Die Geschichte ist nicht ohne Wolfgang Sielaff zu erzählen. Birgit Meier war die Schwester des ehemaligen Chefs des Hamburger Landeskriminalamtes. Nachdem er 2002 in den Ruhestand ging, wertete der Polizist, der nicht nur in Deutschland einen exzellenten Ruf besitzt, weil er unter anderem gezielt gegen die organisierte Kriminalität vorging, Akten aus, fand Verbindungen. Er schaffte es nach Jahren schließlich, dass der damalige Polizeipräsident Robert Kruse und der Leiter der Staatsanwaltschaft Lüneburg, Gerhard Berger, die Ermittlungen mit einem Team wieder aufnahmen. Parallel dazu hatte die lokale Polizei eine Ermittlungsgruppe eingesetzt. Inzwischen wurden die Einheiten zusammengelegt.
Als die Killer auf den Kiez kamen
„Ich kannte Sielaff schon vorher“, sagt Platz. Als Polizeireporter habe er eine Geschichte unter dem Titel „Als die Killer auf den Kiez kamen“ gemacht. In dem Blick auf die Kriminalhistorie ging es um Werner „Mucki“ Pinzner, der als Auftragsmörder im Hamburger Milieu unterwegs war und 1986 im Polizeipräsidium einen Staatsanwalt, seine Frau und schließlich sich selbst erschoss. Sielaff leitete damals die Dienststelle, die für Ermittlungen im Rotlichtmilieu und damit auch für Pinzner verantwortlich war.
Sielaff ist ein strategisch denkender Mann. Er hat für sein Anliegen in einem Unterstützerkreis Forensiker, Juristen und Polizisten um sich geschart. Und er hat sich Partner in den Medien gesucht, die sein Anliegen begleiten. Einer ist Platz. „Ich habe für den NDR die Serie Morddeutschland gestartet“, sagt der Journalist. „Ich wollte Sielaff mit der Birgit-Meier-Story haben, aber gemerkt, das passt da nicht rein.“ Es musste ein eigener, großer Beitrag werden.
Gespräche mit den Hinterbliebenen
Also entstand eine Verbindung. Schon früh konnte Platz so die Recherchen des alten Polizisten Sielaff verfolgen. Gleichzeitig gelang es ihm, auch die Lüneburger Polizei für Interviews zu gewinnen. Darüber hinaus bekam er Zugang zu Familien, deren Angehörige möglicherweise auch von Wichmann ermordet wurden – zum Beispiel die Töchter eines der beiden Paare, die in der Göhrde starben.
Um im Fernsehen erzählen zu können, braucht es Bilder. Eine Selbstverständlichkeit. Doch die muss man erst einmal haben. So gilt es, Interviewpartner nicht nur zu überzeugen, zu reden, sondern sich beispielsweise privat filmen zu lassen. Nun zeigt Platz oftmals in exklusiven Bildern eine sehr dichte Reportage.
Wichmann, der sich 1993 das Leben nahm, hat schon als Jugendlicher eine Nachbarin überfallen und gewürgt, ihr Baby lag daneben. Wichmann hat eine Anhalterin entführt und vergewaltigt, es grenzt vermutlich an ein Wunder, dass sie ihm lebend entkam. Wichmann könnte 1968 auch Ilse Gerkens erschossen haben, als sie vom Einkaufen in Lüneburg durch den Tiergarten nach Hause in Richtung Deutsch Evern radelte. Platz sprach mit ihrer Tochter Anke. Das Filmteam besuchte mit ihr gemeinsam die LZ. Diese Szene ist allerdings nicht in der Dokumentation zu sehen: „Wir mussten vieles kürzen.“
Die Polizei hat im Rahmen ihrer Ermittlungen eine Plattform eingerichtet, mehr als 200 ungeklärte Mordfälle finden sich dort, die möglicherweise in einem Zusammenhang mit Wichmann stehen könnten. Sein Aktionsradius könnte im Norden, aber auch in Süddeutschland gelegen haben, er lebte zeitweilig in Karlsruhe.
Polizisten nehmen mehr als 400 Asservate mit
Platz sagt: „Ich glaube nicht, dass es so viele Morde waren, aber mehr als Dutzend könnten es gewesen sein.“ Wenn der ehemalige Friedhofsgärtner tatsächlich im Sommer 1989 binnen eines knappen Vierteljahres fünf Menschen umgebracht habe, sei wahrscheinlich, dass er später weitermachte: „Und was war in den 70er- und 80er-Jahren?“
Im Frühjahr 2018 hat die Pol
zei Wichmanns altes Haus am Lüneburger Stadtrand förmlich auseinandergenommen, auf dem Grundstück waren zig Sachen verbuddelt, Trophäen? Mehr als 400 Asservate nahmen die Spezialisten mit. Noch immer werden sie ausgewertet. Doch offenbar fanden die Experten keine Spuren, die sie zu weiteren Opfern führen. Wie auch andere wundert sich Platz, „wie wenig dabei rauskommt“. Allerdings müsse man bedenken, dass in der Vergangenheit viele Asservate vernichtet wurden, auch weil man damals nicht an die DNA-Analyse dachte, die heute wie ein Schlüssel zu ungeklärten Fällen wirkt.
Bruder steht neben Knochen seiner toten Schwester
Zu den berührendsten Szenen der 90-minütigen Dokumentation gehören Aufnahmen in der Garage von Wichmanns Grundstück. Sielaff und sein Team aus Gerichtsmedizinern und Forensikern fanden Ende September 2017, also vor zwei Jahren, in einer Kfz-Reparaturgrube die Überreste Birgit Meiers. Zwar war Platz selbst nicht in der Garage, aber eine Kamera des NDR. Da stehen Birgit Meiers Bruder Wolfgang Sielaff und ihr Mann Harald Meier neben den Knochen der Toten. Für die Männer geht ein Teil der Geschichte hier zu Ende. Nach 28 Jahren. Denn die Überreste haben sie bestattet und so einen Ort zum Trauern.
Die Kriminalgeschichte allerdings geht weiter. Entscheidend dabei ist jemand, um den die Recherchen der Polizei kreisen. Da man gegen Tote nicht ermitteln kann, ein juristischer Grundsatz, fußen die Ermittlungen darauf, dass Wichmann einen Komplizen hatte. Ein konkreter Verdacht richtet sich gegen einen engen Angehörigen. Der entscheidende Beweis fehlt. So bliebt der Fall mörderisch mysteriös.
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