Mindestens acht Tote

Tödliche Schüsse in Hamburg: Was wir bisher über die Tat wissen

Bei Schüssen in einer Hamburger Kirche sind am Donnerstagabend acht Menschen getötet und einige Personen verletzt worden.

Bei Schüssen in einer Hamburger Kirche sind am Donnerstagabend acht Menschen getötet und einige Personen verletzt worden.

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Bei Schüssen während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas in Hamburg sind mehrere Menschen getötet und weitere Personen verletzt worden. Nach Informationen aus Sicherheitskreisen stuft die Hamburger Polizei die Schüsse als Amoktat ein. Wir blicken auf die wichtigsten Fragen und Antworten zu der Tat.

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Was passierte am Donnerstagabend in Hamburg?

Um 21.15 Uhr erreichten die Hamburger Polizei mehrere Anrufe aus dem Stadtteil Alsterdorf: Es seien Schüsse aus einem dreistöckigen Bürogebäude zu hören, in der sich Mitglieder der christlichen Gemeinschaft der Zeugen Jehovas getroffen hatten. Laut Polizei sei eine Unterstützungseinheit für besondere Einsatzlagen zufällig in der Nähe und in wenigen Minuten am Tatort gewesen, wie Polizeisprecher Holger Vehren erklärt.

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Nachdem die Beamten in das Gebäude eingedrungen waren, fanden sie mehrere Menschen mit Schussverletzungen. Im Obergeschoss konnten sie einen Schuss vernehmen. In einem Raum fanden sie im Anschluss einen leblosen Mann. Die Polizei geht aktuell davon aus, dass es sich dabei um den Täter handelt. Er soll mindestens acht Menschen getötet haben, darunter ein Baby noch im Mutterleib.

Schüsse bei Zeugen Jehovas in Hamburg: Täter offenbar selbst unter den Toten
HAMBURG, GERMANY - MARCH 09: Police officers gather at the scene of a shooting that has left at least six people dead and four wounded in Alsterdorf district, on March 9, 2023 in Hamburg, Germany. (Photo by Gregor Fischer/Getty Images)

In der Hansestadt waren am Donnerstagabend Schüsse gefallen. Nach Angaben der Polizei wurden mehrere Menschen getötet.

Am späten Abend wurde die Umgebung weiträumig abgesperrt. Behelmte und schwer bewaffnete Polizisten sicherten die Kreuzungen ab. Per Smartphone wurden die Bürgerinnen und Bürger Hamburgs gewarnt. Sie wurden zunächst gebeten, sich nicht ins Freie zu begeben: „Amtliche Gefahrendurchsage der Behörde für Inneres – Polizei – Hamburg, Groß Borstel“, hieß es. „Meiden Sie den Gefahrenbereich.“ Der Tatort liegt an der Grenze zu Groß Borstel.

Laut Angaben eines Zeugen-Jehovas-Sprechers begann der Amoklauf nach dem regulären Gottesdienst. Dieser habe um 19 Uhr angefangen und sei digital übertragen worden. 36 Menschen seien vor Ort gewesen, weitere 25 hätten sich digital zugeschaltet, sagte Michael Tsifidaris, Sprecher der Zeugen Jehovas in Norddeutschland, am Freitag. Um 20.45 Uhr sei die Veranstaltung beendet worden, vermutlich auch der Live-Stream. „Man befand sich in den Gesprächen nach dem Gottesdienst.“ Dann habe der Anschlag begonnen. Eine Besucherin sei bereits auf dem Nachhauseweg gewesen, als der Täter nach Angaben der Polizei zehn Schüsse auf ihr Auto auf dem Parkplatz am Gebäude abgab. Die Frau habe mit dem Wagen leicht verletzt flüchten und sich bei der Polizei melden können, sagte der Leiter der Schutzpolizei, Matthias Tresp. Nach seinen Angaben befanden sich zum Zeitpunkt des Amoklaufs 50 Gäste in dem Versammlungsgebäude im Stadtteil Alsterdorf.

Wie viele Todesopfer gibt es?

