Weltkindertag: „Kinderarmut hat erschreckendes Ausmaß“
Eleonore Tatge, Vorsitzende des Kinderschutzbundes. (Foto: t&w)
Den Weltkindertag, der in Deutschland alljährlich am 20. September begangen wird, nehmen viele Initiativen zum Anlass, um auf die Situation von Kindern aufmerksam zu machen. Mit dem Motto „Kinderrechte jetzt!“ soll unterstrichen werden, dass es höchste Zeit ist, Kinderrechte im Grundgesetz zu verankern. Das fordert auch der Kinderschutzbund. Der sieht laut Eleonore Tatge, Vorsitzende der Lüneburger Gruppe, außerdem großen Handlungsbedarf, etwas gegen Kinderarmut zu tun.
Frau Tatge, wie viele Kinder sind bundesweit von Armut betroffen und was bedeutet das konkret?
Eleonore Tatge: Jedes fünfte Kind in Deutschland gilt als arm, 20,2 Prozent leben auf dem Niveau von Leistungen auf Grundsicherung. Das sind 2,8 Millionen Kinder. Zählt man die Dunkelziffer dazu, also diejenigen, die keine Leistungen zur Grundsicherung beantragen, liegt die Zahl sogar noch deutlich höher. Ich finde, es hat ein erschreckendes Ausmaß erreicht. Diese Kinder und Jugendliche haben im Vergleich zu Gleichaltrigen aus wohlhabenden Familien weniger Chancen auf gute Bildung, körperliche und gesundheitliche Entwicklung sowie Teilhabe.
Was kann seitens der Bundesregierung getan werden?
Ich wünschte mir die grundlegende Änderung, dass die Regierung die Situation der Kinder überhaupt erst einmal wahrnimmt. Kinder haben das Recht darauf. Beispielhaft sei genannt, dass jetzt nach der Flutkatastrophe erfasst wird, wie viele Häuser zerstört worden sind, aber nicht, wie viele Kinder Waisen geworden sind, beziehungsweise zurzeit nicht mit ihren Familien zusammenleben können. Der Kinderschutzbund fordert auch die bedarfsgerechte Bemessung familien- und sozialpolitischer Leistungen an einem neu berechneten Existenzminimum für Kinder, das die finanziellen Bedarfe wie Bildung und Teilhabe berücksichtigt.
Hat die Pandemie die Kinderarmut noch verstärkt?
Eindeutig JA. Aufgrund der Corona-Pandemie mussten viele weitere Familien finanzielle Einbußen hinnehmen. Denken Sie an Kurzarbeitergeld oder die Beschäftigten in Gastronomie und Hotelgewerbe. Besonders Mütter sind häufig als Teilzeitkräfte sin diesen Bereichen tätig. So war schon früh absehbar, dass infolge der Pandemie weitere Kinder von Armut bedroht sein würden.
„Kinderwünsche erfüllen“ lautet das Projekt, dass sich die Lüneburger Gruppe anlässlich des Weltkindertages hat einfallen lassen. Was steckt dahinter?
Zu Weihnachten letzten Jahres hatte der Kinderschutzbund einige Spenden von privaten Spenderinnen und Spendern erhalten, unter andrem hat der Unternehmer Rainer Adank darauf verzichtet, seinen Kunden und Geschäftspartnern Weihnachtsgeschenke zu übergeben und diese Summe dem Kinderschutzbund zur Verfügung gestellt. Mit dem Wissen um die Kinderarmut entstand die Idee, in der Pandemie Freizeitaktivitäten der Kinder finanziell in Not geratener Familien zu unterstützen und zu fördern. Jeder Sozialraum, jedes Stadteilhaus und auch Mitarbeitende des Jobcenters konnte Kinder benennen, die einen Wunsch, wie etwa ein Spiel , ein Sportgerät oder Ähnliches hatten, aber weder die Eltern das Geld hatten, noch die staatliche Grundsicherung dafür aufkommen konnte.
Welche Wünsche konnten erfüllt werden und wie wurde das realisiert?
Wir konnten Kindern im Alter von 6 bis16 Jahren mit einem Zelt, einer Angel, Badehose, diverse Spielen, Bällen, zwei Scootern, Jahreskarte für Schwimmbad, Zuschuss zu Sportveranstaltungen. eine Freude bereiten.
Auf eine publicityträchtige Übergabe der Wunschgegenstände wurde verzichtet. Warum?
Um die finanzielle Situation als höchstpersönliche Angelegenheit nicht zu einem Stigma werden zu lassen, hat der Kinderschutzbund ganz bewusst auf eine mediale Darstellung verzichtet. Aber, ich kann hier sagen: als Vorsitzende des Kinderschutzbundes Lüneburg hatte ich die Ehre, einigen Kindern ihren Wunschgegenstand selbst überreichen zu dürfen. Das Erstauen und die vor Freude und Dankbarkeit nur so strahlenden Gesichter der Kinder waren und sind für mich das Highlight der diesjährigen Kinderschutzarbeit.
Könnte diese Aktion zu einer dauerhaften Einrichtung werden?
Heute findet unsere Mitgliederversammlung statt. Wir würden nichts lieber beschließen, als die Fortführung des Projektes. Aber der Kinderschutzbund als ehrenamtlicher Verein finanziert sich in erster Linie aus Spendengeldern und die sind leider endlich.
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