Femizide in der Türkei

Jeden Tag ein Frauenmord

Frauenrechtlerinnen geben der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Mitverantwortung für die Gewalttaten.

Frauenrechtlerinnen geben der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Mitverantwortung für die Gewalttaten.

Ankara. In der Türkei sind im Januar 31 Frauen von ihren männlichen Partnern oder Verwandten ermordet worden. Weitere 28 Frauen starben unter „verdächtigen Umständen“. Diese Zahlen nennt jetzt die türkische Frauenrechtsorganisation Kadın Cinayetlerini Durduracagiz („Wir werden Frauenmorde stoppen“). 15 Frauen wurden mutmaßlich von ihren Ehemännern, Partnern oder Ex-Partnern ermordet. In den meisten anderen Fällen kamen die Tatverdächtigen aus der engen Verwandtschaft.

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In sechs Fällen wurden Frauen ermordet, obwohl Gerichte gegen die späteren Täter Anordnungen erlassen hatten, sich von den Frauen fernzuhalten. Von 28 identifizierten tatverdächtigen Männern wurden nach Angaben der Organisation nur 13 festgenommen. Lediglich sechs kamen in Untersuchungshaft.

Mann tötet seine dritte Frau

Ein Fall sorgte Anfang Januar für besonderes Aufsehen. In der westtürkischen Stadt Manisa wurde die 48-jährige Mutlu Meneske ermordet aufgefunden. Die Polizei nahm nach Hinweisen von Zeugen den 58-jährigen Ehemann Necati Akpinar als Tatverdächtigen fest. Akpinar gestand, er habe seine Frau, die er erst wenige Monate zuvor in einer religiösen Zeremonie geheiratet hatte, während eines Streits erschlagen. Es war bereits sein dritter Frauenmord: 1984 hatte Akpinar seine damalige Frau erstochen. Im Rahmen einer Amnestie kam er im Jahr 2000 frei. 2003 attackierte Akpinar seine zweite Frau mit einem heißen Bügeleisen, bevor er sie erstach. 2020 wurde Akpinar auf Bewährung freigelassen, nur um knapp zwei Jahre später seine dritte Frau zu ermorden.

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Frauenrechtlerin: „Täter können immer wieder Schlupflöcher finden“

Canan Güllü, die Präsidentin der Föderation türkischer Frauenverbände, sagte dem Internetportal „Al-Monitor“, im türkischen Recht fehle der Begriff der geschlechtsspezifischen Gewalt. Das behindere die Bemühungen zur Bekämpfung der Gewalt von Männern gegen Frauen. „Deshalb können Täter immer wieder Schlupflöcher finden, so wie der Mörder von Mutlu Meneske“, sagt Güllü. „Er hatte zwei Morde begangen und wurde entlassen, um ein drittes Mal zu töten. Und eines Tages wird er wieder auf freiem Fuß sein“, fürchtet Güllü.

Nach Recherchen der Organisation „Wir werden Frauenmorde stoppen“ wurden im vergangenen Jahr in der Türkei 392 Frauen getötet. Das entspricht durchschnittlich mehr als einem Femizid pro Tag. Menschenrechtsorganisationen beklagen, dass die Behörden oft untätig bleiben, wenn Frauen Missbrauch melden. Ein Beispiel ist der Tod der 16-jährigen Beyza Dogan in Istanbul. Sie wurde im August 2022 von einem Stalker erschossen. Zuvor hatte die junge Frau 35 Beschwerden gegen den Mann bei der Polizei eingereicht.

Frauenrechtlerinnen geben Erdogan-Regierung Mitschuld

Frauenrechtlerinnen geben der islamisch-konservativen Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan eine Mitverantwortung für die Gewalttaten. Erdogan hatte im März 2021 per Dekret den Austritt der Türkei aus der sogenannten Istanbul-Konvention angeordnet. Die vom Europarat ausgearbeitete und 2014 in Kraft gesetzte Übereinkunft soll Frauen und Mädchen besser vor Gewalt schützen. 45 Staaten und die EU haben die Konvention unterzeichnet. Die Türkei hatte im Mai 2011 als eines der ersten Länder das Vertragswerk unterzeichnet. Es verpflichtet die Mitgliedsstaaten zur Gleichstellung der Geschlechter in ihren Rechtssystemen. Die Regierungen sollen körperliche und sexuelle Gewalt gegen Frauen verfolgen, Zwangsheiraten, Genitalverstümmelung und Zwangsabtreibungen verbieten sowie Hilfsangebote für Frauen verbessern.

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Den Austritt aus der Konvention begründete Erdogan damit, die Türkei brauche „keine ausländischen Modelle, Übersetzungen oder Kopien, um die Rechte unserer Frauen zu schützen“. Der türkische Staatschef hatte bereits früher die Gleichberechtigung von Mann und Frau als „widernatürlich“ bezeichnet. Vizepräsident Fuat Oktay erklärte zum Thema Frauenrechte: „Die Lösung liegt in unseren Bräuchen und Traditionen.“

Wie die aussehen, zeigt eine Studie der UN. Danach erleiden 38 Prozent der türkischen Frauen im Laufe ihres Lebens physische oder sexuelle Gewalt durch ihren Partner. Das sind doppelt so viele wie in Griechenland oder Italien.

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