Mit der zweiten Staffel ist schon Schluss

„Carnival Row“ – zu frühes Farewell an Feen und Faune

Die Row ist zum Getto geworden: Philo (Orlando Bloom) und Vignette (Cara Delevigne) in einer Welt von Diskriminierung und Hass. Szene aus der zweiten Staffel von „Carnival Row“.

Die Row ist zum Getto geworden: Philo (Orlando Bloom) und Vignette (Cara Delevigne) in einer Welt von Diskriminierung und Hass. Szene aus der zweiten Staffel von „Carnival Row“.

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Die Guillotine auf dem großen Platz des Stadtstaats The Burgue ist eine imposante, brutalistische Mordvorrichtung, die den Scharfrichtern im revolutionären Paris schon allein ob der Zeitersparnis gefallen hätte. Mit einem einzigen Abschwung des schweren Pendelbeils fallen die Köpfe von gleich fünf Pucks (so werden die Faune in dieser Fantasywelt genannt) in einen Korb. Das Volk brüllt vor Vergnügen, und dass die widdergehörnten Männer nur Sündenbocke und unschuldig sind am Tod von Kanzler Absalom Breakspear und seiner Gattin, interessiert niemanden auch nur im Geringsten.

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Man sei schließlich „a nation under attack!“ ruft der neue Staatschef Jonah Breakspear (Arty Froushan), der Sohn der beiden Toten, dem Pöbel entgegen. Der Stadtteil Carnival Row ist da schon lange in ein drahtüberspanntes Getto verwandelt – ein Gefängnis für die einst vor den Soldaten des völkermordenden „Pakts“ hierher geflüchteten Feen, Kentauren und anderen Fabelwesen. Sie hatten hier Schutz gefunden, jetzt wird es eng für sie in The Burgue.

Ein politisches Märchen füllte die Lücke von „Game of Thrones“

Mehr als drei Jahre hatten die Fans von Travis Beachams und René Echevarrias Serie „Carnival Row“ auf die Fortsetzung warten müssen. Die erste Staffel hatte einigen Eindruck gemacht. Eine politische Fantasy füllte da im Herbst 2019 auf etwas schlichtere, weniger feinsinnige und doch erzählerisch bindende Art die Lücke, die „Game of Thrones“ kurz zuvor nach seiner verunglückten letzten Staffel im Bereich der politisch duchwirkten Fantasy gerissen hatte.

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Eine Geschichte, in der den Geboten des Genres entsprechend neben (Herren-)Menschen allerhand sagenhafte und mythische Wesen zu finden waren. Und die in einem dem London des viktorianischen Zeitalters ähnelnden Setting auch noch die Jagd eines Polizisten auf einen besonders grausamen Serienmörder bot – in schaurig-schöner „Ripper Street“-Manier.

Frühes Finale: Die zweite Staffel hat ein abgerundetes Ende

Heldin und Held waren überdies interessant – sowohl ansehnlich als auch angeknackst. Den verschlossenen Polizeiinspektor Rycroft Philostrate (gespielt vom fantasyerprobten „Herr der Ringe“-Star Orlando Bloom) und die hitzige und rebellische Fee Vignette Stonemoss (Cara Delevingne) schloss man in die J.-R.-R.-Tolkien-&-G.-R.-R.-Martin-Kammer seines Herzens. Das Gesehene ließ auf einige Folgestaffeln schließen.

Und dann vermeldete der Streamingdienst Amazon Prime Video im vorigen November, dass die zweite auch schon die letzte Staffel werden würde. Wer das noch nicht wusste und wen bei dieser Mitteilung nun das „1899″-Grauen packte (Netflix hatte die Mysteryserie mit noch 1001 offenen Geheimnis nach der ersten Season abreißen lassen), der möge zumindest halbwegs beruhigt zur Fernbedienung greifen. Die „Canival Row“-Autoren haben ihrer Geschichte ein Ende verpasst, die Zuschauer bekommen eine abgerundete Erzählung serviert. Immerhin.

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Die Row ist ein Getto, es herrscht Pogromstimmung

Vignette begegnet man im Widerstand. Sie und ihre Feenfreunde vom Bund Black Raven überfallen eine Eisenbahn, um die von den Menschen der Armut und dem Siechtum überlassenen Gettobewohner der Burgue mit Medikamenten versorgen zu können. Anderntags wird die Leiche eines Soldaten, der den Zug begleitete, hoch oben auf einem Pilaster sitzend gefunden.

Ganz klar (Spoilerwanung!): Nur eine Fee kann ihn dort hingeflogen haben, da muss die Polizei gar nichts beweisen. Der rechte Stoff, um den Rassenhass bei den sich überfremdet fühlenden Bürgern der Burgue weiter zu befeuern. Dass der aus dem Staatsdienst entlassene Philo, halb Mensch, halb Feenmann, den Behörden bei der Mördersuche helfen will – nämlich, um die Feen zu entlasten und den wahren Täter zu finden – bringt ihn in Gegensatz zu Vignette.

