„Boom! Boom!“: Boris Becker – der Junge, der das Zocken nicht lassen kann
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Boris Becker, ehemaliger Tennisprofi und Protagonist, kommt zur Bühnenpräsentation des Films „Boom! Boom! The World vs. Boris Becker“ im Rahmen der Berlinale.
© Quelle: Jens Kalaene/dpa
April 2022. Boris Becker ist am Boden. „Was habe ich getan, um das zu verdienen?“ Es ist keine ernst gemeinte Frage, die der Ex-Tennisprofi mit rot geweinten Augen stellt. Becker weiß genau, warum er in zwei Tagen ins Gefängnis gehen wird: Er hat in einem Insolvenzverfahren Millionenvermögen verschwiegen.
Die Dokumentation „Boom! Boom! – The World vs. Boris Becker“ setzt an einem Tiefpunkt eines an Skandalen nicht eben armen Lebens an. Zwei Mal hat Becker den Regisseur Alex Gibney zu ausführlichen Gesprächen getroffen. Der US-Amerikaner ist ein Dokuspezialist; für den Folterpraktiken des US-Militärs aufzeigenden Film „Taxi zur Hölle“ gewann er 2008 einen Dokumentarfilmoscar. Aber Gibney interessieren weder die Haftbedingungen noch das derzeitige Leben Beckers, der noch eine Weile die Hälfte seiner Einnahmen an einen Insolvenzverwalter wird abgeben müssen.
Becker, der talentierte Rotschopf, der dreimalige Wimbledon-Sieger, der Besenkammergigolo, der oft von falschen Freunden Umgebene – warum hat er so die Kontrolle über sein Leben verloren? Warum wollte er immer mehr, obwohl er hätte wissen müssen, dass es schlecht enden würde? Gibney hat eine interessante Antwort auf diese Fragen gefunden.
Doch was ein pikante Enthüllungen gewohntes Publikum überraschen dürfte: Dem Filmemacher geht es tatsächlich um Tennis. Gerade erst ist Netflix mit seiner Serie „Break Point“ daran gescheitert, ein neues Publikum für den Sport mit den gelben Filzkugeln zu begeistern. „Boom! Boom!“ zeigt, wie es geht: mit den richtigen Protagonisten und Protagonistinnen.
Er wolle ein bisschen angeben, hatte Becker auf der Pressekonferenz der Berlinale gesagt, wo der Film erstmals aufgeführt wurde. Er kenne keinen anderen Sportfilm, bei dem so viele prominente Sportler und Sportlerinnen auftreten. Und tatsächlich profitiert „Boom! Boom!“ von den vielen Interviews. Neben Weggefährten, Trainern und Angehörigen kommen auch andere Tennissuperstars zu Wort.
Stefan Edberg, Björn Borg und John McEnroe mögen ergraut sein, ihr Charisma haben die ehemaligen Weltklassespieler nicht verloren. McEnroe erinnert sich grinsend daran, wie er den jungen Leimener einschüchtern wollte, und wie der auf dem Platz mit vorgetäuschten Hustattacken reagierte – die McEnroe dann seinerseits mit Husten konterte. Der schwedische Modellathlet Borg zieht Parallelen von seinem zu Beckers Leben: Beiden habe der Ruhm zu schaffen gemacht.
Für die Steuerung des Medienansturms war der Mann mit dem beeindruckenden Riesenschnauzer zuständig: Ion Tiriac. Der ehemalige Becker-Manager lockert die Dokumentation mit kurzen, trockenen Sätzen auf. Sein erster Eindruck des damaligen Teenagers? „Interessant. Etwas pausbäckig.“ Der inzwischen 83-jährige Tiriac, den man in den in der Gegenwart gedrehten Szenen auch einmal ohne übergroße Sonnenbrille bestaunen darf, erweist sich als scharfer Beobachter. „Er verhält sich wie ein Kind, das mit der Kerzenflamme spielt,“ kommentiert er den Umgang des Millionärs Becker mit den ihn umgebenden Verlockungen.
