Talkshow „Anne Will“ endet Ende 2023

Anne Will will nicht mehr: das Ende einer Erfolgsgeschichte

Die Talkshow von Anne Will wird zum Ende des Jahres eingestellt.

Die Talkshow von Anne Will wird zum Ende des Jahres eingestellt.

Hannover. Mit „Anne Will“ endet nicht nur irgendeine Polittalkshow. Wahrscheinlich ist es die Polittalkshow. Die eine, in der alle schon gewesen sind, von Angela Merkel bis Greta Thunberg. Und die Talkshow, die den mit Abstand beliebtesten Sendeplatz innehat, am quotenstarken Sonntagabend – direkt nach dem ARD-Krimi.

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„Anne Will“ ist eine Erfolgsgeschichte – auch wenn sie etwas holprig begann: Schauten 2015 etwa 1,5 Millionen Menschen pro Sendung zu, waren es ein Jahr später im Schnitt schon vier Millionen. Über die Jahre wurde die Sendung zum Aushängeschild des Genres. 2021 gilt als das bislang erfolgreichste Jahr. In 31 Ausgaben erreichte „Anne Will“ im Schnitt einen Marktanteil von 15,2 Prozent. 2022 lag er bei 15,1.

Damit ist jetzt Schluss. Journalistin Anne Will will den Vertrag nicht verlängern. Das gab der produzierende NDR am Freitag bekannt. Die prominente Sendung wird damit letztmalig im Dezember 2023 ausgestrahlt – und zwar nach 16 Jahren, so lange, wie Angela Merkel Kanzlerin war. Was bleibt?

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Von der Sportberichterstattung zu den Tagesthemen

Anne Wills Einstieg in das Talkshowgeschäft startet ungewöhnlich. Denn eigentlich kommt die Journalistin aus dem Sport. Will arbeitet zunächst bei der „Kölnischen Rundschau“ und dem „Spandauer Volksblatt“, schließt dann beim SFB (heute RBB) in Berlin ein Volontariat ab. Beim selben Sender wird sie schließlich mit der Sendung „Sportpalast“ bekannt.

1999 moderiert Will als erste Frau die bis dato von Männern dominierte „Sportschau“, ein Jahr später ist sie für die ARD-Sendungen der Olympischen Spiele in Sydney im Einsatz. Einem breiten Publikum wird sie damit schlagartig als Sportreporterin bekannt.

Die Interessen der Journalistin sind aber auch damals schon vielfältig. Beim SFB moderiert Will bereits in frühen Jahren eine Talkshow mit dem Titel „Mal ehrlich“, beim WDR später die Unterhaltungssendung „Parlazzo“. Und 2001 schafft Will schließlich sogar den Sprung ins Politikgenre: Als Nachfolgerin von Gabi Bauer übernimmt sie die Moderation der „Tagesthemen“.

Jauch-Absage macht den Weg frei für Will

Dass die Journalistin sechs Jahre später ihre eigene Talksendung am Sonntagabend bekommt, ist eine Verkettung mehrerer Umstände. Wills Vorgängerin Sabine Christiansen gibt ihren prominenten ARD-Talk am Sonntagabend im Sommer 2007 auf. Zuletzt waren die Quoten der Sendung in den Keller gerauscht, die Fragetechnik Christiansens wird immer wieder kritisiert – zu wenig Konflikt, zu langweilig, heißt es oft.

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Außerdem zieht es die Moderatorin privat ins Ausland. Die ARD sucht monatelang händeringend nach einem Nachfolger – und glaubt schließlich, einen gefunden zu haben: Showmaster Günther Jauch. Der ist eigentlich bei RTL unter Vertrag – die ARD liebäugelt aber damit, sich den prominenten Moderator teilen zu können.

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Der Plan scheitert. Jauch sagt ab, weil die ARD darauf gedrungen habe, dass er „journalistisch exklusiv“ für Das Erste tätig sein soll – damit ist der Showmaster nicht einverstanden. Zudem hätte Jauch die Zuständigkeit für seine Show den ARD-Chefredakteuren unterstellen sollen. Dies entspreche nicht seinem Empfinden von „innerer Freiheit und äußerer Unabhängigkeit“, so der Moderator damals.

Erste Sendungen sorgen für Kritik

Erst die Absage des Showmasters macht den Weg frei für Anne Will. Die Intendanten der ARD wählen die damals 41-jährige Moderatorin zur Nachfolgerin Christiansens. „Anne Will – und darf“, titelt seinerzeit der „Spiegel“. Produziert wird die neue Talkshow von der Will Media GmbH, deren Geschäftsführerin Anne Will selbst ist, im Studio Berlin Adlershof.

