„Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland“

Zu direkt? Wie Außenministerin Baerbock polarisiert

Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Pressestatement.

Außenministerin Annalena Baerbock bei einem Pressestatement.

Artikel anhören • 6 Minuten

Ihre direkte Art und präzise Wortwahl wird im internationalen Politik­betrieb und vor allem von den Bürgerinnen und Bürgern oft als erfrischend und ehrlich wahrgenommen. Was Außen­ministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) sagt, versteht man meist gut, ist nicht durch diplomatische Formulierungen bis zur Unkenntlichkeit verklausuliert. Doch mit manchen spontan geäußerten Sätzen eckt sie durch ihre Direktheit an – und sorgt für Debatten und Aufregung im In- und Ausland. Zuletzt war das am Donnerstag der Fall, als es um den russischen Angriffs­krieg gegen die Ukraine ging.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

1. Aussage zum „Krieg gegen Russland“

Wir kämpfen einen Krieg gegen Russland und nicht gegeneinander.

Annalena Baerbock,

vor dem Europarat in Straßburg am 26. Januar 2023

Mit diesem Statement am Donnerstag beim Europarat in Straßburg wollte die Außen­ministerin zum Zusammenhalt der westlichen Verbündeten aufrufen, die die Ukraine vereint gegen den Aggressor Russland unterstützen sollten, anstatt sich untereinander zu streiten. Doch es hagelte Kritik – denn für manche klingt die Aussage so, als sei Deutschland Kriegs­partei. „Die Außen­ministerin ist unsere oberste Diplomatin. Sie hat ihre Worte abzuwägen“, sagte Sachsens Minister­präsident Michael Kretschmer (CDU) der „Sächsischen Zeitung“. Er forderte eine „Klarstellung“.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Die Sicherheits­expertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik sprach am Freitag im ZDF-„Morgenmagazin“ von einem „extrem unglücklichen Versprecher“ Baerbocks, der nun von der russischen Staats­propaganda ausgeschlachtet werde. Die russischen Staats­medien griffen die Aussage dankbar als zentralen Schlüssel­satz für ihre Kriegs­propaganda auf – als Beleg dafür, dass Deutschland und die anderen EU-Länder direkte Konflikt­partei in der Ukraine seien und gegen Russland kämpften.

Die Sprecherin des russischen Außen­ministeriums, Maria Sacharowa, forderte am Freitag eine Erklärung des deutschen Botschafters in Moskau zu „widersprüchlichen“ Aussagen aus Berlin. Deutschland erkläre einerseits, in der Ukraine keine Konflikt­partei zu sein. Andererseits sage Baerbock, dass sich die Länder Europas im Krieg gegen Russland befänden. „Verstehen sie selbst, wovon sie da reden?“, schrieb Sacharowa im Nachrichtenkanal Telegram.

Das Auswärtige Amt stellte nach Baerbocks Äußerungen klar, Deutschland sei „keine Konflikt­partei“. Partei­übergreifend nehmen auch Politikerinnen und Politiker die Außen­ministerin in Schutz. „Ich habe die Aussage der Außen­ministerin als Plädoyer für fortgesetzte Geschlossenheit der Verbündeten gegenüber Putin verstanden“, macht Michael Roth, Vorsitzender der Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, klar. „Deutschland führt keinen Krieg gegen Russland, sondern wir unterstützen die Ukraine bei ihrem Freiheits­kampf gegen den russischen Aggressor“, sagte er dem Redaktions­Netzwerk Deutschland (RND).

Ähnlich sieht das sogar der politische Gegner, CDU-Außen­politiker Roderich Kiesewetter. Er sagte dem RND: „Außen­ministerin Baerbock hier eine böse Absicht zu unterstellen halte ich für falsch und nährt nur das russische Narrativ und die russische Desinformations­kampagne. Wir, also Deutschland, sind Kriegsziel, aber nicht Kriegs­partei.“ Damit verwies er auch auf die Hacker­angriffe am Donnerstag auf deutsche Websites.

2. Äußerung über deutsche Wähler

We stand with Ukraine no matter what my German voters think.

