Von Netflix bis Paramount+

In der Prärie liegt die Wahrheit – der Western geht wieder in Serie

Sein Land ist ihm heilig, er geht dafür über Leichen: John Dutton (Kevin Costner) ist in der Neowesternserie „Yellowstone“ ein hartgesottener Rancher.

Sein Land ist ihm heilig, er geht dafür über Leichen: John Dutton (Kevin Costner) ist in der Neowesternserie „Yellowstone“ ein hartgesottener Rancher.

Billy the Kid steht vor dem Mann, der ihn zur Strecke bringen soll, und er gibt ihm drei Chancen, mit dem Leben davonzukommen. Man weiß nicht, ob der Pistolero in den Kopf des Gegners schauen kann, aber er hat schon in frühester Kindheit in Seelen geblickt und dort den Tod heraufziehen sehen. Der Zuschauer kann zu Beginn der Serie „Billy the Kid“ auch nicht einschätzen, ob Billys „Ich will Sie nicht töten, Mister“, eine Phrase ist oder eine Bitte.

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Die Schusswaffe wird wie ein Körperteil empfunden

Aber eines ist klar. Ohne Schießeisen ist man verloren in den Weiten des amerikanischen Westens. Revolver und Flinte haben die Eroberung des Landes möglich gemacht. Sie sind die Gewährsgegenstände des Überlebens in einer feindseligen Welt. Das Echo jener Zeit hallt bis heute – dass viele Amerikanerinnen und Amerikaner die Schusswaffe wie ein Körperteil empfinden. Sie ist das Gliedmaß der Freiheit, das ihm niemand amputieren darf.

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Michael Hirst, der britische „Vikings“-Macher, ist mit seiner soeben bei Paramount+ gestarteten Serie „Billy the Kid“ aus den gewalttätigen Sphären des mittelalterlichen europäischen Nordens in eine nicht weniger brutale Sphäre gewechselt, die des amerikanischen Siedlungsraums des 19. Jahrhunderts, als den noch keine Gesetze regelten. Billy the Kid wird von Hirsts Landsmann Tom Blyth so verkörpert, als sei der echte Revolverheld dem berühmten Foto entstiegen, das ihn 1880, ein Jahr vor seinem Tod, in Fort Sumner auf sein Gewehr gestützt zeigt.

Nach der Auftaktszene geht es zurück in Billys Kindheit, als die irische Familie McCarty von New York nach Kansas aufbricht, und der Vater – der Begriff Depression ist noch unbekannt – im Angesicht des großen Vorhabens und der unheimlichen Landschaft von Entmutigung befallen wird. Die Serie ist nur eine von vielen, die sich derzeit mit dem Amerika der Siedler, Farmer, Rancher, Cowboys, Desperados, Sheriffs beschäftigen.

Und mit den First Nations, den indigenen Ureinwohnerinnen und Ureinwohnern, die von den einwandernden Europäern und der US-Army aus ihren Jagdgründen und ihrer Lebensweise verdrängt wurden. Der Western, immer als amerikanischstes Filmgenre bezeichnet, ist zurück. Und boomt.

Und sei es vermengt mit Mystery wie in „Outer Range“, wo sich ein riesiges, kreisrund abgezirkeltes Loch auf der Rinderweide von Josh Brolin auftut oder im Science-Fiction-Gewand wie in „Star Wars: The Mandalorian“, wo Pedro Pascal als interstellarer Pistolero ein Alienkind beschützt, wie es John Wayne 1948 in „Spuren im Sand“ tat. Zu Musik, die klingt wie aus der Feder von Ennio „Spiel mir das Lied vom Tod“ Morricone.

Das unbekannte Land ist voll von Dämonen

Auch in Taylor Sheridans Serie „1883″ – da war Billy the Kid schon zwei Jahre tot – wagt sich eine Familie auf die Reise ins Unbekannte. Und was die junge Elsa Dutton (Isabel May) über die durchquerten „great plains“ sagt – „Dämonen sind überall“ – ist wohl der größtmögliche Ausdruck von Fremdheit. Auch auf diesem Planwagentreck kapituliert mancher Verstand vor der Grausamkeit und Fremdheit der Prärie.

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Bis zum verheißenen Neuanfang in Wyoming sind die Bürden unerträglich, ein humanistisch geprägter Neuanfang scheitert an Dünkel und Gier. Als eine junge Roma-Frau ihren Mann verliert, rauben ihr deutsche Siedler Hab, Gut und sogar das Essen für ihre Kinder. Da greift der Typus des guten Cowboys, der das Genre von Anbeginn prägte, ein. Treckchef Brennan, gespielt von Sam Elliott, dem derzeit überragenden Westerndarsteller, zerstört die Deichsel vom Wagen der Räuber. Wer nicht spurt, muss sterben. Die Moral hat obsiegt.

