Während der zweite Lockdown noch läuft, wird schon über eine Verlängerung sogar bis Ostern diskutiert. Derweil ist die Gastronomie bereits seit November in Kurzarbeit und auch die Schüler sitzen seit der Woche vor Weihnachten wieder Zuhause. Doch wie ist die Situation der regionalen Wirtschaft? Dazu nimmt Bernd Wiechel, Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbandes Lüneburg-Nordostniedersachsen im Interview Stellung.
Herr Wiechel, in diesen Tagen wird viel darüber diskutiert, ob und wie lange die Wirtschaft diesen zweiten Lockdown durchhalten kann. Wann gehen hiesige regionale Betriebe in die Knie?
Da muss man unterscheiden, von dieser Krise sind manche Branchen wirtschaftlich stärker betroffen, andere dagegen weniger oder gar nicht. Auf Krankenhäuser, Seniorenheime, viele Hilfsorganisationen wie das DRK, aber auch deren Zuliefererbetriebe hat die Pandemie bezüglich der Arbeitsplätze keinen negativen Einfluss, ganz im Gegenteil. Es werden dringend Arbeitskräfte benötigt. Und es gibt auch Firmen, deren Produkte in diesen Monaten mehr denn je gefragt sind.
Ganz anders sieht es dagegen in der Veranstaltungsbranche, beim Einzelhandel und der Gastronomie aus.
Ja, aber auch beim Gewerbe, das vom Lockdown unmittelbar betroffen ist, muss man differenzieren. Der stationäre Einzelhandel hatte angesichts der Online-Konkurrenz auch zuvor schon strukturelle Probleme, die durch die Corona-Pandemie noch einmal verstärkt wurden. Diese Branche muss ihr Konzept grundsätzlich neu ausrichten, auch für die Zeit nach der Krise. Einige Betriebe aber werden diese Monate wohl nicht überstehen, was sehr bedauerlich ist. Aber auch in den vergangenen Jahren waren schon viele Einzelhandelsgeschäfte der Konkurrenz nicht gewachsen, in jeder Innenstadt gibt es dafür Beispiele.
Die Gastronomie aber funktionierte ja bislang...
Ja, für Hotels und Gaststätten gilt es jetzt vor allem durchzuhalten. Denn die Pandemie wird nichts an der Einstellung der Menschen ändern, die reisen wollen und auch wieder die Restaurants aufsuchen werden. Ich bin guter Hoffnung, dass dort das Geschäft wieder deutlich anziehen wird, wenn die Krise überwunden und durch die Impfungen eine Sicherheit geschaffen worden ist. Das wird womöglich länger dauern als vorhergesagt, aber in ein oder spätestens zwei Jahren wird die Situation wieder die alte sein.
Wie bewerten Sie die Hilfspakete von Bund und Land, die für diese Branchen geschnürt wurden?
Wenn der Staat derartige Eingriffe vornimmt und ein Unternehmen zur Schließung zwingt, dann ist es nur richtig, wenn es auch einen entsprechenden Ausgleich gibt. Denn dahinter stehen ja viele Existenzen. Natürlich wird es immer Unzulänglichkeiten bei den Hilfen geben. Aber eine solche Pandemie ist für alle Neuland, da gibt es nicht den goldenen Weg oder die eine richtige Entscheidung. Ich würde nicht so weit gehen und konkret einzelne Maßnahmen in Frage stellen wollen. Viel wichtiger ist jetzt: Diese Krise hat strukturelle Schwächen offengelegt und wir müssen uns jetzt fragen, was wir daraus lernen können. Das ist wichtiger als einzelne Entscheidungen aus der Vergangenheit zu diskutieren, die man jetzt ohnehin nicht mehr ändern kann.
Und welche strukturellen Schwächen sind das?
