Leuphana-Professor beschäftigt sich mit innovativen Lehramtsausbildungskonzepten

Damit es zu Beginn des Referendariats keine böse Überraschung gibt, sollten Lehramtsstudenten früher in die Schulen gehen und das Unterrichten üben, regt Barth an. Foto: t&w

Damit es zu Beginn des Referendariats keine böse Überraschung gibt, sollten Lehramtsstudenten früher in die Schulen gehen und das Unterrichten üben, regt Barth an. Foto: t&w

ap Lüneburg. Fast jeder zehnte Student in Deutschland will Lehrer werden. Dabei ist es gerade diese Ausbildung, die seit Jahren kritisiert wird: Absolventen würden an den Schulen einen "Praxisschock" erleiden, weil der Anteil der praktischen Phasen im Vergleich zum theorielastigen Studiengang sehr gering ist. Prof. Dr. Matthias Barth ist Professor für Sachunterricht und Bildung für eine nachhaltige Entwicklung an der Leuphana Universität Lüneburg. Er beschäftigt sich mit innovativen Lehramtsausbildungskonzepten, forscht zu dieser Thematik und arbeitet aktiv für eine Verzahnung zwischen Theorie und Praxis. Im Interview spricht der 41-Jährige über das Zukunftszentrum Lehrerbildung der Leuphana, die Neukonzeption GHR 300 und die Zusammenarbeit mit hiesigen Schulen.

Wie sehen Sie die Problematik des theoretischen Studiums und praktischen Referendariats?
Prof. Dr. Matthias Barth: Das wird oft als Theorie- und Praxis-Gegensatz, Praxisschock, Praxisferne oder Elfenbeinturm Universität bezeichnet. Das trifft es nicht ganz, die Kernfrage ist eigentlich: Welches Wissen vermitteln wir an welchen Stellen, damit unsere Lehrkräfte später gut unterrichten können? Dann kommen wir der Problematik näher. An der Universität wird viel theoretisches Wissen aufgebaut, wie Lernen stattfinden sollte, welche Methoden besonders geeignet sind und welche Fachinhalte man vermitteln müsste. Die Praxis fragt oft nach einem Kochrezept: Was mache ich eigentlich, wenn ein Schüler stört oder sehr unterschiedliche Lernvoraussetzungen vorliegen? Da werden zwei Positionen als gegensätzlich aufgebaut, die eigentlich nicht so gegensätzlich sind. Wichtig ist: Wie können wir Theorie zu einem praktischen Werkzeug machen?

Wann und wie sollten Praxisphasen im Lehramtsstudium denn eingesetzt werden?
Barth: Bisher waren sie sehr kurz angelegt. Die Studenten sind keine fertigen Lehrer, wenn sie aus der Universität kommen. Der eigentliche Vorbereitungsdienst beginnt dann erst, im Referendariat sollen sie praktisches Handwerkszeug erlernen. Trotzdem schafft mehr und frühere Praxis eine bessere Orientierung und eine kritische Reflexion: Schaffe ich das überhaupt, kann und will ich jeden Tag vor der Klasse stehen? Durch zu kurze oder späte Praxisphasen findet diese Vergewisserung nicht statt. Man hat dann ja schon drei, vier Jahre studiert, weiß aber eigentlich gar nicht, ob man das wirklich will. Diese Rückmeldung sollten wir eher geben, ich möchte niemandem nach dem Studium sagen müssen, dass er etwas ganz anderes machen sollte.

Was hat die Leuphana für ein System, angehende Lehrer auf die praktische Arbeit vorzubereiten?
Barth: Die verschiedenen Fachdidaktiken arbeiten übergreifend im Zukunftszentrum, unserem Forschungszentrum zur systemischen Weiterentwicklung der Lehrerbildung, zusammen. Darin haben wir uns überlegt, wie wir die unterschiedlichen Akteure stärker in eine Kooperation bekommen. Ich habe dort selbst ein Teilprojekt und gehe der Frage nach, wie Bildung für nachhaltige Entwicklung gestärkt werden kann. Auch Schulen haben Fragestellungen, und wir bieten an, dass Studenten Konzepte entwickeln und diese in den Schulen erproben -- im gemeinsamen Austausch. Sie verlassen den geschützten Raum Uni, probieren es konkret mit Schülern aus oder stellen es in einer schulischen Dienstbesprechung vor.