Nach Angaben der Polizei hat der Täter sieben Menschen getötet, darunter ein ungeborenes 28 Wochen altes Kind. Die Mutter überlebte schwer verletzt. Bei den Todesopfern handelt es sich um vier Männer, zwei Frauen und das ungeborene Mädchen. Die Männer und Frauen seien zwischen 33 und 60 Jahre alt. Die Todesopfer hatten die deutsche Staatsangehörigkeit. Zudem sind acht Menschen verletzt worden, vier von ihnen schwer. Der Täter richtet nach dem Eintreffen der Polizei die Waffe auf sich und tötet sich selbst.

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Wie verlief der Polizeieinsatz?

Die Hamburger Polizei war binnen weniger Minuten am Tatort gewesen. Um 21.04 seien die ersten Notrufe eingegangen. „Um 21.08 Uhr waren erste Kräfte vor Ort.“ Nur eine Minute später, um 21.09 Uhr, sei die Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen (USE) am Tatort gewesen.

Diese Einheit für Einsatzlagen, die eine erhöhte Gefährdung für die eingesetzten Beamtinnen und Beamten erwarten lassen, habe sich um 21.11 Uhr Zutritt zum Gebäude verschafft und das Tatgeschehen unterbrochen. „Wir können davon ausgehen, dass sie damit vielen Menschen das Leben gerettet haben“, sagte Grote.

In der Nacht zu Freitag betraten Entschärfer in schwerer Schutzausrüstung das Gebäude der Zeugen Jehovas. Laut Angaben der Polizei handelte es sich bei dem Vorgehen um Routine.

Im Rahmen des Einsatzes ist die neue Spezialeinheit der Hamburger Polizei USE schnell vor Ort gewesen. „Die waren zufällig sehr, sehr nah und deshalb sehr schnell vor Ort“, sagte ein Polizeisprecher in der Nacht auf Freitag beim TV-Sender N-TV. USE steht für Unterstützungsstreife für erschwerte Einsatzlagen.

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Die Hamburger Einsatzkräfte haben nach den Worten von Hamburgs Innensenator Andy Grote sehr wahrscheinlich Menschenleben gerettet. „Wir haben es mit allerhöchster Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass hier nicht noch mehr Opfer zu beklagen sind“, sagte der SPD-Politiker am Freitag auf einer Pressekonferenz zum Amoklauf.

Bei Schüssen während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas in Hamburg sind mehrere Menschen getötet und weitere Personen verletzt worden.

Bei Schüssen während einer Veranstaltung der Zeugen Jehovas in Hamburg sind mehrere Menschen getötet und weitere Personen verletzt worden.

Wo genau spielte sich die Tat ab?

Die Tat spielte sich nach einem regulären Gottesdienst der Zeugen Jehovas im Hamburger Stadtteil Alsterdorf ab, wie ein Sprecher der Glaubensgemeinschaft sagte. Bei den Zusammenkünften befasst man sich laut Website der Zeugen Jehovas demzufolge mit der Bibel und damit, wie ihre Lehre im Leben berücksichtigt werden kann.

Was wissen wir über den Täter und das Motiv?

Bei dem Täter Philipp F. handelt es sich um einen 35 Jahre alten Deutschen, der aus Bayern stammte. Der Mann wuchs demnach im Regierungsbezirk Schwaben auf und ist seit dem Jahr 2015 in Hamburg gemeldet. Wie das RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND) aus Polizeikreisen erfuhr, berichteten Überlebende der Polizei, dass sie den Mann erkannt haben.

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Der Banker war in der Vergangenheit Mitglied der Zeugen Jehovas, aus der Gemeinde aber vor eineinhalb Jahren ausgetreten. Zu den Hintergründen gebe es verschiedene Aussagen, sagten die Behördensprecher. Ob er ausgeschlossen wurde oder freiwillig gegangen sei, müsse nun geprüft werden. Es habe in den Polizeiakten jedoch keinen Hinweis darauf gegeben, dass sich die Gemeinde durch Philipp F. bedroht gefühlt habe, sagte Polizeipräsident Ralf Martin Meyer.

