EU-Agentur: Afghaninnen sollen wegen Geschlechtszugehörigkeit Asyl erhalten
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Frauen mit Burkas auf einem Markt in Kabul.
© Quelle: Ebrahim Noroozi/AP/dpa
Brüssel/Berlin. Mädchen und Frauen aus Afghanistan sollen künftig allein wegen ihrer Geschlechtszugehörigkeit Asyl in den EU-Mitgliedsstaaten erhalten. Das empfiehlt die Europäische Asylagentur EUAA in ihren neuen Richtlinien. Die Repressionen der Taliban seien inzwischen so gewaltig, dass Afghaninnen grundsätzlich von Verfolgung bedroht seien und daher in Europa Anspruch auf einen Status als Geflüchtete hätten. Ob die nationalen Asylbehörden der EUAA-Empfehlung folgen werden, lässt sich noch nicht sagen. Sie sind dazu nicht verpflichtet, weil es kein einheitliches Asylrecht in der EU gibt.
Der Europa-Abgeordnete Erik Marquardt begrüßte die neuen Richtlinien. „Afghanistan unter den Taliban ist das frauenfeindlichste Land der Welt“, sagte der Grünen-Politiker dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). Knapp anderthalb Jahre nach der Machtübernahme haben die Taliban das Leben von Frauen und Mädchen extrem erschwert. Sie werden zunehmend aus dem öffentlichen Leben verdrängt.
Die leeren Versprechen der Taliban
Bei ihrer erneuten Machtübernahme im August 2021 hatten die Taliban noch zugesagt, Frauenrechte zu wahren – es war ein leeres Versprechen. Bereits kurz nach der Machtübernahme im August 2021 verfügten die Taliban, dass weiterführende Mädchenschulen geschlossen werden. Auch Universitäten sind für Frauen inzwischen tabu, reisen dürfen sie nur in Begleitung männlicher Verwandter. Auch ihre Gesichter müssen sie wieder verhüllen. Die Möglichkeit zu arbeiten haben die Taliban für Frauen dramatisch eingeschränkt.
„Es wirkt, als würden die Taliban einen Krieg gegen Frauen und Mädchen führen“, sagte die afghanische Frauenrechtlerin Samira Hamidi dem RND. Die Taliban würden Frauen und Mädchen unterdrücken, sie diskriminieren und ihnen Gewalt zufügen, kritisierte die Südasienexpertin der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, die in Großbritannien lebt. Ihr fehlten die Worte, um ihre Enttäuschung über die Lage in ihrem Heimatland auszudrücken.
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Samira Hamidi
© Quelle: Privat
Internationale Gemeinschaft hat Afghaninnen „im Stich gelassen“
Hamidi erhob auch Vorwürfe gegen die internationale Gemeinschaft. Sie habe den Taliban geglaubt, dass sie sich geändert hätten, und der erneuten Machtübernahme den Weg geebnet. „Leider hat die internationale Gemeinschaft afghanische Frauen im Stich gelassen, weil sie nicht auf sie gehört hat. Sie hat nicht auf ihre Empfehlungen gehört, sie hat nicht auf ihre Bedenken gehört.“
Die Frauenrechtlerin rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, geschlossen gegen das Talibanregime zu stehen, um Änderungen bei deren restriktiver Frauenpolitik zu erzwingen. Die Welt dürfe Afghanistan nun nicht wieder vergessen, wie es während der ersten Talibanherrschaft 1996 bis 2001 geschehen sei.
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Deutscher UN-Spitzendiplomat Potzel: Taliban haben sich nicht verändert – „drakonische Maßnahmen“ gegen Frauen
Die Frauenrechte in Afghanistan werden immer weiter eingeschränkt. Die Lage im Land verschlimmert sich, sagt Markus Potzel, stellvertretender UN-Sondergesandte und früherer deutscher Botschafter in Afghanistan, im RND-Interview. Westliche Staaten wie Deutschland sollten seiner Ansicht nach wieder Botschaften in Kabul eröffnen.
Grünen-Politiker kritisiert „brutale Repressionen“
Hamidi begrüßte die EUAA-Empfehlung, mit der anerkannt werde, wie sehr Frauen in Afghanistan unterdrückt und diskriminiert würden. Der Grünen-Politiker Marquardt forderte, die Behörden in den EU-Mitgliedsstaaten müssten die Empfehlung jetzt so schnell wie möglich umsetzen. „Bisher gibt es in den EU-Ländern einen Flickenteppich bei der Entscheidungspraxis. Wir brauchen endlich einheitliche Entscheidungen, damit Geflüchtete nicht nur in wenigen EU-Staaten den Schutz finden, den sie benötigen.“
Ohnehin dürfte die neue Richtlinie derzeit nur für Mädchen und Frauen gelten, die bereits in der EU sind. „Etwa 20 Millionen Mädchen und Frauen, die in Afghanistan leben, haben leider nichts davon“, sagte Marquardt. Die EU-Staaten müssten deswegen „schleunigst darüber nachdenken, wie sie Mädchen und Frauen helfen können, die unter den brutalen Repressionen der Taliban leiden“.
Der Grünen-Politiker, der sich im Europaparlament mit Asyl- und Migrationspolitik beschäftigt, regte ein von der EU gefördertes Stipendienprogramm für Universitäten in Pakistan oder Tadschikistan an, an denen Frauen aus Afghanistan studieren könnten. „Das kostet nicht viel Geld, wäre aber ein wichtiges Signal, dass wir in Europa die Mädchen und Frauen aus Afghanistan nicht vergessen“, sagte Marquardt. Auch sollten „die vielen talentierten und gut ausgebildeten Frauen in Afghanistan deutlich einfachere Möglichkeiten bekommen, in Europa zu arbeiten und zu studieren“.