Tom Buhrows radikale Ideen

Könnten ARD und ZDF wirklich fusionieren?

Die Mikrofone von ARD und ZDF sind vor einer Pressekonferenz nebeneinander aufgestellt.

Die Mikrofone von ARD und ZDF sind vor einer Pressekonferenz nebeneinander aufgestellt.

Der Übersee-Club e. V. ist eine ehrwürdige Institution im stilvollen Bürgerpalais Amsinck-Haus an der Binnenalster in Hamburg. Beste Lage, beste Kontakte. Hier traten als Redner sämtliche frühere Kanzlerinnen und Kanzler der Bundesrepublik auf, dazu Honoratioren wie François Mitterand, Joseph Kardinal Ratzinger, der frühere UN-Generalsekretär Boutros Boutros-Ghali, fast alle Bundespräsidenten, Siegfried Lenz, Martin Walser und der sehr Ehrenwerte Lord Carrington, 6. Baron Carrington und Generalsekretär der Nato. Gerade hat man stilvoll den 100. Geburtstag des Clubs begangen. Kurz: Wer hier spricht, findet Gehör.

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Es war dieser Ort, den der ARD-Vorsitzende und WDR-Intendant Tom Buhrow für einen Vorstoß wählte, der seither das ohnehin schon mürbe geschossene Gefüge der ARD erschüttert. Der Mann, der nach dem Skandal um die geschasste RBB-Intendantin Patricia Schlesinger als Interimsvorsitzender der ARD eingesprungen war und in acht Wochen dieses Amt abgeben wird, schlug kurz vor Toresschluss nicht weniger eine umfassende Neuorganisation des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland vor. Er brachte dabei auch eine Fusion von ARD und ZDF ins Spiel. Buhrow sprach ausdrücklich als „Privatmann“ – aber wie privat kann der oberste ARD-Repräsentant auftreten, wenn er wie folgt im Übersee-Club-Programm angekündigt wurde: „Tom Buhrow, ARD-Vorsitzender und Intendant des WDR“?

„Will Deutschland im 21. Jahrhundert weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender?“ Kai Gniffke (links), SWR-Intendant und ab Januar ARD-Vorsitzender, und Tom Buhrow, aktueller ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant.

„Will Deutschland im 21. Jahrhundert weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender?“ Kai Gniffke (links), SWR-Intendant und ab Januar ARD-Vorsitzender, und Tom Buhrow, aktueller ARD-Vorsitzender und WDR-Intendant.

Seit Buhrows Auftritt diskutiert das halbe Land hitzig, was die Rede genau bedeutet, warum mutige Reformvorstöße in der ARD offenbar nur als „Privatmann“ denkbar sind, wie realistisch die Pläne sind und was ihn antrieb.

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Acht Fragen und Antworten zu medienpolitischen Bombe des Jahres:

Was hat Tom Buhrow genau gesagt?

Der WDR-Intendant stellt in seiner Rede die gesamte Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks infrage und forderte eine grundlegende Reform. „Deutschland scheint uns in zehn Jahren nicht mehr in dem Umfang zu wollen – und auch finanzieren zu wollen wie heute“, sagte er. „Wenn wir jetzt nicht verantwortungsvoll und ehrlich einen Neuanfang machen, wird es schlimmstenfalls keinen Neuanfang geben.“ Buhrow sprach sich für einen Runden Tisch aus, der als eine „Art verfassungsgebende Versammlung“ einen „neuen Gesellschaftsvertrag“ ausarbeiten solle. Dabei dürfe es keine Tabus und Denkverbote geben. „Wir müssen aus dem bisherigen System Staatskanzleien hier, Sender dort ausbrechen.“

Mit Blick auf das ARD-Gemeinschaftsprogramm Das Erste und das Hauptprogramm des ZDF sagte er: „Die erste Frage – glaube ich –, die wir uns stellen müssen, ist: Will Deutschland im 21. Jahrhundert weiter parallel zwei bundesweite, lineare Fernsehsender? Wenn nicht: Was heißt das? Soll einer ganz verschwinden und der andere bleiben? Oder sollen sie fusionieren, und das Beste von beiden bleibt erhalten?“ In der Rede, die die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ dokumentierte, ging es auch um die ARD-Regionalprogramme und die Rolle von Orchestern, Bigbands und Chören. Zudem warb Buhrow dafür, offen über bundesweites Radio zu diskutieren – bisher ein Tabu innerhalb der ARD.