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In einer ersten Stellungnahme formuliert Will ihre – wenig spektakulären – Ziele für ihre neue Sendung: Sie wolle eine „aktuelle, gesellschaftspolitische Gesprächsrunde anzubieten, die Themen aufgreift, aber auch eigene Themen setzt.“ Dass sie dafür die „Tagesthemen“ aufgeben müsse, falle ihr aber schwer, sagt die Journalistin damals. Ihre Nachfolge übernimmt Caren Miosga.

Die Reaktionen auf Wills erste Sendungen fallen zunächst gemischt aus. Sogar aus eigenen Reihen gibt es Kritik: Der ARD-Programmbeirat findet, dass sich gegenüber dem Vorgängerformat von Sabine Christiansen kaum etwas am Konzept geändert habe. Will gelinge es nicht, „auf Diskussionsverläufe flexibel zu reagieren“. Auch werden Probleme bei der Faktensicherheit moniert. Das „Timing der Sendung“ sei schlecht, da diese „oft abrupt“ ende. Beiträge führten „häufig zu Brüchen in der Diskussion.“

Rückendeckung von der ARD-Spitze

Auch in den Pressekritiken ist derartiges zu lesen. Michael Hanfeld beschreibt Wills Moderation nach der ersten Sendung in der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ als „ungeschickt“ – die Stimmung unterscheide sich auch nicht sonderlich vom Weltuntergangsszenario bei Sabine Christiansen. Innerhalb der ARD gilt Wills neue Talkshow als „umstritten“, wie das Medienmagazin „DWDL“ berichtet. Und selbst die Politik mischt sich irgendwann ein.

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Friedbert Pflüger, Fraktionsvorsitzender im Berliner Abgeordnetenhaus, fordert nicht weniger als die Absetzung der Sendung. Stattdessen solle Wills Kollege Frank Plasberg mit seiner Sendung „Hart aber fair“ den Sendeplatz einnehmen, meint der Politiker. Grund: Die Sendung zeichne „sich immer mehr durch Un- und Halbwahrheiten und bewusste Verzerrung von Sachverhalten aus“. Und: „Als Mitglied des Rundfunkrates des RBB Berlin werde ich mich für eine Ablösung von Frau Will einsetzen“.

Von der ARD-Spitze bekommt Will Rückendeckung: „Die Forderung ist absurd und der Vorwurf der bewussten Verzerrung von Sachverhalten völlig unberechtigt. Wir haben noch keine Sekunde an der Kompetenz von Anne Will und der inhaltlichen Ausrichtung ihrer Sendung gezweifelt“, so ARD-Programmdirektor Günther Struve seinerzeit.

Will muss für Jauch-Talkshow weichen

Die Kritik verpufft mit der Zeit. In den folgenden Jahren ist „Anne Will“ zwar recht erfolgreich, läuft aber trotzdem lange unter dem Radar.

2011 dann der nächste Tiefschlag für das Format: Die ARD kann nach erneuten langen Verhandlungen schließlich doch Günther Jauch für eine eigene Talkshow gewinnen. Mit dem Showmaster wird ein Vertrag vereinbart, 6 Millionen Euro soll Jauch nach Brancheninformationen erhalten haben – pro Jahr. Anne Will muss weichen – ihre Sendung wird vom Sonntag- auf den Mittwochabend verschoben.

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Jauch-Experiment scheitert

Jauchs Talkshow allerdings wird nicht zum erhofften Talkshowhit. Mehrfach wird sein Interviewstil in den Medien zerrissen, das Setting der Talkshow, ein halliger Gasometer, will dem Publikum nie richtig gefallen.

Die Quoten sind nicht schlecht, aber auch nicht herausragend. Es kommt immer wieder zu Kontroversen, etwa der legendären Debatte um den Stinkefinger des griechischen Finanzministers Yanis Varoufakis. Und auch Jauch selbst scheint mit seiner Arbeit bei der ARD nicht glücklich, wie er später in Interviews verrät.

2016 endet das Experiment – und Anne Will kehrt auf ihre alten Sendeplatz zurück.

