Opfer von Cyberkriminalität zeigen Straftaten selten an
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Stellt die neue Studie vor: Nancy Faeser (SPD), Bundesministerin für Inneres und Heimat.
© Quelle: Kay Nietfeld/dpa
Berlin. Mehr als 13 Prozent der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland sind im Jahr 2020 Opfer von Cyberkriminalität geworden. Allerdings hat nur eine kleine Minderheit von etwa 18 Prozent diese Straftaten auch angezeigt. Das ist eines der Ergebnisse einer großen Dunkelfeldstudie mit dem Titel „Sicherheit und Kriminalität in Deutschland“, die das Bundeskriminalamt am Dienstag in Berlin vorgestellt hat.
Für die repräsentative Studie wurden von November 2020 bis Februar 2021 mehr als 46.000 Menschen in Deutschland schriftlich und online befragt. Das sei die größte Dunkelfeldstudie, die in Deutschland bisher vorgenommen wurde, sagte Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). „Das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung bewegt sich insgesamt auf einem hohen Niveau“, erklärte Faeser. „Die meisten Menschen fühlen sich in der eigenen Wohnung, im eigenen Wohnumfeld sicher.“
84 Prozent der Deutschen sagen: Auf die Polizei ist Verlass
Sorge bereite ihr jedoch, dass Frauen sich nachts in der Öffentlichkeit deutlich unsicherer fühlten als Männer. Mehr als die Hälfte der Frauen meide nachts bestimmte Orte oder Verkehrsmittel. „Dass sich viele Frauen nachts nicht frei bewegen, dass sie sich einschränken, weil sie sich bedroht fühlen, können wir so nicht hinnehmen“, sagte die Ministerin. „Wir brauchen mehr Präsenz von Personal in öffentlichen Verkehrsmitteln“, forderte Faeser. Zudem werde eine höhere Polizeipräsenz und verstärkte Videoüberwachung an manchen Orten benötigt.
Die Studie zeichne ein Bild großen Respekts vor der Polizei, sagte Faeser. „Ich freue mich sehr, dass 84 Prozent der befragten Bürgerinnen und Bürger sagen, die Polizei ist da, wenn ich sie brauche“, erklärte sie. Rund 87 Prozent sagten, die Polizei leiste gute Arbeit in der Verbrechensbekämpfung.
Polizei braucht mehr Diversität
Die Ergebnisse der Studie zeigten jedoch auch, wo es Verbesserungen geben müsse. „Das trifft vor allem die wahrgenommene Vorurteilsfreiheit seitens der Polizei“, sagte Faeser. „44 Prozent der Befragten mit Migrationsgeschichte kritisierten, dass der Polizei Mitgefühl fehle“, erklärte sie. Bei den Befragten ohne Migrationsgeschichte seien das nur 22 Prozent.
Das zeige, dass es mehr Diversität in der Polizei brauche. In der Polizeiausbildung sollten stärkere Schwerpunkte gesetzt werden, um rassistischen Vorurteilen vorzubeugen.
Regelmäßige Studie soll Polizeiliche Kriminalstatistik ergänzen
Die umfassende Studie soll künftig regelmäßig durchgeführt werden und die bislang maßgebliche Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) ergänzen. „Wir bringen Licht ins Dunkelfeld“, sagte der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA), Holger Münch, in Berlin. Die PKS sei seit ihrer Einführung im Jahr 1953 eine verlässliche Datenquelle, zeige aber nur einen Ausschnitt des Kriminalitätsgeschehens. In der Statistik werden lediglich die Straftaten erfasst, die von der Polizei bearbeitet werden. Straftaten, die nicht angezeigt oder der Polizei durch eigene Ermittlungen bekannt werden, kann diese Statistik deshalb nicht abbilden.
Das kann dazu führen, dass die offiziellen Kriminalitätszahlen stark abnehmen, sich die Kriminalität tatsächlich aber bloß verlagert. So geht die Zahl der Wohnungseinbrüche in Deutschland seit Jahren zurück – ein Bereich in dem die Anzeigequote außerordentlich hoch ist. Laut der aktuellen Dunkelfeldstudie wurden etwa 66 Prozent der Taten bei der Polizei angezeigt.
Starker Anstieg der Cyberkriminalität
Unterdessen steigen die Zahlen der Delikte im Bereich der Cyberkriminalität jedoch stark an. Das wirkliche Ausmaß dessen lässt sich in der Kriminalitätsstatistik jedoch gar nicht erkennen, wie die Dunkelfeldstudie nun verdeutlicht: Demnach waren die befragten Bürgerinnen und Bürger am häufigsten Opfer von Cyberstraftaten, zeigten diese jedoch nur selten an.
Noch viel seltener wurden demnach Sexualdelikte angezeigt. Lediglich ein Prozent der Befragten, die angaben, Opfer von Sexualstraftaten geworden zu sein, haben diese auch zur Anzeige gebracht. Ein Grund dafür sei, dass sich diese Taten häufig im privaten Nahfeld ereigneten, sagte Bundesinnenministerin Faeser. Deshalb müssten präventive Maßnahmen verstärkt werden.
Dauerthema: Vorratsdatenspeicherung
Faeser nutzte die Pressekonferenz zur Vorstellung der Studie auch, um ihre Forderung nach einer Vorratsdatenspeicherung von IP‑Adressen mit Nachdruck zu erneuern. „Damit die Ermittlungsbehörden Straftaten im digitalen Raum effektiv verfolgen können, benötigen sie auch die entsprechenden Befugnisse“, sagte die Bundesinnenministerin. „Der Europäische Gerichtshof hat in seiner Entscheidung zur deutschen Regelung zur Vorratsdatenspeicherung ausdrücklich entschieden, IP‑Adressen dürfen gespeichert werden, um schwere Kriminalität zu bekämpfen“, so Faeser. Die damit eröffneten Möglichkeiten müsse die Bundesregierung nutzen, um organisierte Kriminalität, extremistische und terroristische Bedrohungen und andere Straftaten konsequent bekämpfen zu könne. Besonders wichtig sei ihr dabei die Bekämpfung sexualisierter Gewalt gegen Kinder und Jugendliche sagte Faeser.
Innerhalb der Bundesregierung gibt es jedoch weiterhin Widerstand gegen jede Form der Vorratsdatenspeicherung – insbesondere von Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP). Faeser betonte erneut, das von Buschmann als Alternative vorgeschlagene sogenannte Quick-Freeze-Verfahren sei kein Ersatz für eine Vorratsdatenspeicherung der IP‑Adressen.