Was hat das für einen Effekt, wenn Studenten früh in Kontakt mit ihrem zukünftigen Arbeitsumfeld kommen?
Barth: Sie bekommen eine realistische Lernumgebung, können erfahren, dass Theorie etwas unheimlich Praktisches sein kann. So verändern wir nicht nur die Perspektive der Studenten, sondern ein Stück weit auch die der Schule, die sich auf diesen gemeinsamen Lernprozess einlässt. Bildung für nachhaltige Entwicklung muss gar nicht zwingend mehr Arbeit bedeuten, sie kann wirklich helfen. Diesen gemeinsamen Lernprozess nennen wir Community of Practice: Wir denken gemeinsam darüber nach, was die dringenden Fragen sind und wie wir Antworten finden. Campus-Schulen, mit denen wir eng zusammenarbeiten, sind zum Beispiel die Oberschule am Wasserturm und die Integrierte Gesamtschule.

Was beinhalten neue Lehrerbildungskonzepte?
Barth: Wichtig ist, was unter dem Stichwort GHR 300 passiert. Das ist keine Lüneburger Spezialität, sondern eine strukturelle Neuorientierung, die das Land in Zusammenarbeit mit Studienseminaren in der zweiten Ausbildungsphase, mit Lehrkräften und deren praktischen Erfahrungen angegangen ist. Wichtig ist, dass der Master-Studiengang für Grund-, Haupt- und Realschule von acht auf zehn Semester verlängert wurde. Dazu kommt eine längere Praxisphase: Studenten gehen jetzt schon 18 Wochen in die Praxis, sammeln dort Erfahrungen. Aber nicht so abgetrennt wie bei Praktika, sondern in enger Begleitung mit Lehrenden aus der Uni, Studienseminarleitern oder erfahrenen Lehrkräften, die eben mit den Hochschulmitarbeitern im Tandem zusammenarbeiten. Das ist das qualitativ Neue, was diesen Ansatz spannend macht.

Und dieses Modell funktioniert an der Leuphana?
Barth: Der erste Durchgang kommt gerade aus der Praxis, die Studenten sind jetzt im vierten Semester, schreiben ihre Masterarbeit. Das wird dann der erste Jahrgang sein, der mit diesem Mehr an Erfahrungen in das Referendariat geht. Für uns ist es natürlich jetzt spannend zu erfahren, wie die Studenten jetzt auf das blicken, was sie hier an der Uni lernen können -- nachdem sie die andere Seite kennengelernt haben. Der zweite Jahrgang geht jetzt auch in die Praxisphase. Über sogenannte Fachnetze gibt es einen Austausch mit Schulleitungen und Seminarleitern, die in dieser Phase mitbeteiligt sind, um ein möglichst breites Bild zu kriegen. Wir glauben nach diesem ersten Durchgang sagen zu können, dass es uns qualitativ einen großen Schritt nach vorn gebracht hat. Die Studenten melden uns zurück, dass sie einen besseren Einblick in die Praxis bekommen, aber auch die Schulen und Studienseminare sagen, dass die Verzahnung spannend ist. Sie lernen schneller ihre Kochrezepte, gucken anders auf die Praxis und kriegen Rückmeldung von zwei Seiten.

Sie haben ja vor allem durch das Lehrerbildungskonzept "Bildung für eine nachhaltige Entwicklung" im Sachunterricht auf sich aufmerksam gemacht, wie ist es in diesem Fach?
Barth: Für uns im Sachunterricht ist es wichtig, dass wir uns nicht allein auf die Praxisphase verlassen, sondern kontinuierlich, ab dem zweiten Semester, den Kontakt zur Schule immer wieder herstellen, gemeinsam Veranstaltungen planen. Diese Verzahnung hilft uns dabei, Kontakte zu knüpfen. Schon im zweiten Semester gehen die Studenten an die Schulen und probieren sich aus. Da klappt natürlich vieles noch nicht, weil sie bislang wenig gelernt haben, aber sie kriegen eine Idee davon, was dort passiert. Sie sollen auch nicht nur das Unterrichten ausprobieren, zu der Profession gehört mehr dazu: Wie arbeite ich mit Eltern, außerschulischen Partnern zusammen? Wie plane ich im Team übergreifende Klassen?

Sie gehören ja auch zum Konferenzleitungs-Team, versuchen Sie auch hier Aspekte miteinzubauen?
Barth: Hier wollen wir, dass die Studenten sich ein Semester lang mit einer Fragestellung beschäftigen und Lösungen entwickeln. Also im Rahmen eines kleinen, abgeschlossenen Projekts arbeiten und die Ergebnisse auf einer großen Konferenz präsentieren. Dabei sollen Studenten schon mal lernen, wie Wissen generiert und auch weitergegeben wird. Das hilft unseren Studenten im zweiten Semester, wenn sie das erste Mal in die Schule gehen, schon. Damit haben wir gute Erfahrungen gemacht, die Studenten haben dann schon mal im Projekt mit anderen zusammen gearbeitet, sich Partner von außen geholt und sich auf dieser Ebene präsentiert. In der Schule geht es auch darum, sich zu präsentieren und zu zeigen: Wieso hat genau das, was ich erzähle, einen Mehrwert?

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