„Deutschlands frechster Arbeitsloser“

Arno Dübel: Der letzte große Star eines fragwürdigen Mediengenres

Arno Dübel 2010 bei  „Maischberger“.

Arno Dübel 2010 bei  „Maischberger“.

Hannover. Es gab Zeiten, da waren „Gender-Gaga“, „Woke-Wahnsinn“ und „Klimakleber“ noch keine Panikworte in deutschen Boulevardmedien. Die „Pleite-Griechen“ und die „Flüchtlingswelle“ waren noch in weiter Ferne – und die Zeit der 68er-„Krawallstudenten“ längst vorbei. Das Feindbild zu dieser Zeit war ein anderes: vermeintlich faule Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger – oft auch einfach nur „Schmarotzer“ genannt.

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Es ist ziemlich gut dokumentiert, wie Arbeitslose über Jahre hinweg (und teilweise bis heute) in verschiedenen Mediengenres der Lächerlichkeit preisgegeben wurden. Die Hochphase dieser Zeit dürften die 2000er-Jahre gewesen sein: Das Privatfernsehen zeigte zeitweise im Marathon gestellte Doku-Soaps mit den skurrilsten Figuren, die faul vor Fliesentischen herumlungerten und Schokoküsse in sich hineinstopften. Mal half man Ihnen aus den Schulden, mal begleitete man sie bei der stets wenig erfolgreichen Suche nach einem Job – oder durch ihr vermeintlich tristes Leben. Die Machart dieser Sendungen bekam mit der Zeit einen inoffiziellen, umgangssprachlichen Genrenamen: „Hartz-IV-TV“.

Auch Boulevardzeitungen zeichneten das Klischeebild des faulen Arbeitslosen eifrig mit. Bei der „Bild“ setzte man vor allem auf Empörung: „Die üblen Tricks der Hartz-IV-Schmarotzer!“, „Macht Hartz-IV faul?“ oder „Hartz-IV-Hammer (...) Wird Faulheit nicht mehr bestraft?“ - nur einige der vielen Schlagzeilen der vergangenen Jahrzehnte. Und immer wieder kramte die Redaktion der Zeitung auch bizarre Einzelfälle aus, die der ganzen Faulheit und dem Schmarotzertum ein persönliches Gesicht geben sollten. Eines dieser Gesichter war „Deutschlands frechster Arbeitsloser“: Arno Dübel.

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Erster Auftritt bei „Arabella“

Zugegeben: Es war nicht die „Bild“-Zeitung, die den damals 45-Jährigen erstmals in die Schlagzeilen brachte – es war die Talkshow von Arabella Kiesbauer auf Pro Sieben. Schon 2001 plaudert Dübel hier erstmals über sein glückliches Leben als Hartz-IV-Empfänger und seinen Plan, nie wieder arbeiten zu wollen. Arbeit sei schließlich „scheiße“. Für Medien ist Dübel ein gefundenes Fressen: Zahlreiche Talkshows und Magazinsendungen springen umgehend auf ihn an.

Ein Ausschnitt aus der Sat.1-Talkshow „Britt“ ist heute noch online verfügbar. Hier stellt sich Dübel in einem Einspieler vor, in dem er mit einer Torte sein 30-Jähriges Jubiläum der Arbeitslosigkeit zelebriert – Provokation par excellence. „Ich bin stolz und glücklich, dass ich das erreichen durfte, und freue mich auf die nächsten 30 Jahre ohne Arbeit“.

Dann betritt Dübel – begleitet von lauten Buhrufen – das Fernsehstudio und wird umgehend von anderen Gästen beschimpft. „Du bist das asozialste Stück, das es in Deutschland gibt“, wütet eine Frau. Kurz darauf empört sich das halbe Studiopublikum minutenlang über die Dreistigkeit deutscher Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger.

Dübel wird zum Doku-Star

Arno Dübel ist eine Reizfigur, die Quote bringt. Der Langzeitarbeitslose ist zu Gast bei Fränklin, bei Maischberger, bei „Mitten im Leben“ auf RTL und darf in der „Münchner Runde“ im Bayerischen Rundfunk auftreten. Klaas Heufer-Umlauf und Joko Winterscheidt interviewen Dübel später bei „MTV Home“.

