Eleonore Tatge ist die Vorsitzende des Kinderschutzbundes Lüneburg. Ihr ist wichtig, dass umfassende Beteiligungsrechte für Kinder und Jugendliche fixiert werden. (Foto: t&w)
Die Rechte der Kinder sollen explizit im Grundgesetz verankert werden. Ein Gesetzentwurf dazu liegt bereits vor. Doch der bleibe weit hinter der UN-Kinderrechtskonvention zurück, sagen Kritiker wie Leonore Tatge vom Lüneburger Kinderschutzbund.
Lüneburg. 31 Jahre ist es her, dass Deutschland sich der UN-Kinderrechtskonvention verpflichtet hat. Das Abkommen verfolgt das Ziel, die Rechte aller Kinder auf der Welt zu schützen. Nun sollen die Kinderrechte auch im Grundgesetz verankert werden. Ein Gesetzentwurf liegt vor. Doch er stößt bei dem Aktionsbündnis Kinderrechte auf Widerstand. Zu dem gehören 100 Organisationen, unter anderem der Kinderschutzbund. LZ-Redakteurin Antje Schäfer sprach mit Eleonore Tatge, Vorsitzende des Kinderschutzbundes Lüneburg.
Das sieht der Gesetzentwurf vor: Der Artikel 6 des Grundgesetzes, der das Zusammenspiel von Familien und Staat regelt, soll ergänzt werden durch folgende Formulierung: „Die verfassungsmäßigen Rechte der Kinder einschließlich ihres Rechts auf Entwicklung zu eigenverantwortlichen Persönlichkeiten sind zu achten und zu schützen. Das Wohl des Kindes ist angemessen zu berücksichtigen. Der verfassungsrechtliche Anspruch von Kindern auf rechtliches Gehör ist zu wahren. Die Erstverantwortung der Eltern bleibt unberührt.“
Frau Tatge, das Aktionsbündnis hält die geplante Formulierung für unzureichend, sogar für rückschrittlich. Warum?
Eleonore Tatge: Die Verankerung des Kindeswohlvorrangs ist elementar. Das Adjektiv „angemessen“ ist ein zu unbestimmter Rechtsbegriff, der der besonderen Bedeutung des Kindeswohls nicht gerecht wird. Wir möchten, dass „angemessen“ ersetzt wird zum Beispiel durch „vorrangig“, der in der UN-Konvention steht.
Was steht hinter dieser auf den ersten Blick sprachlichen Feinheit?
Konkret geht es um die besondere Berücksichtigung der Kinderinteressen. In Verfahren, gleich welcher Art, werden die Kinder oftmals nicht angehört, sondern es sprechen regelmäßig alleine die Erwachsenen für ihre Kinder. Dies führt besonders in schwierigen familiären Konstellationen – wie zum Beispiel in Familien, in denen Kinder sexuelle oder häusliche Gewalt erleben oder überforderte, sucht- beziehungsweise psychisch kranke Eltern Kindern die Hausarbeit oder Geschwisterbetreuung aufbürden – dazu, dass Kinder nicht gehört werden. Wir möchten aber sicherstellen, dass die betroffenen Kinder das Recht eingeräumt bekommen, immer auch selbst gehört zu werden. Die Vorstellung, dass nur die Verantwortlichen gefragt werden, ist schwer zu ertragen.
Fixiert werden soll auch das Beteiligungsrecht von Kindern, wobei sich der Kinderschutz an der Formulierung „rechtliches Gehör“ reibt.
Die Beteiligung von Kindern darf sich nicht auf das rechtliche Gehör beschränken, sondern muss als umfassendes Beteiligungsrecht formuliert werden. Gerade in der aktuellen Corona-Pandemie hat sich gezeigt, dass die Rechte und Belange von Kindern und Jugendlichen zu oft 29übersehen werden. Wir fordern alle Fraktionen im Bundestag deshalb auf, sich für die Ausformulierung eines umfassenden Beteiligungsrechtes für Kinder stark zu machen. Ich sage 29das auch mit Blick auf die vielen Initiativen, die sich für 29Klimaschutz und eine Mobilitätswende einsetzen. Bislang werden sie mit ihren Interessen zwar gehört, aber an den notwendigen politischen und gesetzgeberischen Prozessen werden sie nicht beteiligt. Dabei geht es um ihr Recht und ihre Zukunft.
Der Kinderschutzbund macht auch deutlich, dass die Änderung des Grundgesetzes auch unbedingt zu einer echten Verbesserung der Lebenssituation von Kindern in Deutschland führt. Könnten Sie dafür ein Beispiel geben?
Wenn Kinder von klein auf erleben, dass ihre Wünsche und Ideen Berücksichtigung finden, hilft dies, dass Kinder ein gutes Selbstbewusstsein und gesundes Selbstvertrauen entwickeln und das führt wiederum dazu, dass Kinder lernen, für ihre Interessen einzustehen. Wenn zum Beispiel in einen Wohngebiet ein Jugendtreff eingerichtet werden soll und man bezieht alle Anwohner ein, können Interessen abgewogen und ausgehandelt werden.
Sind Sie sicher, dass die Kinderrechte noch in dieser Legislaturperiode in das Grundgesetz aufgenommen werden und wird das wirklich etwas verändern?
Im Koalitionsvertrag wurde das ausgehandelt; deshalb glaube ich daran. Allerdings ist es nach 31 Jahren auch mehr als überfällig! Im Prinzip ist die Situation vergleichbar mit der Entwicklung der Gleichberechtigung. Das Gleichheitsrecht wurde zwar im Grundgesetz festgeschrieben, es hat aber Jahrzehnte gedauert, bis dieses auch in den einfachen Gesetzen Niederschlag gefunden hat und sich letztlich im täglichen Leben immer weiter durchgesetzt hat. Auch heute gibt es noch einige Defizite. Es wird ein langer Weg werden. Aber mit der ausdrücklichen Verankerung der Kinderrechte im Grundgesetzt wird der erste Meilenstein gelegt sein.
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