Und der reiche Faun Agreus (David Gyasi), der auf seinem Dampfsegler der Burgue entronnen war, gerät mit seiner geliebten Menschenfrau Imogen (Tamzin Merchant) in der Hafenstadt Ragusa, seinem Refugium, in die Traufe. Die kommunistisch angehauchte Organisation „New Dawn“ (Neue Morgendämmerung) aus dem Terrorstaat „Der Pakt“ hat hier eine Revolution angestoßen.

Deren Anführerin, die Puckfrau Leonora (Joanne Whalley), will gleich beide Menschenreiche umstürzen, zumal die alten Kriegsgegner einander Beistand zu leisten scheinen und die industriell erfolgreiche Burgue dem einstigen Feind offenbar Waffen gegen die als Terroristen eingestuften Freiheitskämpfer liefert. Kapitalisten wie Agreus gelten „New Dawn“ als Stützen des Systems und werden an die Wand gestellt.

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Geraten in eine Revolution: Faun Agreus (David Gyasi, r.), seine Menschenfrau Imogen (Tamzin Merchant) und deren Bruder Ezra (Andrew Gower).

Geraten in eine Revolution: Faun Agreus (David Gyasi, r.), seine Menschenfrau Imogen (Tamzin Merchant) und deren Bruder Ezra (Andrew Gower).

Das Steampunk-Setting hat Bezüge zur Wirklichkeit

Alles ist damit ein wenig beim Alten in diesen fantastischen Landen, nur eben noch ein wenig schlimmer als zuletzt. Und die Story ruft dem Zuschauer erneut die realen jüngsten Zeiten ins Bewusstsein: Krieg, der Flüchtlingsbewegungen auslöst. Flüchtlinge, die Ressentiments wecken. Ressentiments, die zu einem politischen Rechtsruck führen. Ein Rechtsruck, der Menschenhasser und Schwurbelköpfe ins Parlament bringt.

Lügen, Intrigen, Propaganda, Geheimnisse und der Kampf für den Sieg von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – all das wird in der pittoresken Steampunk-Optik präsentiert, die einen 2019 sofort für dieses Paralleluniversum begeisterte. Aber diesmal alles unter Volldampf.

Der Druck, zum Ende zu kommen, bringt Nachteile mit sich

Was Nachteile mit sich bringt. Charakterveränderungen – etwa die des von Jamie Harris gespielten hassdampfenden Sergeants Dombey zum halbwegs erträglichen Zeitgenossen – erscheinen fast wie Charakteraustausche. Die Überzeichnung einiger Figuren irritiert ebenso wie die Neigung der Autoren zu kolportagehaften Momenten.

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Wenn etwa ein Maschinengewehr beim letzten Todeskandidaten (von einem halben Dutzend) unverhofft das Kugelspucken einstellt – ausgerechnet beim einzigen Delinquenten, der zu den Hauptfiguren der Saga gerechnet wird – erinnert dies an die uralten Zeiten des Kintopps, in denen eins sicher war: Helden überleben alles.

Zu viele „Kavalleriemomente“ sind der Spannung Tod

Immer wieder gibt es solche billigen „Kavallerie greift in letzter Sekunde ein“-Szenen wie aus den Stummfilmwestern, wo berittene Soldaten die Wagenburg verlässlich vor den Indianern retteten. Als man die Kerntruppe der Serie schon notorisch gegen den Tod gefeit sieht, wird doch noch jemand geopfert. Eine Person, die allerdings noch einiges erzählerische Potenzial bot. Sapristi! Das wäre bei „House of the Dragon“ nicht passiert.

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Man merkt immer wieder den Zwang der Autoren, zu komprimieren, um binnen zehn Episoden nur ja an ein zufriedenstellendes Ende zu kommen. Und an anderen Ecken, dass man nicht so recht wusste, was jetzt als Nächstes wohl plausibel wäre (und sich dabei auch mal grundfalsch entschied).

Dennoch überragt am Ende die Unterhaltsamkeit ein Stückweit das Flickschustern. Das Pogrom der Menschen, das in der letzten Episode an den Fabelwesen der Row verübt wird, wird man so schnell nicht los – es ist Gebrüll und Fratze, eine hirnlose, testosteronpralle Clownerie des Entsetzens. Als die Büttel der Faschisten Möbel auf die Straße werfen, Faune erschlagen und Feen die Libellenflügel abschneiden, dämmert einem schon, dass der Firnis jedweder Zivilisation kaum je dicker war als diese zart glänzenden papierenen Schwingen.

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Alles beim Alten: Ein Monster gibt es auch wieder

Ja, es gibt auch wieder ein Monster vom Kaliber des Schattenschlächters der ersten Staffel – ein hungriges Biest, das einem Albtraum von „Pans Labyrinth“-Regisseur Guillermo del Toro über Marvels SS-Unhold Red Skull entsprungen sein könnte. Es ist überaus mörderisch, unglaublich behende und so grotesk wie effizient. Dem Ungeheuer Mensch freilich kann das Biest nicht das Wasser reichen.

„Carnival Row“, Serie, zweite Staffel, zehn Folgen, von Travis Beacham und René Echevarria, mit Orlando Bloom, Cara Delevingne, Simon McBurney, Tamzin Merchant, Karla Crome, David Gyasi, Jamie Harris (ab 17. Februar bei Amazon Prime Video)

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