Was treibt Buhrow zu diesem Vorstoß?

Buhrow sorgt sich – völlig zu Recht – um die Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Systems in seinem jetzigen Zustand. Seit Jahren haben ARD und ZDF ein Legitimationsproblem – vor allem, weil ihre Manager trotz üppigster Garantiefinanzierung in Sachen Sparwillen und Reformanstrengungen noch immer keine Maximalbereitschaft zeigen, Gewohnheitsrechte, Privilegien und Vorzüge aufzugeben. Zu häufig steht der Bestandsschutz im Vordergrund. Als Beobachter kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass man vielerorts den Schuss noch nicht gehört hat.

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Dass es vor allem rechtskonservative bis antidemokratische Kräfte sind, die keine Gelegenheit auslassen, dem vermeintlichen Linksfunk Stöcke in die Speichen zu schieben, macht das grundsätzliche Problem nicht weniger drängend: ARD, ZDF und Deutschlandfunk sind als unabhängig organisierte und interessenlose Medien enorm wichtig für die demokratische Willensbildung – aber zu teuer. Aufbau und Struktur der Sender stammen aus der Nachkriegszeit. Auch die Chöre und Orchester haben ihren Ursprung in einer Zeit, als gehobene Unterhaltung und klassische Konzerte als Kernbestandteile einer bildungsbürgerlichen Gesellschaft noch als hoheitliche Rundfunkaufgaben verstanden wurden. Die Frage, warum Buhrow all diese fundamentalen Ideen nur als Privatmann und nicht in seiner Eigenschaft als ARD-Topmanager in die Debatte einbringt, kann nur er selbst beantworten.

Warum hat Buhrow seine Pläne als ARD-Chef nicht einfach verwirklicht?

Weil er das nicht kann. Die Arbeitsgemeinschaft der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten der Bundesrepublik Deutschland (ARD), das Zweite Deutsche Fernsehen (ZDF) sowie der Deutschlandfunk sind keine hierarchisch durchregierbaren Unternehmen, sondern komplexe Gebilde, über deren Aufgaben die Bundesländer in Rundfunkstaatsverträgen entscheiden.

Die Rundfunkkommission der Länder koordiniert die medienpolitischen Bemühungen der Bundesländer. Kontrolliert werden die Häuser von Gremien, in denen Vertreter der Zivilgesellschaft, darunter auch (aber längst nicht nur) Politikerinnen und Politiker über die Erfüllung der öffentlichen Aufgaben wachen – mal mehr, mal weniger professionell, wie sich im Schlesinger-Skandal zeigte. Über Programminhalte bestimmen weder die Länder noch die Gremien mit. Die Bundesländer reformieren derzeit Auftrag und Struktur des öffentlich-rechtlichen Rundfunks – und verlangen konkrete Ideen der Sender. In einem zweiten Reformschritt soll dann die Finanzierung überdacht werden. Momentan zahlen Haushalte monatlich 18,36 Euro Rundfunkbeitrag. In beiden Häusern ist man schon stolz darauf, dass man nicht mehr Geld verlangt.

Laute Schreie nach politischer „Neutralität“: Nachrichtenstudio von „ARD-aktuell“ in Hamburg, aus dem auch „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ gesendet werden.

Laute Schreie nach politischer „Neutralität“: Nachrichtenstudio von „ARD-aktuell“ in Hamburg, aus dem auch „Tagesschau“ und „Tagesthemen“ gesendet werden.

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Wie reagiert denn die Medienpolitik auf Buhrows Ideen?