Auf seiner eigenen Homepage hatte Philipp F. Beratungsleistungen für Unternehmen angeboten - zu extrem hohen Honoraren. Auffällig an der Website des Täters ist, dass er immer wieder religiöse Deutungen einfließen ließ. In einem Text mit der Überschrift „Was Sie während einer Finanzkrise beachten sollten“, zitierte Philipp F. Sätze aus der Bibel, zum Beispiel „Gott ist unsere Zuflucht und Stärke, eine immerwährende Hilfe in der Not“. Seine Ansichten hatte Philipp F. auch in einem Buch aufgeschrieben, in dem er auf etwa 200 Seiten zuzüglich Anhang über Gott, Jesus und Satan schreibt. Das Buch ist in mehreren Sprachen übersetzt, wurde von ihm selbst 2022 herausgegeben und unter anderem über Amazon angeboten.

Der Mann war nicht mit den Opfern der Amoktat verwandt. Er war Sportschütze und durfte seit Dezember 2022 legal eine halbautomatische Pistole besitzen, die auch die Tatwaffe war. Es handelte sich um eine Heckler&Koch-Pistole. In seiner kurz nach Mitternacht durchsuchten Wohnung wurde eine große Menge Munition gefunden worden - 15 geladene Magazine mit jeweils 15 Patronen und 4 Schachteln Munition mit weiteren 200 Patronen.

Er trug bei dem Amoklauf eine Tasche mit vielen Patronenmagazinen bei sich. Nach dem Eindringen der Einsatzkräfte in das Gebäude floh der Täter ins Obergeschoss und tötete sich mit einem Schuss in den Oberkörper selbst. Die Beamten gaben keinen einzigen Schuss ab.

Nach Informationen aus Sicherheitskreisen stufte die Polizei die Tat von Philipp F. als Amoklauf ein. Er war den Behörden vorher nicht durch extremistische Handlungen aufgefallen. Dass der Name des mutmaßlichen Täters dennoch in den Datenbanken der Sicherheitsbehörden auftauchte, hat dem Vernehmen nach keinen kriminellen Hintergrund, sondern damit zu tun, dass er eine waffenrechtliche Erlaubnis beantragt haben soll. Dafür ist immer auch eine Abfrage der Zuverlässigkeit nötig, bei der Bezüge zu Straftaten und Extremismus geprüft werden.

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Amokschütze war ehemaliges Mitglied der Zeugen Jehovas

Laut Polizei starben bei den Schüssen in einem Gemeindehaus acht Menschen, darunter auch der mutmaßliche Täter sowie ein ungeborenes Kind.

Polizeipräsident Ralf Martin Meyer teilte auf der Pressekonferenz außerdem mit, dass es zu F. im Vorfeld ein anonymes Hinweisschreiben gegeben habe, mit der Bitte, die Erlaubnis für das Tragen einer Waffe bei Philipp F. zu überprüfen. Der Grund: Er könnte unter einer psychischen Erkrankung leiden, die aber nicht diagnostiziert wurde, weil sich Philipp F. nicht in Behandlung begeben wolle. Philipp F. hege „eine besondere Wut“ gegen religiöse Anhänger, besonders gegen die Zeugen Jehovas, und gegen seinen Arbeitgeber. Am 7. Februar habe die Polizei Philipp F. unangekündigt aufgesucht und kontrolliert. Philipp F. sei kooperativ gewesen und habe die waffenrechtlichen Vorschriften, wie die Aufbewahrung der Waffe im Tresor, erfüllt. Es habe „keine Anhaltspunkte für eine psychische Erkrankung“ gegeben.

Warum der Täter geschossen hat, ist weiter völlig unklar. Allerdings deuten laut Ermittlern Hinweise darauf hin, dass er die Gemeinde nicht im Guten verlassen hatte.

Was berichten Zeugen über den Tathergang?

„Ich habe gegen zehn vor neun Uhr mehrfach Schüsse vernommen. Die klangen sehr metallisch“, sagte eine Anwohnerin. „Erst dachten wir, dass auf der Baustelle so spät noch Arbeiten sind. Es hat sich dann herausgestellt, dass das nicht der Fall ist.“ Die 23-jährige Studentin wohnt mit ihrem Freund in einer Seitenstraße gegenüber und hat aus ihrer Dachwohnung direkte Sicht auf den Tatort an der viel befahrenen Straße Deelböge.

