Phänomen „7 vs. Wild“: Wie Youtuber Netflix Konkurrenz machen
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3MXZORWZGJF5HIPZBMXE4OY7AE.png)
Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der zweiten Staffel "7 vs. Wild".
© Quelle: Fritz Meinecke
Hannover. 4,5 Millionen Aufrufe an nur einem Wochenende. Das sind mehr Klicks als das Dschungelcamp Zuschauerinnen und Zuschauer hat – hier schauten bei der vorigen Staffel durchschnittlich 4,37 Millionen Menschen zu. Und es sind auch mehr Aufrufe als die allermeisten deutschen Youtube-Videos in der Regel erreichen. Zahlen in der Größenordnung schaffen sonst nur große Stars der Szene, wie etwa Julien Bam – oder Rezo, wenn dieser mal wieder eine Partei „zerstört“.
Und eben „7 vs. Wild“. Der Überraschungshit des Survivalexperten Fritz Meinecke startete am Samstag in die zweite Staffel. Er trägt den Zusatz „7 vs. Wild: Panama“ – und ist schon mit der ersten Folge ein Riesenerfolg. Wie bei der Premiere der Realityshow im vergangenen Jahr werden Teilnehmerinnen und Teilnehmer in der Wildnis ausgesetzt und müssen dort sieben Tage ums Überleben kämpfen. Statt in die idyllische Natur Schwedens verschlägt es die Männer und Frauen diesmal jedoch auf eine Insel im Pazifik.
Wöchentlich sollen nun wieder zwei neue Folge der Sendung auf dem Youtube-Kanal Meineckes erscheinen, in denen Fans den Teilnehmenden beim Leiden und Aufraffen, bei Erfolgen und beim Scheitern, beim Überleben oder Aufgeben zuschauen können. Staffel eins war ein Hype, wie ihn selbst Netflix-Serien kaum besser erzeugen können. Und vieles spricht dafür, dass die Fortsetzung noch mal neue Rekorde aufstellen könnte.
Was ist das Geheimnis der Show? Und wie ist dieser Erfolg zu erklären?
An dieser Stelle finden Sie einen externen Inhalt von YouTube, der den Artikel ergänzt. Sie können ihn sich mit einem Klick anzeigen lassen.
Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unseren Datenschutzhinweisen.
Große Survivalbewegung auf Youtube
„7 vs. Wild“ ist geboren aus der Survival-, Outdoor- und Bushcraftbewegung, die auf Youtube ein ganz eigenes Genre darstellt. Unzählige Youtuberinnen und Youtuber versuchen sich in ihren Videos am Bauen von Schutzhütten oder Werkzeugen, am Kochen ohne Feuer, zeigen sich bei XXL-Wanderungen oder Radtouren, beim Übernachten an verlassenen Orten oder beim Pilzesammeln.
Vieles davon spielt sich in der Nische ab – doch es gibt auch einige Ikonen der Szene. Sie heißen etwa Fabio Schäfer (400.000 Abonnenten), Naturensöhne (390.000 Abonnenten) oder SurvivalMattin (eine Million Abonnenten).
Der unangefochtene Star der Szene jedoch ist Fritz Meinecke: Sein Youtube-Kanal hat 2,3 Millionen Followerinnen und Follower, Hunderttausende verfolgen regelmäßig, wie der 33-Jährige mit dem Fahrrad bis nach Istanbul fährt, durch die Wüste wandert oder sich tagelang durch den Dschungel von Peru schlägt.
Bushcraft trifft den Zeitgeist
Warum gucken sich Menschen so ewas an? Zum einen natürlich, weil das Youtube-Publikum Extreme liebt. Die Videos der Akteure sind eine Flucht aus dem Alltagstrott, ein Ausbruch aus der Komfortzone. Das Leiden eines Fabio Schäfer, wenn dieser mit dem Drahtesel den heißesten Ort der USA durchquert, ist mindestens genauso unterhaltsam wie eine Übernachtung Fritz Meineckes in einem „Wildschweingebiet“.