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Bei „Kerner“ streitet sich Dübel mit Ex-Fußball-Manager Reiner Calmund, lacht über Mails mit Jobangeboten. Zahlreiche Klatschmagazine besuchen Dübel auch zu Hause: Das „Frühstücksfernsehen“, „taff“ und das RTL-Format „Deutschlands schrägste Typen“ widmen dem Langzeitarbeitslosen eigene Beträge, in denen er seine Kernaussage immer aufs Neue wiederholen darf: Ihm sei alles egal – auch, was andere über ihn denken. Arbeiten jedenfalls, das werde er in diesem Leben ganz sicher nicht mehr.

Wie authentisch die Geschichte Dübels ist, ist schon zu dieser Zeit fraglich: Es gilt als überaus schwierig, als Arbeitslosengeld-II-Empfänger über Jahre hinweg Jobangebote abzulehnen, ohne dafür sanktioniert zu werden. Es recht dann, wenn man mit dieser Masche ständig in Fernsehsendungen hausieren geht. Hinterfragt allerdings wird das nur selten.

Das Publikum schäumt vor Wut

Die „Bild“-Zeitung schreibt Dübel zum „frechsten Arbeitslosen Deutschlands“ hoch. Das Boulevardblatt widmet dem damals 54-Jährigen ab 2010 Dutzende Artikel mit immer neuen aufsehenerregenden Neuigkeiten. 323 Euro bekomme Arno Dübel monatlich vom Staat zum Leben, heißt es darin. Das gehe vor allem für Zigaretten und Alkohol drauf. Dübel sei Kettenraucher, sitze den ganzen Tag auf seinem grünen Sofa, schaue fern.

In einem Text mit der Headline „So gammelt er sich durch den Tag“ präsentiert die Zeitung einen typischen Tagesablauf Dübels. Immer wieder berichtet „Bild“ über vermeintliche Erfolge der Behörden, Dübel doch noch an die Arbeit zu kriegen – die dann wenig später jedoch wieder scheitern. „Deutschlands frechster Arbeitsloser muss jetzt bügeln“, heißt es in einem Text von 2010 – das Amt habe ihn dazu verdonnert. Dübel selbst jedoch meldet sich immer wieder krank, wie es in mehreren Artikeln heißt, und komme dann doch ums Arbeiten herum.

Leserinnen und Leser bringt die Geschichte des Langzeitarbeitslosen gehörig auf die Palme. Unter einem Text veröffentlicht „Bild“ die aufgebrachten Zuschriften: „Es ist nur noch zum Schlechtwerden, was diese Typen auf Kosten der Steuerzahler veranstalten“, schreibt Helmut. Christa meint: „Ich möchte meinen Rechtsanwalt einschalten, damit dieser Schmarotzer nie wieder auch nur einen Cent erhält.“ Und Reiner findet: „Man sollte dem Sozialgeier alles streichen: Geld, Wohnung, Krankenkasse, Strom, Wasser, Möbel. Wenn er bei den derzeitigen Temperaturen unter der nächsten Brücke pennen muss, kann er sich ja überlegen – warm arbeiten oder frieren.“

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Vom Talkshow-Star zum Internet-Meme

Auch mit der Kamera begleitet das Boulevardmedium den Langzeitarbeitslosen. Mit Kippe auf einem Sessel sitzend erzählt er eine Geschichte, die später Internetgeschichte schreiben wird. In breitem norddeutschen Dialekt plaudert Dübel, er habe Post aus dem schleswig-holsteinischen Elmshorn bekommen. „Machen Sie sich mal einen Begriff. Ich wohn‘ hier in Hamburg, die glauben doch nicht, dass ich nach Elmshorn fahre und arbeite. Nein, das mach‘ ich nicht. Elmshorn, das gehört zu Schleswig-Holstein oder so, Richtung Kiel mäßig. Ne, mach‘ ich nich‘.“

Noch Jahre später verteilt sich der Clip hunderttausendfach in den sozialen Netzwerken, seit Jahren ist das Statement ein Einspieler des Spotify-Podcasts „Fest & Flauschig“ von Jan Böhmermann und Olli Schulz.