Die Koordinatorin der Rundfunkkommission, Heike Raab, reagierte eher verhalten. „Wir werden den ARD-Vorsitzenden an seinen jüngsten Aussagen messen und dann Anfang des kommenden Jahres über die weiteren Reformschritte beraten“, teilte die SPD-Politikerin und rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin nüchtern mit. Der sächsische Medienminister Oliver Schenk (CDU) hingegen bezeichnete die Rede als „Weckruf“. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU), der auch im ZDF-Verwaltungsrat sitzt, sagte dem „Spiegel“: „Die Impulse sind bemerkenswert.“ Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP), zuletzt ein eifriger Kritiker von ARD und ZDF, bezeichnete Buhrows Vorstoß als wichtigen Meilenstein: „Herr Buhrow spricht das bisher Unsagbare und Undenkbare aus.“

Und was sagt das ZDF dazu?

ZDF-Intendant Norbert Himmler hat Widerspruch eingelegt. „Wir beim ZDF sind offen und bereit für eine grundsätzliche Debatte und scheuen keinen Vergleich der Systeme“, sagte er dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Ich teile aber nicht die pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden in Bezug auf die Reformfähigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks als Ganzes.“ Auch nehme er die deutsche Medienpolitik als „beweglicher“ wahr als Buhrow.

Das ZDF habe in den vergangenen Jahren bewiesen, dass es erfolgreich Reformen umsetzen könne und sich ohne zusätzliche Mittel auf die neue Medienwelt eingestellt habe. „Wir sind immer lern- und veränderungsfähig.“ Der Entwurf für den neuen Medienstaatsvertrag gebe ARD und ZDF die Möglichkeit, sich „flexibel und eigenverantwortlich“ weiterzuentwickeln. Zudem stärke der neue Auftrag die Position der Gremien bei der Überprüfung der Programmqualität. Im Klartext: Eine Fusion beider Sender hält Himmler nicht für notwendig.

„Ich teile nicht die pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden": ZDF-Intendant Norbert Himmler hält eine Fusion seines Senders mit der ARD für nicht erforderlich.

„Ich teile nicht die pauschale Skepsis des ARD-Vorsitzenden": ZDF-Intendant Norbert Himmler hält eine Fusion seines Senders mit der ARD für nicht erforderlich.

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Wie realistisch ist denn eine Fusion von ARD und ZDF?

Es ist nicht leicht, Argumente für den Betrieb zweier öffentlich-rechtlicher Systeme zu finden – außer: den Status quo zu erhalten. „Zur Qualität des öffentlich-rechtlichen Rundfunks hat auch der publizistische Wettbewerb zwischen ARD und ZDF beigetragen“, findet ZDF-Intendant Norbert Himmler. Doch so richtig kann niemand erklären, warum etwa die Feierlichkeiten rund um das Begräbnis von Queen Elizabeth II. mit zwei Teams in zwei Sendungen parallel in der ARD und im ZDF übertragen wurden. Die Fusion ist seit Jahren ein beliebtes Planspiel interessierter politischer Kreise, wo eine gewisse Paranoia herrscht, ARD und ZDF wollten auf Krawall eine linksliberale, maximaltolerante Multikulti-Agenda durchdrücken.

AfD und FDP liebäugeln offen damit – dabei sind finanzielle Gründe freilich zumeist vorgeschoben. In Wahrheit geht es um die Verringerung vermeintlicher publizistischer Gegenmacht. Weniger öffentlich-rechtlicher Rundfunk – das bedeutet in der Gleichung von Populisten auch: weniger Gegenwind für uns. Der laute Schrei nach politischer „Neutralität“ kann nicht kaschieren, dass die AfD ein seltsames Verständnis von Neutralität hat: Was in ihrem Sinne ist, hält sie für politisch neutral – jede Kritik aber verteufelt sie als politisch gefärbte Gegenpropaganda. Im Geheimen wünscht sie sich also, was sie in jedem missliebigen Kommentar vermutet: Zensur.

