Dosenbierattitüde und Jogginganzuglook: Was hinter Ikke Hüftgold steckt
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Ikke Hüftgold in seiner Firma Summerfield Records in Heiligenroth während des Besuchs von RND-Autor Dennis Ebbecke.
© Quelle: Pressworx Mediagruppe
An diesem Freitagabend (3. März) ab 22.20 Uhr sucht Deutschland live im Ersten den Song für Liverpool. Beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest 2023 werden neun Kandidatinnen und Kandidaten zur undankbaren Fernsehzeit fernab der Primetime ihre Bewerbungen ins Rennen schicken.
Darunter befinden sich Beiträge aus verschiedenen musikalischen Genres, aber nur ein „Lied mit gutem Text“ – zumindest wenn es nach Ikke Hüftgold geht. Das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) hat dem ESC-Anwärter, der sich via Tiktok für den Vorentscheid qualifizieren konnte, im Vorfeld einen Besuch abgestattet. Genauer gesagt sprachen wir mit Matthias Distel, wie der Musiker bürgerlich heißt, über die von ihm geschaffene Kunstfigur, die mit Songs wie „Dicke Titten, Kartoffelsalat“ bei Partyurlaubern vom Ballermann bis zum Plattensee bis heute Kultstatus genießt.
Mein Ansporn ist, in Europa ein Bewusstsein zu schaffen, dass Deutschland Humor gewählt hat.
Matthias Distel
Doch wie tickt eigentlich dieser Ikke Hüftgold? Und was würde auf Liverpool zukommen, sollte der Mann mit der Perücke tatsächlich das ESC-Ticket lösen und mit seiner in rote Jogginganzüge gekleideten Fanschar im Schlepptau in die Musikmetropole reisen? „Mein Ansporn wäre nicht der Sieg oder ein einstelliger Tabellenplatz. Mein Ansporn ist, in Europa ein Bewusstsein zu schaffen, dass Deutschland Humor gewählt hat“, nennt der 46-Jährige seine Intention.
„Lied mit gutem Text“ ist Seitenhieb auf „Layla“-Kritiker
„Wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Saufen, wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Sex, wir brauchen endlich mal ein Lied ohne Drogen, endlich mal ein Lied mit gutem Text“, schmettert Ikke in seinem Song. Dass die Begriffe „Saufen“, „Sex“ und „Drogen“ darin ähnlich häufig vorkommen wie das eingängige „Lalala“, führt den Songtitel bewusst ad absurdum – und ist letztendlich ein Seitenhieb in Richtung der Kritiker des von Distel produzierten und von DJ Robin und Schürze interpretierten Partysongs „Layla“.
Damit habe man eine Marke gesetzt, so Distel, der erläuternd hinzufügt: „Der Song war neun Wochen lang der Nummer-eins-Hit des Jahres. Das zeigt, dass wir in einer liberalen, toleranten und sehr humorvollen Gesellschaft leben. Der Partyschlager und ich als Produzent sowie Sänger Ikke Hüftgold tragen dazu bei, dass wir in einer Zeit der großen Krisen nicht in einer Volksdepression enden. Ich halte unsere Aufgabe für systemrelevant, die Leute müssen einfach feiern dürfen.“
Das sind die neun Teilnehmer des ESC-Vorentscheids
Distel und seine Kunstfigur Hüftgold, die sich kolossal voneinander unterscheiden, sind sich in einem Punkt einig: nämlich, dass der Partyschlager, der inzwischen Millionen Anhängerinnen und Anhänger habe, auch ein Stück deutsche Musikkultur sei. Der Auftrag: mit Ikke Hüftgolds Auftritt dafür zu sorgen, dass „der ESC wieder ins Volksbewusstsein gerückt wird und sich die großen Künstler in den nächsten Jahren wieder um eine Kandidatur reißen werden – weil sie vielleicht durch meine Teilnahme sehen, dass man medial wieder Aufmerksamkeit bekommen kann“.
Beim Vorentscheid konkurriert Ikke Hüftgold mit den größtenteils eher unbekannten Musikern Trong, René Miller, Anica Russo, Lonely Spring, Will Church, Patty Gurdy und Lord of the Lost. Einzig die Band Frida Gold, 2013 mit „Liebe ist meine Religion“ auf Platz eins der offiziellen Albumcharts gelandet, dürfte einer größeren Öffentlichkeit bekannt sein. Aus Sicht von Distel ist es eine Schande, dass Ikke Hüftgold als einer der prominentesten Teilnehmer an den Start geht.