Arno Dübel bringt die unverhoffte Prominenz irgendwann tatsächlich einen Job: Ein Unternehmen auf der Insel Mallorca sichert sich seine Namensrechte, um mit Dübels Gesicht eine eigene Biermarke auf den Markt zu bringen – sie heißt „Arno‘s Dübel“. Sogar einen Plattenvertrag erhält der Langzeitarbeitslose. Insgesamt drei Songs veröffentlicht Dübel in den Jahren 2010 und 2011: „Der Klügere kippt nach“, „Einer geht noch, einer geht noch rein“ und „Ich bin doch lieb“.

Hochproblematische Darstellung

So lustig das alles auch sein mag – die Darstellung Dübels in den Medien halten Kritikerinnen und Kritiker für hochproblematisch. Christoph Butterwegge, Professor für Politikwissenschaft an der Universität zu Köln schreibt in einem Paper (2022), Figuren wie Arno Dübel seien in den Medien „stark überrepräsentiert“. Sie würden ihren Arbeitslosengeld-II-Bezug vermarkteten beziehungsweise öffentliche Selbstdarstellung betreiben. Die Berichterstattung der „Bild“-Zeitung führte zu „blankem Hass“ gegenüber dem Langzeiterwerbslosen – nachzulesen sei das in zahlreichen Kommentaren in den sozialen Netzwerken. Hartz-IV-Betroffene würden in den Massenmedien darüber hinaus „regelrecht verhöhnt“.

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In den „Blättern für deutsche und internationale Politik“ (2016) sehen die Autoren Sebastian Dörfler und Julia Fritzsche Dübel in seiner Rolle des „faulen Arbeitslosen“ als „Gegenbild zum Ideal unserer Leistungsgesellschaft“. „Die Abwertung der Armen untergräbt (...) den gesellschaftlichen Zusammenhalt: Zerrbilder von Arno Dübel, (...) von angeblichen Parasiten, Schmarotzern und Abzockern‘ sind Ausdruck einer Gesellschaft, die Menschen nur noch nach ihrem Nutzen für die Wirtschaft beurteilt.“

Die Stimmungsmache gegen Hartz-IV-Empfänger spiegelt sich auch in Studienergebnissen wider. In einer Untersuchung des Bielefelder Soziologen Wilhelm Heitmeyer und den Mitte-Studien der Universität Leipzig von 2008 sind Arbeitslose die am stärksten abgewerteten Gruppe: 57 Prozent der Befragten stimmten der Aussage zu: „Ich finde es empörend, wenn sich die Langzeitarbeitslosen auf Kosten der Gesellschaft ein bequemes Leben machen.“

Der letzte große Star eines fragwürdigen Genres

Damals, zur Hochphase seiner Bekanntheit, ist Arno Dübel ein Feindbild unter vielen. Immer wieder graben Boulevardmedien zu dieser Zeit Einzelfälle angeblichen Schmarotzertums aus und jazzen sie zum Symbolbild hoch. Sie alle bekommen schlagzeilenträchtige Spitznamen: „Florida-Rolf“, „Karibik-Klaus“ oder „Teneriffa-Peter“ zum Beispiel. Parallel dazu läuft das Nachmittagsprogramm der Privatsender: Scripted-Reality-Formate, die immer wieder neue Figuren dieser Art erfinden.

Sendungen wie diese gibt es heute nur noch wenige. Das über viele Jahrzehnte schlagzeilenträchtige Hartz IV wurde inzwischen durch das Bürgergeld ersetzt. Und auch, wenn die Narrative in der Berichterstattung weiterhin existieren, so sind die Feindbilder heute andere.

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Auch Arno Dübel steht schon lange nicht mehr im Fokus von Klatschformaten und Zeitungsartikeln. Vor einigen Jahren, nach drei gefloppten Hits und der missglückten Biergeschäftsidee, gab der Langzeitarbeitslose bekannt, er wollte nicht mehr mit den Medien über sein Leben reden – es folgten nur noch vereinzelte Auftritte. 2020 wurde bekannt, dass Dübel zuletzt in einem Altersheim lebte, auch Schauspielpläne kündigte er gegenüber Medien an.

Am Dienstag starb Deutschlands wohl bekanntester Langzeitarbeitsloser nach übereinstimmenden Medienberichten in einem Krankenhaus in Hamburg. Und mit ihm das wohl bekannteste Gesicht eines fragwürdigen Mediengenres.

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