1000 Stellen fallen weg

Kahlschlag bei Gruner + Jahr: das große RTL-Beben

Mitarbeitende von Gruner + Jahr protestieren mit Plakaten auf dem Hamburger Rathausmarkt. RTL Deutschland plant in seinem Zeitschriftensegment um den früheren Verlag Gruner + Jahr den Wegfall von rund 700 der 1900 Stellen.

Mitarbeitende von Gruner + Jahr protestieren mit Plakaten auf dem Hamburger Rathausmarkt. RTL Deutschland plant in seinem Zeitschriftensegment um den früheren Verlag Gruner + Jahr den Wegfall von rund 700 der 1900 Stellen.

„Er konnte sich selbst auf den Arm nehmen und nahm nicht alles so tierisch ernst.“ So fröhlich schrieb Verlegersohn John Jahr junior im Jahr 2005 über seinen Vater John Jahr senior, Mitgründer und Namensgeber des Hamburger Verlags Gruner + Jahr (G+J). Stolz sei der Vater auf die Unternehmenskultur dort gewesen – heute dagegen seien die Medienmanager „glatter“ und „diplomatischer“: „Es wirkt alles zu verbissen.“ Das war vor 18 Jahren. Kein Zweifel: Für Vater und Sohn Jahr wäre der 7. Februar 2023 ein Tiefschlag gewesen.

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Denn der neue Eigentümer des verkümmerten Traditionsverlages G+J, der ebenso glatte wie verbissene RTL-Konzern, hat nicht weniger vollzogen als einen publizistischen Kahlschlag: Bis 2025 fallen beim RTL-Konzern 1000 Stellen weg – 500 davon in den Redaktionen am Verlagsstandort Hamburg, 300 beim TV-Mutterschiff in Köln. Und rund 200 sollen zu neuen Eigentümern mitwandern. 23 Printmagazine wird RTL einstellen, für 23 weitere sucht man Käufer. Nur eine Handvoll Hefte bleibt in RTL-Besitz – unter dem löchrigen, wackligen Dach von G+J. Die bange Frage in den Redaktionen, wie viel Zukunft RTL wohl dem Printgeschäft zubilligen werde (und welche Früchte die Proteste der vergangenen Wochen tragen würden), ist damit beantwortet: keine.

Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann.

Thomas Rabe, Vorstandsvorsitzender von Bertelsmann.

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Die Entscheidung bedeutet das Aus für Zeitschriften wie Barbara Schönebergers „Barbara“, „Brigitte Woman“, „Brigitte Mom“, „Eltern“ (nur noch digital), „Guido“ sowie die „Stern“-Ableger „View“ und „Gesund leben“ sowie sämtliche „Geo“-Ableger außer „Geo“, „Geo Lino“ und „Geo Lino Mini“. Auf Wiedersehen also „Geo Wissen“, „Geo Saison“, „Geo Epoche“, „Geo Epoche Edition“ und auch „Walden“. Das war’s. Oder wie RTL-Chef Thomas Rabe, Totengräber des Magazinportfolios, es ausdrückt: „Unser Ziel ist es, die führende Position und publizistische Relevanz von RTL weiter zu stärken.“ Rabe kündigte Investitionen von etwa 80 Millionen Euro bis 2025 zur Weiterentwicklung der Kernmarken an. Man hofft auf Synergien mit dem RTL-Programm. Es ist wohl der Anfang vom Ende.

Kein Gespür, keine verlegerische Verantwortung

Es wird deutlich öder am Kiosk: Verkaufen will RTL unter anderem die Titel „11 Freunde“, „Art“, „Beef“, „Flow“, „Business Punk“, „Essen und Trinken“ und alle „P.M.“-Varianten, auch den „P.M. Logik Trainer“. Über die Zukunft der „Landlust“-Hefte will man mit dem Landwirtschaftsverlag Münster als Miteigentümer sprechen. Im Konzern verbleiben „Brigitte“, „Capital“, „Couch“, „Gala“, „Häuser“, „Schöner Wohnen“, „Stern“ und „Stern Crime“. Böse könnte man vermuten: Was das gut verdienende RTL-Management interessieren dürfte – Klatsch, Geld, Immobilien – hatte wohl bessere Karten als Geschichts- und Wissensmagazine.

7.2.2023, Hamburg: Mitarbeitende von Gruner + Jahr protestieren mit Plakaten auf dem Rathausmarkt. RTL Deutschland plant in seinem Zeitschriftensegment um den früheren Verlag Gruner + Jahr den Wegfall von rund 700 der 1900 Stellen.

7.2.2023, Hamburg: Mitarbeitende von Gruner + Jahr protestieren mit Plakaten auf dem Rathausmarkt. RTL Deutschland plant in seinem Zeitschriftensegment um den früheren Verlag Gruner + Jahr den Wegfall von rund 700 der 1900 Stellen.

RTL hatte die Reste des einstigen Hamburger Medienflaggschiffs G+J im Januar 2022 übernommen. Beide firmieren unter dem Dach von Bertelsmann. Die Hoffnung der Redaktionen, man werde dort in letzter Minute ein Gespür für die publizistische Einzigartigkeit des Hauses und eine Art verlegerische Verantwortung entwickeln, zerschlug sich.

G+J war mal der Goldstandard

„Aus Unfähigkeit, ein profitables und europaweit beachtetes Zeitschriftenhaus in die digitale Transformation zu führen, zerschlägt Bertelsmann nun den Magazinverlag“, kritisierte die Gewerkschaft Verdi. Die Entscheidung sei „durch nichts begründet als gewissenlose Profitmaximierung“, zürnte der Bundesvorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbandes (DJV), Frank Überall. In der Tat kann man gar nicht oft genug daran erinnern: G+J war einst neben dem „Spiegel“ der Goldstandard auf dem deutschen Magazinmarkt. Ein stolzes Traditionshaus mit kreativen, aber eigensinnigen Redaktionen (beim „Stern“ galt lange das Motto: „Hunde und Anzeigenleute müssen draußen bleiben“).

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Seine faktische Zerschlagung ist weniger ein Rückschlag für den deutschen Printjournalismus als vielmehr ein Indiz dafür, dass Verlage Mut, Ausdauer und Chuzpe brauchen, um die digitale Transformation zu schaffen. Wer stattdessen stumpf den Stecker zieht wie Thomas Rabe, weil alle groß angekündigten Fusionspläne kläglich scheiterten, wäre von John Jahr wohl als „zu verbissen“ beschimpft worden.

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