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Nicht jedoch gegenüber den Einheimischen, die der Einzäunung ihres Landes, der Verunmöglichung ihrer nomadischen Lebensweise trotzen. 1883 sind die sogenannten Indianerkriege in ihrer Endphase, im selben Jahr schon eröffnet in Nebraska Buffalo Bills Wildwest-Show, mit der sich Westward Ho!, Büffeljagd und Genozid in leichte Unterhaltung verwandeln. Die Indianer, die den Brennans Treck angreifen, sprechen schon die Sprache des Weißen Mannes, glauben jedoch immer noch, dass Abschreckung ihre Welt retten kann.

Der amerikanische Ureinwohner als differenzierte Figur

Man bekommt in den neuen Serien ein Gefühl für die Verzweiflung der Verdrängten. Die First-Nations-Leute im aktuellen Western sind weder die gehassten, gesichtslosen Tötungshorden des frühen Westerns, noch die edlen Wilden, die in Jeff Chandlers Darstellung des Apachenhäuptlings Cochise in „Der gebrochene Pfeil“ (1950) ersten Ausdruck fanden und deren Niedergang man in Kevin Costners „Der mit dem Wolf tanzt“ (1990) zutiefst bedauerte und betrauerte. Der amerikanische Ureinwohner 2023 ist eine differenziertere Figur.

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„Yellowstone“ mit Kevin Costner – ein Blockbuster des Fernsehens

Herz des gegenwärtigen Western-Booms ist unzweifelhaft „Yellowstone“, die in der Gegenwart angesiedelte Dramaserie, deren Spinoff und Prequel „1883″ ist und die derzeit mit mehr als 12 Millionen Zuschauern und Zuschauerinnen das Zugpferd des amerikanischen Kabelfernsehens ist. Serienmacher Sheridan erzählt darin von dem Witwer John Dutton (Kevin Costner), dem Eigentümer der größten Rinderranch in Montana, von seinen Kindern und hartgesottenen Cowboys.

„Yellowstone“, ein cineastisch anmutendes Meisterwerk in Darstellung, Dialog, Kamera und Musik, handelt von einer versuchten zweiten Landnahme. Teile von Duttons riesigem Besitz, einst First-Nations-Gründe, werden vom Staat und von gierigen Investoren beansprucht. Auf Verbrechen reagieren die Duttons mit Verbrechen, die Methoden sind nicht anders als im Wilden Westen und wer auf Recht und Gesetz warten will, ist ein Narr.

Der Zuschauer ist in all die ruchlosen Figuren vernarrt

Bis auf die junge Indianerin Monica (Kelsey Asbille), die Ehefrau des jüngsten Dutton-Sohns Kayce (Luke Grimes), gibt es keinen Anker des Anstands in dieser Serie. Und doch ist man in all diese ruchlosen Figuren vernarrt. Auch in Thomas Rainwater (Gil Birmingham), den Häuptling des nahe gelegenen Broke Rock Reservats, der mit unsauberen Mitteln daran arbeitet, das Land seiner Ahnen zurückzubekommen. Schon in der ersten Szene der ersten Episode lässt der schreckliche Tod eines Pferdes ahnen, dass die Welt der Cowboys dem Untergang geweiht ist.

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Dass „Yellowstone“ damit als „tearjerker“ für beleidigte und enttäuschte Capitolstürmer und andere Trumpisten herhält, wie US-amerikanische Medien wiederholt vermeldeten, ist grundlegend falsch. Weit eher spiegelt sich hier wie auch in „1883″ oder „Billy the Kid“ das zerrissene Amerika unserer Tage. Der weiße Mann dieser Serie ist gewalttätig, verschlagen und folgt einem Moralkodex, der dem der Corleone-Familie aus Francis Ford Coppolas „Pate“-Filmen nicht unähnlich ist.

Und die Ansprüche der First Nations erscheinen vollauf gerechtfertigt, ihre Handlungen sind wiewohl wenig zimperlich so doch nachvollziehbar. Und die stärkste Figur ist überdies eine Frau – unbeugsamer als Kelly Reilly in der Rolle der Dutton-Tochter Beth war wohl nur Paul Newman im Chain-Gang-Drama „Cool Hand Luke“ (1967). Das alles ist gewiss nicht der Stoff für rechte Verschwörungstheorien.