Bei einer mehrtägigen Fahrradtour des Youtubers von Berlin nach Istanbul wurden die Protagonisten von (Zitat) „Höllenhunden“ im Zelt überrascht, man hatte „vier Stunden Todesangst“ und fand einen menschlichen Schädel am Straßenrand. Natürlich weiß man als Zuschauer oder Zuschauerin, dass alles in diesen Videos doppelt so heiß gegessen wie gekocht wird, alles ist immer super extrem und dramatisch – aber großes Entertainment ist das trotzdem.
Zum anderen sind die Videos des Genres häufig lehrreich – und treffen in gewisser Weise einen Zeitgeist. Wenn Fabio Schäfer ein Gefäß aus Lehm töpfert, SurvivalMattin ohne Hilfsmittel ein Feuer macht und die Naturensöhne eine Hütte im Wald bauen, dann sind das allerbeste Prepperkünste, die man sich da draufschaffen kann. Angesichts von Energiekrisen und Konflikten: Wer weiß schon, wann man das mal braucht?
Ganz nah dran
Fritz Meinecke, der seine Youtube-Karriere 2014 mit mittelmäßig gefilmten Erkundungstouren sogenannter Lost Places begann, hat es inzwischen längst aus der Nische in den Mainstream geschafft. 2016 moderierte Meinecke mit Wigald Boning die Fernsehshow „Die Geschichtsjäger“. Beim Rowohlt-Verlag veröffentlichte der 33-Jährige das Buch „Der Abenteurer: Alles, was man über Outdoor wissen muss“. Und auch die Erfolgsshow „7 vs. Wild“ sollte ursprünglich mal ein Fernsehprojekt sein.
Die Produzenten der Show, Johannes Hovekamp und Maximilian Kovacs, erzählen in einer Behind-the-Scenes-Dokumentation des Youtubers Dave Henrichs: „Fritz bekam eine Anfrage vom TV, wo sie ihn haben wollten für eine Survivalsendung, die ein ähnliches Konzept hatte. Wir haben dann zu Fritz gesagt: Fritz, pass auf, wir könnten das auch selbstständig machen.“ Dann habe man schließlich die „100-prozentige Kontrolle darüber, wie es wird“. Und statt die Sendung dann fürs Fernsehen zu machen, habe man das Projekt einfach auf Youtube umgemünzt.
Welcher Fernsehsender die E-Mail an Fritz Meinecke schrieb und die Grundidee lieferte, erklären die Produzenten nicht – aber er dürfte sich heute schwarz ärgern. Schon die erste Staffel der Youtube-Reality-Show wird ein unvergleichlicher Erfolg. Mit dabei sind Freunde und Bekannte Meineckes, darunter auch Fabio Schäfer und SurvivalMattin. Sie treten in der Wildnis Schwedens gegen Kandidaten an, die Namen wie „Bommel“ oder „Niklas on Fire“ tragen. Das alleinige Ziel der Show: sieben Tage überleben. Dafür stehen den sieben Kandidaten jeweils sieben Gegenstände zur Verfügung.
Kein Skript, kein Kamerateam
Die 15 Folgen der Show sind ein Wechselbad der Gefühle. Fabio Schäfer, ein Mann mit Halstattoos, entscheidet sich schon zu Beginn, statt sieben Gegenständen nur zwei mit in die Wildnis zu nehmen – Messer und Feuerstahl. Als er im Verlauf der Staffel auf Bärenspuren im Sand trifft, beschleicht nicht nur ihn, sondern auch das Publikum ein mulmiges Gefühl. Die Zuschauenden sind die ganze Zeit ganz nah dran.
Kandidat Niklas scheidet schon am ersten Tag aus, weil er sich beim Zersägen eines Baumes den Kopf blutig stößt. Aufgelöst wird das in einem Cliffhanger, den kaum eine Netflix-Serie besser hinbekommen würde. Niklas zieht das Projekt später auf eigene Faust durch und wird von den Fans als Sieger der Herzen gefeiert. SurvivalMattin fängt mit der Zeit an zu weinen, weil ihn die Einsamkeit fertig macht. Und Fritz Meinecke, Achtung, Spoiler, geht schließlich als Sieger der ersten Staffel hervor.