Da sind zwei Bereiche offensichtlich: Wir als Hochtechnologieland müssen uns eingestehen, dass es uns gerade im stark betroffenen schulischen Bereich etwa beim Homeschooling sowohl an den technischen Strukturen in den Schulen, als auch an der Qualifikation der Lehrkräfte fehlt. Das hat man über Jahre schleifen lassen. Und beim jetzigen Versuch dies nachzuholen, zeigt sich, dass in unserem Land ein hohes Maß an Bürokratismus herrscht, der die Umsetzung zum Teil verhindert. Und als Begründung muss dann unter anderem der Datenschutz als Feigenblatt herhalten. Wenn das nicht pragmatischer gelöst werden kann und darf, werden wir große Probleme bekommen. Und auch für die Betriebe ist der Bürokratismus gerade in dieser Pandemie ein großes Ärgernis und Hindernis, schnell zu Lösungen zu kommen.
Aber Corona sollte doch nicht als Vorwand genutzt werden, um Datenschutz und somit Persönlichkeitsrechte aufzuweichen?
Es geht um einen pragmatischen Umgang. Wenn heute jemand im Krankenhaus oder in der Bank mit Dutzenden Papieren allein zum Datenschutz konfrontiert wird, dann kann er das doch gar nicht mehr überblicken. Ich nenne mal ein ganz praktisches Beispiel: Berufsmessen sind elementar wichtig, um Firmen und Schüler miteinander in Kontakt treten zu lassen. Wir planen jetzt gemeinsam mit der Arbeitsagentur eine solche Messe für Februar erstmals virtuell, rund 100 Betriebe haben sich schon angemeldet. Ziel muss es ja eigentlich sein, dass möglichst viele Firmen und Schüler teilnehmen. Doch mittlerweile müssen wir bei so vielen Details prüfen, wo es datenschutzrechtliche Probleme geben könnte, dass hier die Manpower landet, die wir zugunsten der Jugendlichen und Unternehmen besser einsetzten sollten. Wir verlieren oft das Augenmaß im Umgang mit dem Datenschutz. Bei allen richtigen Einwänden: Datenschutz ist nicht das einzige zu schützende Gut. Ein Recht auf Berufsorientierung ist es auch.
Während Sie im Lockdown solche Planungen umsetzen, wird ja diskutiert, eben diesen Lockdown womöglich bis Ostern zu verlängern. Wie schätzen Sie die Folgen ein?
Ich halte eine Verlängerung um wenige Wochen für möglich und realistisch, aber nicht bis Ostern. Das ist schwer durchzuhalten, es hätte dann wirtschaftliche Folgen in einer neuen Dimension. Auch hier wird es darauf hinaus laufen, einen Mittelweg zu finden, zum Beispiel Teileinschränkungen aufrecht zu erhalten. Dabei sollten wir neben den gesundheitlichen auch die wirtschaftlichen und die sozialen Aspekte eines weiteren Lockdowns zumindest mitgewichten.
Die Pandemie bedeutet für einen Arbeitgeberverband auch verstärkten Beratungsbedarf. Wo brauchten die Betriebe in der Region insbesondere ihre Hilfe?
Häufig ging es um Fragen rund um die Kurzarbeit und Fördermittel in der Krise. Aber es stellt Arbeitgeber natürlich auch vor Herausforderungen, wenn an einem Sonntag von der Politik beschlossen wird, dass drei Tage später die Schulen geschlossen werden. Die Beschäftigten müssen kurzfristig sehen, wie sie das mit der Betreuung ihrer Kinder lösen, aber welche Folgen hat das etwa für das Arbeitsverhältnis? Da geht es nicht nur um Rechtsfragen, sondern vor allem auch um praktische Lösungen, die sowohl den Bedürfnissen der Arbeitgeber, als auch der Arbeitnehmer gerecht werden. Da kann man nicht auf staatliche Antworten warten. Insofern haben wir uns in diesem Jahr noch mehr zu Krisenmanagern für unsere Mitgliedbetriebe entwickelt. Die Art und Weise, wie viele Herausforderungen vor Ort gelöst wurden, hat Mut gemacht. Da sieht man, dass wir auch an Krisen wachsen können.