So liefert Tiriac dem Regisseur der Doku eine Steilvorlage für die Beantwortung der Frage: Warum hat sich Becker in seinem Leben immer wieder so verantwortungslos verhalten? Gibney hat ein altes Interview gefunden, in dem der Tennisspieler eine eigenwillige Vorgehensweise preisgibt. Zuweilen finde er gar nichts Schlimmes daran, den ersten Satz eines Spieles zu verlieren – „das fordert meine Psyche heraus.“ Gibneys Stimme kommentiert aus dem Off, während „Bumm-Bumm-Boris“ bei einem Grand-Slam-Turnier zu sehen ist: „Eine faszinierende Strategie, aber im echten Leben fatal.“
Becker: Öffentliches Schuldbekenntnis im Interview
Tennisstar Boris Becker hat sich nach seiner Haftentlassung öffentlich zu seiner Schuld bekannt.
© Quelle: dpa
Becker, der ewige Zocker. Becker, der Mann, der auch Finanzbehörden mit Spielchen herausfordert. Direkt konfrontiert hat der Regisseur seinen Protagonisten nicht mit seiner These, was den Film aber nicht schlechter macht. Gibney zeigt noch einmal die Anfänge des jungen Boris. Der 17‑Jährige auf dem Rasen des Center Court, beim Interview nach dem Gewinn des Pokals, auf dem Rathausbalkon in Leimen, ungläubig staunend.
Altbekannte Bilder, aber in „Boom! Boom!“ bekommen sie eine andere Wirkung. Hat Becker, der immer blendend aussah, ob mit Jeansjacke, Anzug oder Prinz-Heinrich-Mütze, vielleicht doch einen stärkeren Einfluss auf sein Bild in der Öffentlichkeit gehabt, als man bislang geglaubt hat? „Medien haben mich immer fasziniert“, sagt der heutige Becker, rote Haare, grauer Bart.
Der Ex-Profi weiß seine großen Spiele, die die Dokumentation ausführlich rekapituliert, unterhaltsam zu kommentieren. Becker reichert die Berichte mit amüsanten Anekdoten an. John McEnroe brachte ihm einst völlig neue englische Schimpfworte bei.
Der Film hat nur kleinere Schwächen: Die Inszenierung von Beckers Gegnern als Westernhelden wirkt manieriert, die ständig schmetternden Mariachitrompeten sind so überflüssig wie die nachgestellten Ballnahaufnahmen. Der Film endet etwas abrupt im Jahr 1991, als die wirklich große Karriere von Becker bereits vorbei war. Das hat seinen Grund, denn beim Streamingdienst Apple TV+ soll es noch einen zweiten Teil geben – Starttermin bislang unklar.
„Boom! Boom! – The World vs. Boris Becker“ ist das Werk eines echten Tennisfans. Alex Gibney betreibt dabei keine keimfreie Imagepolitur, wie sie die Ex-Royals Harry und Meghan mit ihrer gleichnamigen Serie intendieren. Der Film ist das kritische Portrait eines faszinierenden Sportlers, der noch heute so charismatisch ist wie kaum eine öffentliche Person in Deutschland.
Nach Haftentlassung: Boris Becker berichtet über Zeit im Gefängnis
In einem Interview des Senders Sat.1 hat der Ex-Tennisstar Boris Becker über seine Zeit im britischen Gefängnis gesprochen.
© Quelle: dpa
Boris Becker ist heute ein freier Mann. Im Dezember 2022 wurde der Ex-Tennisprofi vorzeitig aus dem Gefängnis entlassen. Seitdem lebt er an verschiedenen Orten, nur nicht in seiner alten Heimat England. In einem Interview kurz vor Weihnachten berichtete er, er könne sich ein Leben in Dubai oder Florida vorstellen. Nur Deutschland komme nicht infrage. Aber wenn Ion Tiriac Recht behält, wird Boris Becker weiterhin dort zu finden sein, wo sich mit Flammen spielen lässt.
„Boom! Boom! – The World vs. Boris Becker“ läuft am 23. Februar noch einmal auf der Berlinale, beide Teile der Dokumentation werden später im Jahr bei Apple TV+ zu sehen sein.