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/3VQXJCAGGNC7HAZKMIKFPTKAM4.jpg)
Das Stream-Team
Der Newsletter mit den besten Serien- und Filmtipps für Netflix & Co. – jeden Monat neu.
Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.
Natürlich ist „7 vs. Wild“ eine Huldigung purer Männlichkeit. Es wird viel gebrüllt, Kandidaten malen sich Tarnfarbe ins Gesicht, jonglieren in den Vorstellungsrunden mit Messern oder nehmen sie zwischen die Zähne. Auch 90 Prozent der Zuschauenden auf Meineckes Kanals sind Männer, wie er sagt. Im Laufe der Staffel kommen die Teilnehmer aber auch an ihre Grenzen, zeigen ihre Verzweiflung, ihr Scheitern – und Tränen statt Testosteron-Gehabe. All das steht nicht im Skript, weil die Show keines hat. Es gibt keine Regieanweisungen, keine Showelemente. Man sieht nur sieben Männer allein im Wald, und das Publikum ist hautnah dabei.
Was Netflix nicht hat: eine Community
Genau das dürfte auch eines der Erfolgsgeheimnisse der Sendung sein. Auf ein Kamerateam verzichtet „7 vs. Wild“, alle Kandidaten sind mit zwei Actionkameras ausgestattet, sie filmen sich im Youtube-Vlog-Stil selbst. Das sorgt zwar für wackelige Bilder und Windgeräusche im Ton, die man im Fernsehen so nicht sehen oder hören würde – aber es sorgt auch für eine unvergleichliche Nahbarkeit, die kaum eine andere Realityshow so hinbekommt.
Die Typen vor der Kamera sind eher Kumpel als TV-Stars. „7 vs. Wild“ hat, trotz aufwendiger Drohnenshots und professioneller Einblendungen, einen amateurhaften Charme. Das beginnt schon allein mit dem ungünstig gewählten Titel der Sendung, den – bis auf den Offsprecher – kein einziger Kandidat korrekt englisch aussprechen kann. In der Youtube-Szene kennt man die Show inzwischen dahergenuschelt als „Seven uörses uaild“.
Und noch einen Vorteil hat der Ausspielkanal Youtube: die Community. Die Folgen werden auf der Videoplattform tausendfach kommentiert – eine Funktion, die es bei RTL oder Netflix gar nicht gibt. Fans fiebern mit ihren Kandidaten mit, andere Youtuber drehen eigene Reactionvideos zu den einzelnen Folgen und kommentieren diese mit ihren Eindrücken – bei TV- oder Streamingformaten wäre das aus urheberrechtlichen Gründen gar nicht erst erlaubt. Auch Meinecke selbst spannt sein Publikum in Streams und auf seinem Livekanal immer wieder ein, zeigt hier kommentierte Fassungen der Show mit unterhaltsamen Hintergrundinfos.
Youtuber produzieren Streaminghits
„7 vs. Wild“ ist eine Show, die Netflix und dem TV Konkurrenz macht – hier aber vermutlich gar nicht funktionieren würde. Gleichzeitig nähert sie sich der Strategie der Streamingdienste an. Dieser Trend ist bereits seit einiger Zeit in der Youtube-Szene zu beobachten – die Branche erlebt eine radikale Professionalisierung.
Der zweitgrößte Youtuber der Welt etwa, MrBeast, produziert für seinen Youtube-Kanal spektakuläre Gameshows mit einem Millionenbudget. Der US-Vlogger Ryan Trahan hat das von Streamingdiensten bekannte serielle Erzählen für sich entdeckt. Im Sommer reiste der Youtuber einmal quer durch die USA, nur ausgestattet mit einem Penny. Die Serie wurde zum Großteil auf Trahans iPhone gedreht und täglich veröffentlicht – Fans fieberten Tag für Tag mit, ob der Youtuber sein Ziel wohl erreichen würde. Das Finale der Show wurde 16 Millionen Mal angesehen.