Aber warum sollte es ausgeschlossen sein, das Beste aus zwei Welten in einer Senderfamilie zu vereinen? Technisch und in Teilen redaktionell arbeiten ARD und ZDF bereits eng zusammen – etwa bei Sportereignissen oder in den zunehmend verzahnten Mediatheken. Sicher ist aber auch: Das Einsparpotenzial beim ZDF ist deutlich geringer als bei der ARD, die allein 64 regionale Radiosender und 14 Orchester und Bigbands betreibt. Allerdings versorgt die ARD mit ihren neun linearen Dritten Programmen auch die Regionen – anders als das ZDF.

Dabei wildert sie freilich immer stärker mit öffentlichem Geld unterstützt in Hoheitsgebieten privater Verlage, die jeden Euro erst verdienen müssen. Der Streit darüber schwillt immer wieder an. Eine Fusion dürfte machbarer sein, als sie in beiden Häusern denkbar ist. Die Entscheidung darüber freilich treffen nicht die Sender, sondern die Politik.

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Sind ARD und ZDF tatsächlich reformunfähig, wie Buhrow fürchtet?

Kaum jemand hat einen so tiefen Einblick in ARD-Verkrustungen wie der WDR-Intendant. Wenn Buhrow schon die intrinsische Erneuerungskraft der Häuser in Zweifel zieht, steht zu befürchten, dass er recht hat. Mit den bisherigen Anstrengungen jedenfalls ist es weder ARD und ZDF gelungen, die Öffentlichkeit vom Gegenteil zu überzeugen. Auch deshalb dürfte Buhrow jetzt die Flucht nach vorne angetreten haben – um die Deutungshoheit zu behalten.

Doch Schuld daran sind nicht allein die Sender. Auch die Standortinteressen der Bundesländer spielen eine Rolle. „Jede einzelne Staatskanzlei findet genau zwei Sender gut“, sagte Buhrow: „das ZDF, in dessen Aufsichtsgremien jede Landesregierung vertreten ist, und die eigene Landesrundfunkanstalt aus der ARD. Jenseits dieser zwei Sender beginnt in der Fantasie das Reich unendlicher Einsparmöglichkeiten“. Im „Klein-Klein zwischen Ländern und Sendern“ seien die großen Fragen aber nicht zu lösen. In „der Kakophonie der gereizten Äußerungen“ sprächen zwar viele von Reform, aber fast alle meinten eigentlich Teilreform. Beispiel: Landespolitiker in Sachsen-Anhalt hätten bei ihrem Widerstand gegen die jüngste Beitragserhöhung keinerlei Abstriche bei den MDR-Landesradios hinnehmen wollen. Sie forderten stattdessen die Abschaffung des Saarländischen Rundfunks. Ein Dickicht aus Interessen verhindert bisher radikalere Reformansätze.

Und wie geht es nun weiter?

Die Idee eines Runden Tisches, an dem die Gesellschaft ihre Vorstellungen von einem öffentlichen Rundfunk der Zukunft definiert, scheint vielversprechend. Nur mit einem radikalen Schnitt scheint es denkbar, dass ARD und ZDF ihr Image als nimmersatte, von den Realitäten entkoppelte, sich totverwaltende Medienbehörden abstreifen. Ein solches neues Gremium aber könnte sich höchstens informell austauschen – oder man müsste die Zuständigkeiten in der Medienpolitik neu regeln. „Das kann Jahre dauern“, warnte SWR-Intendant Kai Gniffke, der Buhrow ab Januar 2023 turnusmäßig als ARD-Vorsitzender nachfolgen wird.

„Diese Geduld habe ich nicht. Meine Sorge ist, dass in dieser Zeit der Reformeifer erlahmt.“ Stattdessen solle die ARD „den Elan nutzen, um gemeinsam mit unseren Aufsichtsräten mutige Reformen anzuschieben.“ Es sei „richtig, auch Dinge zu überdenken, die wir lange für unantastbar gehalten haben, Stichwort Hörfunkwellen, Orchester, Produktionsstätten oder lineare TV-Kanäle“. Buhrows größtes Verdienst also scheint darin zu liegen, Offensichtlichkeiten offen auszusprechen. Oder anders gesagt: Die ARD hat endlich Anschluss an die Realität gefunden.

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