Nachfolger von „4 Blocks“: Kida Khodr Ramadans gewaltberauschte Serie „Asbest“
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Der „Kurde“ (Kida Khodr Ramadan) beobachtet das Fußballspiel.
© Quelle: ARD Degeto/Pantaleon Films GmbH/Simon Dat Vu (Repro)
Im Gangsterfilm gibt es nicht nur die bösen Bösen, sondern auch die guten Bösen, und das ist das Problem von „Asbest“, der ersten Serie von Kida Khodr Ramadan nach seinem formidablen Debüt mit „In Berlin wächst kein Orangenbaum“ (2020). Der Fernsehfilm war eine mit viel Melancholie erzählte Mischung aus Gangsterkino und Vater-Tochter-Tragikomödie, die Serie ist eine über weite Strecken höchst unerfreuliche Ballung toxischer Männlichkeit – und insofern ein würdiger Nachfolger der Familienclanserie „4 Blocks“, dessen Hauptdarsteller Kida Khodr Ramadan war.
Grundlage des Drehbuchs waren die Memoiren eines Hamburger Fußballtrainers, der fast 40 Jahre lang die „Knastkicker“ der JVA Fuhlsbüttel trainiert hat („Fairplay mit Mördern“). Juri Sternberg, bereits Ramadans Koautor bei dessen Regiedebüt, hat sich auf den Werdegang des Häftlings Momo konzentriert: Der 19-jährige Mohamed (Koder Alian) ist ein talentierter Berliner Kicker kurz vor dem Wechsel zu Hertha BSC, als ihm zwei Cousins die Karriere versauen, indem sie einen Club überfallen. Momo saß nur im Auto, wird aber trotzdem zu einer neunjährigen Haftstrafe verurteilt. Im Gefängnis begrüßt ihn ein Wärter mit einem Hieb in den Magen: Willkommen im Knast.
Momo träumte von einem Spießerleben mit Frau, Haus und Kindern
Was nun folgt, ist eine moderne Variation des Kinoklassikers „Die Verrohung des Franz Blum“ (1974) von Reinhard Hauff. Momo, der von einem Spießerleben mit Frau, Haus und Kindern geträumt hat, möchte für das Knastteam kicken und sich ansonsten aus allem raushalten. Doch das wird ihm nicht gelingen, schließlich ist er Mitglied der libanesischen Kaval-Familie, wie ihm sein Gangstervetter Sharif (Burak Yigit) klarmacht.
Aber nicht nur Clanboss Amar (Stipe Erceg) will, dass Momo für ihn arbeitet; auch Clubbesitzer Henry (Wotan Wilke Möhring) hätte ihn gern auf seiner Seite. Und dann ist da noch der von Ramadan selbst gewohnt charismatisch verkörperte „Kurde“. Als Momo verhindert, dass Sharif ihn ermordet, findet er einen mächtigen Freund. Damit ist es auch um seine Neutralität geschehen; er wird nun mehr und mehr zu dem Kriminellen, der er nie sein wollte.
Permanent gewaltgeschwängerte Atmosphäre
Als Kinofilm hätte die Serie wohl keine Freigabe ab zwölf Jahren bekommen, weil die Hauptfigur alles andere als ein erstrebenswertes Vorbild ist; von der permanent gewaltgeschwängerten Atmosphäre ganz zu schweigen. Bei den diversen Schlägereien spritzt das Blut plakativ auf weiße Kacheln. Die Darbietungen einiger Darsteller erinnern zudem an den Übereifer von Amateurschauspielern, aber selbst die Profis sind nicht gegen Übertreibungen gefeit; Claudia Michelsen wirkt als pillensüchtige JVA-Direktorin wie eine Karikatur.
Die Besetzungsliste ist ohnehin ausufernd prominent. Die Mitwirkung von Sabin Tambrea und Alexander Beyer zum Beispiel beschränkt sich auf wenige Sätze. Schillernde Rollen spielen dagegen Jan Georg Schütte als korrupter Polizist und Anatole Taubman als Schließer, der mehreren Herren dient. Detlev Buck schließlich ist als tiefenentspannter „politischer Häftling“ und väterlicher Ratgeber Momos eine erfreuliche Abwechslung zu all den Gestalten, die vor Testosteron kaum laufen können. Eine interessante Rolle hat auch Nicolette Krebitz als Anstaltstherapeutin, die in den ersten zwei Folgen nur akustisch präsent ist, und Lulu Hacke ist als Momos Freundin eine echte Entdeckung. Die Bildgestaltung (Simon Dat Vu) ist preiswürdig.
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Serie endet mittendrin, als sei Ramadan das Geld ausgegangen
Die Serie endet allerdings mittendrin, als sei Ramadan das Geld ausgegangen. Es bleiben viele Fragen offen, die Ramadan vermutlich gern in einer Fortsetzung beantworten würde. Der eigentliche Wert von „Asbest“ liegt jedoch in einer unausgesprochenen Aufforderung an die Gesellschaft: Wie lässt sich verhindern, dass brave Jungs zu Kriminellen werden? Der entsprechende Schlüsselsatz stammt von Onkel Amar, der Momos Bruder das Berliner Stadtschloss zeigt und sinngemäß sagt: Dafür haben sie 400 Millionen, aber deine Schule verrottet.
„Asbest“ ist ab dem 20. Januar in der ARD-Mediathek abrufbar.