Andere Youtuber produzieren derweil große Eventfilme, die Streamingproduktionen in nichts nachstehen. Der deutsche Technik-Vlogger Felixba hatte mit Freunden 2020 mit großem Aufwand eine Elektroauto-Doku am Nordkapp gedreht. Der zweistündige Film wurde 4,4 Millionen Mal angesehen. Am 13. November soll die Fortsetzung folgen, der Fans seit Monaten entgegenfiebern. Die Premiere des Films findet einen Tag zuvor statt – und zwar in einem Kino.
Skandale und ein holpriger Start
Das nächste Youtube-Event heißt nun „7 vs. Wild: Panama“. Für die am Samstag gestartete zweite Staffel konnte der Erfinder Streamingikone Jens „Knossi“ Knossalla gewinnen. Außerdem dürfen erstmals auch zwei Frauen teilnehmen: Sabrina Camlott (Sabrina Outdoor) war zuvor mit herrlich unbeholfenen Survivalvideos auf dem Youtube-Kanal Expedition Leben sowie eigenen Wandervideos bekannt geworden, Kandidatin Antonia (starletnova) ist hauptsächlich Streamerin auf Twitch. Mit Kandidat Joris ist erstmals auch ein Zuschauer unter den Teilnehmenden.
Der Start der zweiten Staffel war zunächst etwas holprig über die Bühne gegangen. Im Sommer war Erfinder Meinecke mit diversen Skandalen aufgefallen, darunter einem Sexismusvorfall in einem seiner Radtourvideos – Fans nahmen das dem Youtuber übel. Auch diverse Neuerungen am Konzept von „7 vs. Wild“ kamen bei Fans gar nicht gut an. Teilnehmerinnen und Teilnehmer nehmen fortan nicht mehr sieben Gegenstände mit in die Wildnis – stattdessen werden die Gegenstände je nach Erfahrungswert zugeteilt. In den Kommentarspalten zur Ankündigung liefen Fans im Sommer gegen die Pläne Sturm.
Meinecke reagierte schroff auf die Kritik. Das Organisationsteam der Show wisse schließlich ein „bisschen mehr Bescheid“ und treffe cleverere Entscheidungen „als so mancher Backseat-Surviver da draußen in seiner schönen, warmen, beheizten oder auch klimatisierten Wohnung“. Auch das gehört zur Plattform Youtube: Wer die Community stark in seine Pläne einbindet, der wird zwangsläufig erleben, dass sie auch mitreden und mitbestimmen will.
Sprücheklopfer statt Survivalexperten
Geschadet haben die Kontroversen dem Format aber wohl nicht. „7 vs. Wild“ ist inzwischen zu einer Art Franchise herangewachsen. Neben der Show auf dem Youtube-Kanal von Fritz Meinecke ist auf dem Kanal des Youtubers Dave Henrichs parallel ein zehnteiliges „Behind the Scenes“ zur Show zu sehen. Auch dessen Ausgaben wurde teilweise mehr als zwei Millionen Mal angesehen.
Viel zu sehen ist in der ersten Folge der zweiten Staffel allerdings noch nicht – ein Umstand, der umgehend von Fans der Show kritisiert wurde. In den ersten Szenen wird vor allem gezeigt, wie die bunt gemischte Truppe mit einem Hubschrauber vor der Pazifikinsel ausgesetzt wird. Im dazugehörigen „Behind the Scenes“ albern Streamer Knossi und der prollige Fitnessinfluencer Sascha Huber herum, liefern einen platten Spruch nach dem anderen. Es dürfte spannend werden, ob den Kandidaten in der Wildnis die große Klappe vergehen wird.
So erfolgreich „7 vs. Wild“ auch ist: Ausschließlich auf die Plattform Youtube will sich Meinecke langfristig offenbar nicht verlassen. Das nächste Projekt des Survivalexperten wird auf Discovery+ zu sehen sein. Für den Streamingdienst schlägt sich Meinecke derzeit durch den Regenwald Westpapuas.