RND-Interview

„Unsere Antwort auf ,America first‘ muss ,Europe fast‘ sein“

Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, bei einem Treffen mit dem australischen Handelsminister in Canberra.

Bernd Lange, Vorsitzender des Handelsausschusses im Europaparlament, bei einem Treffen mit dem australischen Handelsminister in Canberra.

Brüssel. Herr Lange, die USA greifen mit einem gewaltigen Subventionsprogramm für die eigene klimafreundliche Industrie den Standort Europa an. Fühlen Sie sich manchmal an die Zeiten von Donald Trump zurückerinnert?

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Nur ein bisschen. Der sogenannte Inflation Reduction Act der USA hat zwei Seiten. Es ist positiv, dass die USA endlich den Klimawandel energisch bekämpfen wollen. Und es ist völlig richtig, den Ausstoß klimaschädlicher Gase bis zum Jahr 2030 um 40 Prozent reduzieren zu wollen. Dagegen kann nun wirklich niemand etwas haben.

Und die negative Seite?

Die USA schotten ihre grüne Industrie ab. Der Stahl für Windkraftanlagen muss in den USA produziert werden, wenn Unternehmen Steuervergünstigungen haben wollen. Das gilt auch für die Rohmaterialien in der Produktion von grünem Wasserstoff. Das verstößt natürlich gegen die internationalen Handelsregeln. Europäische Unternehmen könnten sich jetzt überlegen, in die USA zu gehen, weil sie dort mehr Subventionen bekommen. Das Risiko der Deindustrialisierung in der EU steigt. Das müssen wir verhindern. Insofern macht es US-Präsident Joe Biden schon ein bisschen wie Donald Trump. Er setzt auf „America first“.

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Die EU-Kommission hat jetzt einen Plan vorgestellt, um die USA zu kontern. Gilt jetzt „Europe first“?

Nein, und darüber bin ich auch glücklich. Wir halten uns an die Regeln der Welthandelsorganisation WTO. Wir nehmen nicht dieselben protektionistischen Waffen in die Hand wie die USA. Unsere Antwort auf „America first“ muss „Europe fast“ sein. Wir müssen in unserer Industriepolitik schneller werden, sehr viel schneller.

Wie soll das gehen?

Wir müssen zum Beispiel die Genehmigungsverfahren für staatliche Beihilfen in wichtigen Sektoren wie der Produktion von grünem Wasserstoff beschleunigen. Ich kenne einen Fall aus Deutschland, in dem es ein Jahr gedauert hat, bis ein Stahlhersteller die Genehmigung für Beihilfen bekommen hat, um seine Produktion auf grünen Wasserstoff umzustellen. Ein Jahr! Das ist völlig absurd. Die EU-Kommission hat jetzt gute Vorschläge gemacht, um das zu verändern. Die Mitgliedsstaaten müssen schnell nachziehen und das Paket schnüren. Wir dürfen keine Zeit verlieren.

Ich kenne einen Fall aus Deutschland, in dem es ein Jahr gedauert hat, bis ein Stahlhersteller die Genehmigung für Beihilfen bekommen hat, um seine Produktion auf grünen Wasserstoff umzustellen. Ein Jahr! Das ist völlig absurd.

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Frisches Geld soll es aber dafür zunächst nicht geben. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte, es stünden derzeit etwa 350 Milliarden Euro zur Verfügung, um grüne Technologien zu fördern. Reicht das?

Langfristig reichen 350 Milliarden Euro natürlich nicht. Und es ist auch bisschen die Strategie von Ursula von der Leyen, bereits vorhandenes Geld mit einem neuen Etikett zu versehen. Aber das kann ich ihr nicht verdenken. In der EU kann es Jahre dauern, bis sich die Mitgliedsstaaten darauf einigen, neues Geld zur Verfügung zu stellen oder gar Schulden zu machen.

Diese Zeit haben wir nicht. Wir müssen uns darauf fokussieren, was jetzt schnell geht. Deswegen ist es richtig, zunächst einmal Geld zu verwenden, das ohnehin noch in verschiedenen Töpfen liegt. Über mehr Geld müssen wir dann später verhandeln, wenn es um den neuen mittelfristigen EU-Haushalt geht. Das ist Zukunftsmusik, von der der kleine Wasserstoffhersteller momentan nichts hat.

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Die europäische Antwort auf das neue US-Subventionsgesetz führt schon jetzt zum Streit unter den EU-Mitgliedsstaaten. Kleine Länder klagen, dass sich Deutschland und Frankreich als wirtschaftsstarke Länder großzügige Subventionen leisten können. Sie fürchten überfahren zu werden. Haben Sie Verständnis für die Sorgen?

Das Risiko, ins Hintertreffen zu geraten, besteht in der Tat. Wir müssen aufpassen, dass wir den Binnenmarkt nicht beschädigen, und zielgenau Unternehmen subventionieren, die wirklich innovativ sind im grünen Sektor. Die gibt es auch in kleineren Mitgliedsstaaten in Hülle und Fülle. Es darf sich jedenfalls nicht wiederholen, was in der Corona-Zeit passiert ist. Damals kamen fast 80 Prozent der staatlichen Beihilfen aus Deutschland und Frankreich – und 25 Länder guckten in die Röhre.

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Die EU-Handelspolitik ist ein wichtiges Element in der neuen grünen Industriestrategie. Geht es da voran?

Und wie es vorangeht. Wir haben gerade Handelsabkommen mit Chile, Neuseeland und Mexiko abgeschlossen. Und wir werden wahrscheinlich noch in der ersten Jahreshälfte ein Abkommen mit Australien abschließen. Das sind alles Länder mit Rohstoffen, die wir für die grüne Transformation dringend brauchen. In Chile gibt es viel Lithium. Dort werden auch 40 Prozent des Kupfers auf der Welt gefördert. Australien hat seltene Erden. Solche Abkommen sind eine gute Antwort auf den Inflation Reduction Act der USA. Sie machen uns unabhängiger.

Es drängt sich der Eindruck auf, als habe es die Subventionspläne der USA gebraucht, damit die Europäer in die Puschen kommen. Sehen Sie das auch so?

Der Inflation Reduction Act ist ein Weckruf für uns gewesen. In der EU hat es bis zuletzt viele Politiker und Experten gegeben, die glaubten, dass der Wettbewerb und der Markt schon alles regeln werden. Das stimmt nicht. Gerade wenn es um Transformation geht, dann muss man auch aktiv werden und sich verändern.

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