In den neuen Western trumpfen Heldinnen auf

Auch in „1883″ übernimmt eine Frau das Erzählen. Und in „The English“, der jüngst bei Magenta TV gestarteten Westernserie des Briten Hugo Blick wird die von Emily Blunt gespielte englische Lady Cornelia Locke nur zunächst als Beute wahrgenommen. An der Seite des Pawnee-Kriegers und Armyscouts Eli Whipp (Chaske Spencer) erweist sie sich jedoch als äußerst wehrhaft.

Der amerikanische Traum in „The English“ ist es, einander vorurteilsfrei gender- und hautfarbenübergreifend beizustehen. Was die Lady unerbittlich antreibt, ist die Rache an den weißen Mördern ihres Sohnes. Der Indianer Eli will seine vom Staat versprochene Landparzelle in Nebraska in Besitz nehmen. Beides ist schwer umzusetzen, doch Eli und Cornelia sind das Idealpaar, das historische Utopia in einer einsamen Welt, in der jeder auf der Hut vor dem Nächsten ist, in der die Ureinwohnerinnen und Ureinwohner ausgerottet werden.

Serien legen den Finger in die Wunde der Sklaverei

Weitere erfolgreiche Westernserien der jüngsten Zeit wie „The Underground Railroad“ (mit Thuso Mbedu als flüchtiger Sklavin Cora und Joel Edgerton als Kopfgeldjäger) und „The Good Lord Bird“ (mit Ethan Hawke als Sklavereibekämpfer John Brown) erzählen von dem anderen großen amerikanischen Verbrechen – der Herabwürdigung von Menschen zu käuflichen Sachen, ihrer Ausbeutung und Vernichtung.

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Der Sezessionskrieg beendete 1865 die amerikanische Sklaverei – beide Serien legen mit ihren Storys den Finger in die Wunde des bis heute nicht überwundenen Rassismus in den Vereinigten Staaten, der sich vor allem in den Präsidentschaftsjahren des Unpräsidenten Trump so offen zeigte wie lange nicht mehr.

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Tom Hanks leitete in „Neues aus der Welt“ die Western-Renaissance ein

Und beide Verbrechen vereint finden sich in dem Netflix-Western „Neues aus der Welt“, der vor knapp zwei Jahren die Renaissance des Genres eingeleitet hatte. Im Texas des Jahres 1870 spielt Tom Hanks einen ehemaligen Südstaatensoldaten der dritten Texas-Infanterie. Captain Jefferson Kyle Kidd aus San Antonio betätigt sich als eine Art Nachrichtensprecher des weitgehend präelektrischen Zeitalters im Westen Amerikas. Er findet einen gelynchten Schwarzen mit dem Schild „Texas sagt Nein! Dieses Land gehört den Weißen“ um den Hals und ein kleines weißes Mädchen in Squawkleidern, das bei den Kiowa aufwuchs und nun zu seinen Verwandten gebracht werden muss.

Regisseur Paul Greengrass – wieder ein Brite – verweist mit dem gespaltenen Amerika der Nachbürgerkriegsjahre, das dringend der Heilung bedarf, auf das Amerika nach der Trump-Katastrophe, das immer wieder und zuletzt bei der Wahl des Repräsentantenhaussprechers Kevin McCarthy wie ein Vorbürgerkriegsland wirkt.

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Greengrass verweist auf die Bedeutung der Medien für die Demokratie

Ein lokaler Patriarch möchte, dass Kidd seinen Tagelöhnern ihm pässliche Lügen vorliest, was der der Wahrheit verpflichtete Nachrichtenmann verweigert. Auch dies leistet der Western bei seiner Rückkehr – die Zuschauer und Zuschauerinnen zu überzeugen von der Notwendigkeit eines guten Journalismus und der Wirkmacht der guten Nachricht.

Kidd schließt seine Tagesschau im Zelt mit Neuigkeiten von der Eisenbahn und anderen großen Zukunftsvorhaben. Und stiftet damit in seinem Publikum Hoffnung und Gemeinschaft. Keine Revolverblätter im Portfolio von Captain Kidd – so schützt man den Gedeih von Demokratie.

„Yellowstone“, „Billy the Kid“ und „1883″ sind streambar bei Paramount+, „Neues aus der Welt“ ist bei Netflix zu sehen, „The English“ bei Magenta TV, „The Underground Railroad“ und „Outer Range“ bei Amazon Prime Video, „The Good Lord Bird“ bei Wow, „The Mandalorian“ bei Disney+.

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