Endlich wieder ein Sommer ohne Einschränkungen. Wir können reisen, auf Konzerte und zu Sportveranstaltungen gehen, ins Kino oder ins Theater, an Stadt- und Stadtteilfesten teilnehmen. Auch der Arbeitsalltag hat uns wieder fest im Griff – aber das hohe Tempo kann uns auch schnell überfordern und an Grenzen bringen.
In dem berührenden US-Filmdrama „Zeit des Erwachens“ von 1991 spielt der unvergessene Robin Williams einen Neurologen, der mit einer neuartigen chemischen Therapie scheinbar ein Wunder bewirkt: Seine Patienten, die teilweise jahrzehntelang im Koma lagen, erwachen aus diesem und kehren ins Leben zurück. Sie lachen, feiern, tanzen, streiten, lieben. Holen alles nach, was ihnen zuvor nicht möglich war.
Dieser Tage fühle ich mich immer wieder an diesen wundervollen Film erinnert. Auch wir erleben nach dem Fall fast aller Corona-Restriktionen so etwas wie eine Zeit des Erwachens. Mehr als zwei Jahre Pandemie, Lockdowns, unzählige Beschränkungen und Absagen haben uns als Individuen und Gesellschaft gelähmt.
Aktuell interessieren uns keine (immer noch hohen) Inzidenzen oder Neuinfektionen mehr. Wir galoppieren mit unverminderter Geschwindigkeit zurück ins und durchs Leben. Ein Termin jagt bei der Arbeit den nächsten, die Flughäfen sind proppevoll, im Freundeskreis haben richtige Treffen wieder Hochkonjunktur, niemand hat mehr Lust auf ein Online-Prost. Und die Veranstalter verschiedenster Konzerte oder Kultur-Events holen jetzt alles nach, was zuvor gefühlt zehnmal verschoben wurde.
Mir zum Beispiel bliesen oder blasen Patti Smith, Rammstein, Udo Lindenberg und Iron Maiden innerhalb von nicht einmal vier Wochen die Gehörgänge frei. Und das ist noch längst nicht alles bis zum Jahresende. Was sich halt in zwei Jahren so an Konzerttickets angesammelt hat. Da kommt Freude auf bei den HNO-Ärzten.
Diese Zeit des Erwachens, der Rückkehr in das Leben, das wir vor der Pandemie schätzten und liebten, ist einerseits wichtig und erleichternd. Sorgen gibt es schließlich an anderer Stelle noch immer mehr als genug. Wir Menschen sind soziale Wesen, wir brauchen den direkten Kontakt zu Familie und Freunden, brauchen Freude und Abwechslung.
Allerdings rauschen wir in einer Geschwindigkeit und Intensität durch diese Wochen, die längst nicht allen von uns gut tun. Viele fühlen sich überfordert von dem Übermaß an wiedergewonnenen Freiheiten oder beruflichen Notwendigkeiten, müssen sich erst wieder an das Alltagstempo gewöhnen. Willkommen zurück im Hamsterrad!
In den Ruhephasen während der Pandemie hatten wir uns gezwungenermaßen auch entschleunigt. Ob es nun so sinnvoll ist, den Regler gleich wieder bis zum Anschlag hochzuschieben und mit Vollgas durch den Sommer zu brettern, darüber darf man streiten.
Erinnern wir uns: Als es Anfang 2020 darum ging, die Pandemie einzuschätzen, war ein Tenor der Diskussionen oft dieser: Wenn Corona einen Vorteil hat, dann vielleicht den, dass wir gezwungen werden, herunterzufahren und unser Tun einmal zu hinterfragen. Wenn wir das schon selbst nicht schaffen, hegt uns eben mal die Natur ein.
Es möge jeder für sich selbst beantworten, ob und wenn ja, wie viele Lehren wir einzeln und als Gesellschaft aus diesem Ansatz gezogen haben.
Die Zeit des Erwachens im gleichnamigen Film ist übrigens nur eine kurze. Nach wenigen Wochen fallen die Patienten wieder zurück ins Koma. Erleben wir also ein böses Erwachen, wenn Corona im Herbst/Winter mit Macht zurückkommen sollte und eventuell wieder für lockdownähnliche Zustände sorgt?
So pessimistisch möchte ich nicht denken, und so muss es auch nicht kommen. Aber das Bewusstsein dafür zu schärfen, dass unsere Freiheit – in vielerlei Hinsicht – auf einem fragilen Fundament steht, kann sicher nicht schaden.
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