Vorbild Raab-Kosmos? Erinnerungen an eine goldene Erfolgsära
Seinen Bekanntheitsgrad hat Ikke Hüftgold in den vergangenen Tagen und Wochen noch einmal erhöht – mit medienwirksamen Aktionen. Er veröffentlichte auf seinen Social-Media-Kanälen seine Telefonnummer, um Fans mit ESC-Infos versorgen zu können, ließ Flugzeuge in die Luft schicken und pflasterte seine Heimatstadt Limburg mit „Wahlplakaten“ zu. „Wählt Europas neuen Spaßminister“ postete er zu seinem „Plakat mit gutem Text“.
In Sachen Inszenierung erinnert das alles ein wenig an die großen PR-Kampagnen, mit denen Stefan Raab einst Guildo Horn (Siebter mit „Guildo hat euch lieb!“ 1998), sich selbst (Fünfter mit „Wadde hadde dudde da?“ 2000) und Lena (Siegerin mit „Satellite“ 2010) zu beachtlichen Erfolgen führen konnte. Zwar geht Distel mit der Kunstfigur Ikke Hüftgold einen eigenen Weg, doch im Ansatz möchte der Hesse die glorreichen, schwarz-rot-goldenen ESC-Zeiten wiederaufleben lassen – und das mit einer ordentlichen Portion Selbstironie im Gepäck.
„Wir müssen wieder lernen, auch über uns selbst zu lachen. Wir dürfen humorvoll sein. Das hat mit Guildo Horn bereits vor 25 Jahren geklappt. Doch ein Vierteljahrhundert später verkommen wir immer mehr zur Anti-Spaß-Gesellschaft“, so das Urteil des Partysängers und Produzenten.
Zwischen „absoluter Reizfigur“ und „normalem Burschen vom Land“
Um seine Botschaft nach Europa zu tragen, schickt Distel den Ikke zunächst zum Vorentscheid nach Köln und dann vielleicht zum ESC-Finale am 13. Mai nach Liverpool. Distel beschreibt Ikke Hüftgold als „absolute Reizfigur“, die es „immer übertreibt und mit ihrer Ballermann-Musik viele Menschen erreicht“. Anders ausgedrückt: Ikke polarisiert mit derben Texten, Dosenbierattitüde und Jogginganzuglook.
Mit seinem Auftritt bei „Promi Big Brother“ 2020 konnte der inzwischen 46-Jährige viele Sympathien gewinnen: Er ging als Ikke Hüftgold in den Container und verließ diesen am Ende als Matthias Distel. Damals hatte Letzterer seine Maske abgelegt, nun muss er sich erneut erklären: „Wenn man sich mal die Kommentare auf den ESC-Webseiten und auf diversen Youtube-Kanälen anschaut, wird man feststellen, dass gegen mich mobilgemacht wird. Viele verstehen einfach nicht, dass hinter der Kunstfigur Ikke Hüftgold der Familienvater, Unternehmer und Vereinsmeier Matthias Distel steckt.“ Dieser sei ein ganz normaler Bursche vom Land, der in der Gemeinschaft sehr integriert sei und viele soziale Projekte betreue.
Ikke Hüftgold: „Vielleicht trete ich nackt auf“
Am Freitagabend wird der „Bursche vom Land“ namens Matthias Distel jedoch erst einmal wieder von der „absoluten Reizfigur“ Ikke Hüftgold verdrängt – mit dem Ziel, Deutschland endlich mal wieder mit einem „Lied mit gutem Text“ zum Eurovision Song Contest zu schicken. Vor dem Vorentscheid mobilisierte er seine Fans mit (fast) allen Mitteln, präsentiert sich im Gespräch mit unserer Redaktion aber auch als Sportsmann: „Es sind geile Leute dabei. Das, was da am Freitag passieren wird, ist musikalisch großartig. Es ist auch divers und spiegelt einige Genres in Deutschland wider. Aber ich bleibe dabei: Es fehlen die Großen.“
Wie groß Ikke Hüftgold ist, werden Publikum und Jury in der von Barbara Schöneberger moderierten Show zu gleichen Teilen (die Stimmenverteilung liegt bei 50:50) entscheiden. Was seinen Auftritt angeht, lässt sich der Teilnehmer mit der Startnummer sieben noch nicht in die Karten schauen. „Erwartet nicht allzu viel von mir oder sogar noch viel mehr. Vielleicht komme ich gar nicht. Vielleicht singe ich auch gar nicht. Vielleicht trete ich nackt auf“, lässt Ikke Hüftgold Raum für Spekulationen.