Annalena Baerbock,

am 2. September 2022 bei einer Podiums­diskussion in Prag

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Diesen englischen Satz sagte Baerbock bei einer Podiums­diskussion in Prag. Übersetzt bedeutet er so viel wie: „Wir stehen zur Ukraine, egal, was meine deutschen Wähler denken.“ Das in den sozialen Medien vielfach geteilte und kritisierte Video zeigte einen Ausschnitt einer größeren Diskussion, in der Baerbock auf Englisch erklärte, dass sie den Ukrainerinnen und Ukrainern versprochen habe, sie so lange wie nötig zu unterstützen, und dass sie deshalb auch liefern wolle – unabhängig davon, was ihre deutschen Wähler darüber denken.

Unpassende Worte für eine deutsche Politikerin, wie manche fanden. Die AfD und die Linke warfen der Grünen-Politikerin eine Missachtung des Wähler­willens vor. Kritik kam auch aus der CDU. Bundes­kanzler Olaf Scholz (SPD) stellte sich aber hinter seine Außen­ministerin. Es sei Aufgabe der Bundes­regierung, „für die Politik, die man vertritt, zu werben, auch in Zeiten, in denen es mal Gegen­wind gibt“, sagte Regierungs­sprecher Steffen Hebestreit in Scholz’ Namen. Man müsse in diesen aufgeregten Zeiten, die für viele Menschen auch Härten mit sich brächten, Verständnis dafür haben, dass Leute die Politik auch anders sehen könnten. „Aber klar ist trotzdem, dass man bei seinen Prinzipien bleibt und bei dem bleibt, was man richtig findet“, sagte Hebestreit. Baerbock habe deutlich gemacht, „dass man auch bei Gegenwind nicht umfällt“. Dies sei in dem Schnipsel des Videos etwas zu kurz gekommen.

Hauptstadt-Radar

Persönliche Eindrücke und Hintergründe aus dem Berliner Regierungsviertel. Immer dienstags, donnerstags und samstags.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Das Auswärtige Amt ging noch einen Schritt weiter und sagte, die Kritik an der Äußerung sei durch prorussische Desinformation befördert worden. „Der Klassiker: Sinnentstellend zusammen­geschnittenes Video, geboostert von prorussischen Accounts und schon ist das Cyber-Instant-Gericht fertig, Desinformation von der Stange“, schrieb der Ministeriums­beauftragte für strategische Kommunikation, Peter Ptassek, auf Twitter. „Ob wir uns so billig spalten lassen? Glaube ich nicht.“ Sein Tweet wurde vom offiziellen Twitter-Kanal des Auswärtigen Amtes weiter­verbreitet.

3. Warnung vor „Volksaufständen“

Wenn wir die Gasturbine nicht bekommen, dann bekommen wir kein Gas mehr, und dann können wir überhaupt keine Unterstützung für die Ukraine mehr leisten, weil wir dann mit Volksaufständen beschäftigt sind.

Annalena Baerbock,

am 20. Juli 2022 beim Talk „RND vor Ort“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Auch Baerbocks Warnung vor Volksaufständen beim „RND vor Ort“-Talk im Juli vergangenen Jahres spaltete die Gemüter. Dabei relativierte sie schon im Talk selbst ihre Aussage. Auf die Nachfrage, ob sie wirklich mit Volksaufständen rechne, sagte Baerbock, dass das „vielleicht etwas überspitzt“ ausgedrückt sei. Sie konkretisierte, dies könne sie sich vorstellen für den Fall, „wenn wir kein Gas mehr hätten“. Und weiter sagte sie: „Das ist ja genau mein Punkt, dass wir Gas aus Russland weiter brauchen.“

„Volksaufstände“ – der einmal genannte Begriff trieb dennoch manchen Politikern anderer Lager ein Stirnrunzeln ins Gesicht. Dabei erklärte Baerbock sogar, was sie mit der zugespitzten Aussage verdeutlichen wollte – nämlich warum Deutschland sich gegen ein Komplett­embargo für Gas und Öl aus Russland ausgesprochen habe. Man hätte den Menschen in so einem Fall dann „von einem Tag auf den anderen“ sagen müssen, dass es kein Gas mehr gebe und das ohne Alternativen, sagte Baerbock. „Das haben wir offensichtlich nicht für den richtigen, für den sicheren Weg gehalten.“

mit dpa

Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken