Gastbeitrag von Katja Müller-Fahlbusch

Amnesty-International-Expertin zur WM in Katar: „Unsere Arbeit war nicht umsonst. Aber …“

Eine Protest­aktion der Menschenrechts­organisation Amnesty International Ende Oktober vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen anhaltende Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern in dem Golfstaat Katar.

Eine Protest­aktion der Menschenrechts­organisation Amnesty International Ende Oktober vor dem Brandenburger Tor in Berlin gegen anhaltende Ausbeutung von Arbeiterinnen und Arbeitern in dem Golfstaat Katar.

Die Stadien sind gebaut, die Metro, Straßen und Hotels auch. Die Tickets sind verkauft und die 32 Teilnehmer der Fußball-Weltmeisterschaft angereist – am Sonntag geht es los. Wir sollten uns jetzt alle auf das Sportliche konzentrieren, meint die Fifa. Ernsthaft?

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Seit zwölf Jahren steht die WM in Katar im Fokus der Öffentlichkeit. Die damalige Doppel­vergabe der Turniere 2018 an Russland und 2022 ans Wüsten­emirat entpuppte sich als Eigentor. Denn nicht nur der Gastgeber hatte so viel Zeit wie noch nie in der Geschichte, um sich auf dieses Turnier vorzubereiten, sondern auch die Zivil­gesellschaft aus Menschen­rechts­organisationen, Gewerkschaften und Fans.

Katja Müller-Fahlbusch ist Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

Katja Müller-Fahlbusch ist Expertin für die Region Naher Osten und Nordafrika bei Amnesty International.

„Unsere Arbeit war nicht umsonst“

Und es wurde einiges bewegt: Sowohl die Fifa als auch Katar haben – wenn auch spät und lückenhaft – Reformen angestoßen. Unsere Arbeit war nicht umsonst. Der Druck hat nicht nur Katars Infrastruktur und Gesetz­gebung verändert, sondern auch den internationalen Fußball.

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Es gab Reformen der Verbands­statuten, die Verabschiedung einer Menschenrechts-Policy bei Fifa und Deutschem Fußball-Bund (DFB), eine norwegische Verbands­präsidentin, die den Weltverband deutlich kritisierte, nationale Fußball­verbände, die sich zusammen­schließen und der Fifa öffentlich Widerworte entgegen­bringen, als diese fordert, die „ideologischen und politischen Kämpfe“ hinter sich zu lassen. All das wäre vor einigen Jahren undenkbar gewesen.

Forderung nach einem Entschädigungs­programm

Diese Entwicklungen müssen bestehen bleiben. Wenn die Fifa sich auch zu dem von Amnesty International und anderen Organisationen geforderten Entschädigungs­programm verpflichten würde, wäre das ein echtes Vermächtnis der WM 2022. Nicht nur für einen nachhaltigen Wandel im Fußball, sondern auch für die unzähligen Arbeits­migrantinnen und ‑migranten, die während der Bauarbeiten Menschen­rechts­verletzungen erleiden mussten oder sogar gestorben sind, sowie deren Angehörige. Auch wenn erlittenes Unrecht nicht rückgängig gemacht werden kann und damit kein Familien­vater, Sohn oder Ehemann wieder lebendig wird: Die Anerkennung von Verantwortung für Unrecht und eine finanzielle Entschädigung wären wichtige Schritte für mehr Gerechtigkeit.

Wir fordern deshalb von der Fifa und der katarischen Regierung die Einrichtung eines Entschädigungs­programms, das alle Menschen­rechts­verletzungen umfasst, die im Zusammen­hang mit der WM stehen. Infrastruktur­programme wie der Flughafen, die Metro und auch die Hotels, die Teil von Katars Bewerbung waren, gehören genauso dazu wie die Stadien, auf die sich in den vergangenen Jahren die größte Aufmerksamkeit fokussiert hat. Die katarische Regierung hat diese Forderung rundheraus als „Werbegag“ abgelehnt und behauptet, dass die Tür offen steht für diejenigen, die Ansprüche hätten. Die Fifa lässt bisher nur ausrichten, dass man Interesse habe, die Idee weiter zu prüfen.

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„Entschädigungen müssen für die Betroffenen einfach zugänglich sein“

Das reicht nicht aus. Unsere Forderung nach Entschädigung ist weder ein „Werbegag“ noch ein frommer Wunsch – sie entspricht internationalem Recht.

Die Leitprinzipien der Vereinten Nationen für Wirtschaft und Menschen­rechte, zu denen sich die Fifa seit 2016 ausdrücklich bekennt, schreiben das Recht auf Entschädigung fest. Ebenso wie die Konvention der Internationalen Arbeits­organisation ILO gegen Zwangs­arbeit und die arabische Menschen­rechts­charta, die Katar ratifiziert hat. Demnach ist Ausbeutung untersagt und die Verpflichtung festgelegt, Abhilfe zu schaffen sowie Menschen­rechts­verletzungen zu entschädigen.

Die Entschädigungen müssen für die Betroffenen einfach zugänglich sein, die Summe angemessen hoch und die Auszahlung zeitnah. Unserer Meinung nach müsste ein solches Entschädigungs­programm transparent und partizipativ ausgestaltet sein – Gewerkschaften, die ILO, Menschenrechts­expertinnen und ‑experten sowie Vertreter von Arbeiterinnen und Arbeitern müssten einbezogen werden. Wir fordern, dass die Menschen­rechts­verletzungen der vergangenen zwölf Jahre recherchiert und dokumentiert werden.

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Das ist eine Mammut­aufgabe

All das ist eine Mammut­aufgabe, und es ist verständlich, wenn Fifa und katarische Regierung gehörigen Respekt davor haben. Aber Menschen­rechte sind nun einmal universell gültig – man kann sich nicht davor drücken, wenn es schwierig wird.

Wenn die Fifa jetzt die richtige politische Entscheidung trifft, verbindlich zu ihrer Verpflichtung steht und die künftigen Austragungsorte nach menschen­rechtlichen Kriterien vergibt, muss sie die von ihr monierten „politischen Kämpfe“ in Zukunft nicht mehr fürchten. Sie hat es selbst in der Hand: Nach der WM ist vor der WM.

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