„Es waren ungefähr vier Schussperioden. In diesen Perioden fielen immer mehrere Schüsse, etwa im Abstand von 20 Sekunden bis einer Minute“, berichtet sie. Von ihrem Fenster konnte sie eine Person sehen, die ganz hektisch vom Erdgeschoss ins erste Obergeschoss gelaufen sei. „Der Mann war dunkel gekleidet und schnell unterwegs“, sagt die Anwohnerin. Ob er maskiert war, konnte sie nicht sehen.

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In dem Video eines Anwohners ist zudem zu sehen, dass eine schwarz gekleidete Person durch eine kaputte Scheibe mehrfach von außen in das Gebäude schießt und schließlich in das Haus einsteigt und darin weiterschießt.

Wie geht es jetzt weiter?

Die Ermittlungen zur Bluttat gehen am Freitag weiter. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) dankte den Einsatzkräften. „Mein ausdrücklicher Dank geht an die Polizei Hamburg, die sehr schnell vor Ort war und die diese extrem herausfordernde Lage hochprofessionell und umsichtig bewältigt hat“, sagte Grote der Deutschen Presse-Agentur. Ebenso dankte er der Feuerwehr für deren schnellen und beherzten Einsatz.

Darüber hinaus hat die Polizei Hamburg ein digitales Hinweisportal eingerichtet, auf das Zeugen Foto- und Videomaterial zur Tat oder relevanten Ereignissen in diesem Zusammenhang hochladen werden können.

Am Freitagmorgen sicherte die Polizei vor, hinter und in dem dreigeschossigen Gebäude, in dem sich die Tat ereignete, weiter Spuren. Im Gebäude maßen die Ermittler den Tatort mit einem 3-D-Scanner aus. Der Eingang war dabei mit einem Sichtschutz abgedeckt. Die weiträumigen Absperrungen, die am Donnerstag errichtet wurden, waren am Morgen zunächst abgebaut und die Straße wieder freigegeben worden.

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Wie sind die Reaktionen aus der Politik?

Am Freitagmorgen setzte Bundeskanzler Olaf Scholz einen Beitrag beim Messengerdienst Twitter ab: „Schlimme Nachrichten aus Hamburg. Mehrere Mitglieder einer Jehova-Gemeinde sind gestern Abend einer brutalen Gewalttat zum Opfer gefallen. Meine Gedanken sind bei ihnen und ihren Angehörigen. Und bei den Sicherheitskräften, die einen schweren Einsatz hinter sich haben.“

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) zeigte sich „erschüttert“ über die Tat im Hamburger Stadtteil Alsterdorf. „Meine Gedanken sind in dieser schweren Stunde bei den Opfern und ihren Angehörigen, bei den Gemeindemitgliedern und auch bei den Einsatzkräften“, sagte Faeser der Deutschen Presse-Agentur. Hamburgs Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) zeigte sich ebenfalls bestürzt. „Die Meldungen aus Alsterdorf / Groß Borstel sind erschütternd“, schrieb Tschentscher bei Twitter. „Den Angehörigen der Opfer gilt mein tiefes Mitgefühl.“

Wie reagieren die Zeugen Jehovas auf die Tat?

Die Zeugen Jehovas haben sich nach den tödlichen Schüssen „tief betroffen“ gezeigt. „Unser tiefes Mitgefühl gilt den Familien der Opfer sowie den traumatisierten Augenzeugen. Die Seelsorger der örtlichen Gemeinde tun ihr Bestes, ihnen in dieser schweren Stunde Beistand zu leisten“, hieß es in einem Statement auf der Website der Gemeinschaft.

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Wer genau sind die Zeugen Jehovas?

Die Zeugen Jehovas sind eine christliche Gemeinschaft mit eigener Bibelauslegung. Die Anhänger glauben an Jehova als „allmächtigen Gott und Schöpfer“ und sollen sich strengen Vorschriften unterwerfen. Sie sind davon überzeugt, dass eine neue Welt bevorsteht und sie als auserwählte Gemeinde gerettet werden. Weltweit haben die Zeugen Jehovas etwa acht Millionen Mitglieder. Die „Weltzentrale“ ist in New York. Die deutsche Gemeinschaft mit weniger als 200.000 Mitgliedern gehört zu den größten in Europa.

mit dpa

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