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Selbst die Kanzlerin kommt - sogar viermal

Hier wird die Sendung in den folgenden Jahren zur Erfolgsgeschichte. Die Politprominenz gibt sich ein Stelldichein, man streitet und gestikuliert und debattiert. Armin Laschet, Peter Altmaier und Norbert Röttgen (CDU), Wolfgang Kubicki (FDP), Annalena Baerbock (Grüne) und Olaf Scholz (SPD) gehören jahrelang zu den Dauergästen der Sendung. FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann beschreibt Wills Interviewstil gegenüber dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) heute als hartnäckig und konsequent. Die Parteivorsitzende der Linken, Janine Wissler, sagt, für sie seien Besuche in der Sendung immer „kontrovers, anregend und immer eine spannende Herausforderung“ gewesen.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Moderatorin Anne Will unterhalten sich vor Beginn einer Sendung mit dem Thema "Debatte über Flüchtlingspolitik in Deutschland". (Archivbild)

Bundeskanzlerin Angela Merkel und die Moderatorin Anne Will unterhalten sich vor Beginn einer Sendung mit dem Thema "Debatte über Flüchtlingspolitik in Deutschland". (Archivbild)

Auch die Kanzlerin kommt – und macht „Anne Will“ zum großen Krisensprachrohr. Erstmals 2015 widmet die Redaktion Merkel eine Sendung, in der sie der alleinige Gast ist – es geht um die Flüchtlingskrise. Hier wiederholt Merkel auch ihren inzwischen berühmten Satz „Wir schaffen das“. Dieser hatte zwar bereits zuvor auf einer Bundespressekonferenz sein Debüt gefeiert, nach Wills Sendung wird die Formulierung aber endgültig zum Symbol der Krise, wird vielfach rezitiert und instrumentalisiert. Ein weiteres Interview folgt ein Jahr später, dann noch mal eines zum G7-Gipfel.

Im zweiten Corona-Jahr nutzt die Kanzlerin die Aufmerksamkeit der Sendung erneut für ein alleiniges Interview mit Will. Ein Jahr nach Beginn der Pandemie und nach einem überaus harten Lockdownwinter äußert sich Merkel zum Krach zwischen Bund und Ländern. „Ich werde nicht tatenlos noch vierzehn Tage zusehen“, kommentiert Merkel die zähen Verhandlungen – und drängt auf weitere Beschränkungen.

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Negativpreis „Goldene Kartoffel“

Nicht jedem gefällt die Schlagrichtung, die die Sendung über die Jahre annimmt.

Zusammen mit allen anderen ARD-Talkformaten erhält Will 2019 den Negativpreis „Goldene Kartoffel“ des Vereins Neue deutsche Medienmacher*innen. Die vier politischen Talkshows ließen zwar in Inhalt und Ausführung qualitative Unterschiede erkennen, heißt es in der Begründung. Jedoch würden alle vier immer wieder ein verzerrtes Bild vom Zusammenleben im Einwanderungsland Deutschland entwerfen und Probleme überzeichnen. Sie trügen damit dazu bei, Vorurteile zu verfestigen.

Und selbst wenn die Kritik berechtigt sein mag, so galt „Anne Will“ trotzdem immer als Ausnahmeerscheinung unter den genannten Talkshows. Die ARD dürfte zum Ende des Jahres nicht nur ihre erfolgreichste Talkshow verlieren – sondern wahrscheinlich auch ihre seriöseste.

Die Seriösere unter den Talkshows

Die Gäste und Themen in den öffentlich-rechtlichen Politikgesprächssendungen ist seit Jahren Thema. Immer wieder wird kritisiert, in diesen Sendungen gehe es eigentlich gar nicht um die politische Debatte – sondern vielmehr um Unterhaltung. Unter diesen Voraussetzungen schafften es die Redaktion und Will als Moderatorin dennoch, einen gewissen Qualitätsstandard hochzuhalten.

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Wills Kolleginnen und Kollegen Sandra Maischberger und Frank Plasberg hatten immer wieder auch die Bühne freigemacht für populistische Themen. Mit reißerischen Sendungstiteln und Fragestellungen setzte man auf den größtmöglichen Knalleffekt und sorgte regelmäßig für Empörung – die Zusammensetzung der Gäste tat ihr übriges.

Will blieb über die Jahre erstaunlich standhaft – und nah an der Realität. Hier diskutierte man nicht über Leitkultur und Gendersternchen, der Sonntagabend war reserviert für die wirklich wichtigen Themen. Mit der zunächst pandemiebedingten Entscheidung, künftig auf das Studiopublikum zu verzichten, wuchs auch die Qualität der Debatten.

Wer den Platz der seriöseren Talkshow künftig einnehmen soll, blieb zunächst unklar. Ein Jahr hat die ARD nun, um einen würdigen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für Anne Will zu finden. Günther Jauch, so viel scheint klar, wird es wahrscheinlich nicht sein.

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