Vermittlungsausschuss tagt am Mittwoch

Bürgergeld: Ist die Angst vor einem Missbrauch von Sozialleistungen gerechtfertigt?

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Berlin. Die erbitterte Debatte um das Bürgergeld geht in eine weitere Runde. Am Mittwoch treffen sich die Ampelparteien und die Union im Vermittlungsausschluss, um einen Kompromiss zu finden. Für die Bezieherinnen und Bezieher von Hartz IV geht es bei der Reform um höhere Beiträge sowie eine Reihe von Erleichterungen. Die Union sieht in den neuen Regelungen Anreize, nicht zu arbeiten, und warnt vor einem möglichen Missbrauch von Sozialleistungen. Ein zentraler Streitpunkt dreht sich um die Höhe des Schonvermögens, das für den Bezug des Bürgergelds nicht angerechnet werden soll. Doch wie begründet sind die Befürchtungen vor Sozialbetrug?

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Laut dem Gesetzesentwurf soll das Vermögen von Langzeitarbeitslosen während einer zweijährigen Karenzzeit nur angerechnet werden, wenn es über 60.000 Euro liegt. Für jedes weiteres Mitglied im Haushalt kommen weitere 30.000 Euro hinzu. Zudem soll die Selbstauskunft der Antragstellerinnen und Antragsteller zu ihrem Vermögen künftig als Nachweis ausreichen. Auch der Bundesrechnungshof spricht von „Mitnahme- und Missbrauchsmöglichkeiten“ durch die geplante Regelung, wie T-Online mit Verweis auf einen Bericht an den Haushaltsausschuss des Bundestags berichtete.

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Nur wenige Langzeitarbeitslose verschweigen Vermögen

Hinter dieser Kritik steht die Vorstellung, dass es ein erhebliches Betrugspotential bei Langzeitarbeitslosen gibt. Zahlen des Bundesarbeitsministeriums der letzten Legislaturperiode für das Jahr 2020 zeigen allerdings ein anderes Bild: Betrachtet man die nachgewiesenen Fälle von Überzahlungen, wird deutlich, dass nur sehr wenige Empfängerinnen und Empfänger von Hartz IV Kapitaleinkünfte oder Vermögen verschweigen und sich so unrechtmäßig Leistungen aus der staatlichen Grundsicherung erschleichen. Die Zahlen gehen aus einer Antwort der vorherigen Bundesregierung auf eine Anfrage der Grünen, damals noch in der Opposition, hervor, die auch für die derzeitige Debatte von Relevanz sein könnten.

Demnach erfasste das Jobcenter in 2020 lediglich 945 Fälle, bei denen zu viel Arbeitslosengeld II ausgezahlt wurde, weil das Vermögen der Empfängerinnen oder Empfänger von den Leistungen zu hoch war. In den meisten Fällen kam es zu Überzahlungen, weil Einnahmen aus einem Minijob oder aus einer sozialversicherungspflichtigen Beschäftigung verschwiegen wurden. Wenn betrogen wird, geschieht dies also in den allermeisten Fällen im Zusammenhang mit einer Beschäftigung.

Bürgergeld findet keine Mehrheit im Bundesrat

Die von CDU und CSU geführten Bundesländer haben die Sozialreform der Ampelkoalition am Montag im Bundesrat abgelehnt.

Kosten für Überzahlungen in 2020 belaufen sich auf 680 Euro pro Fall

Nach den Angaben wurde 2020 in insgesamt 84.280 Fällen festgestellt, dass zu viel Geld ausgezahlt wurde. Davon führte bei 78.382 Fällen das Einkommen aus bisher nicht bekannten geringfügigen oder versicherungspflichtigen Beschäftigung zu Überzahlung. Das ist ein Anteil von 93 Prozent. Die 945 Fälle von Überzahlungen durch Kapitalerträge und Vermögen machen demnach einen Anteil von lediglich 1,1 Prozent aus.

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Zum Zeitpunkt der Erhebungen wurden 3,9 Millionen Hartz-IV-Beziehende in der Statistik als „erwerbsfähig“ geführt, aktuell sind es laut der Online-Plattform Statista 3,7 Millionen. Die Gesamtsumme der zu viel bezahlten Auszahlungen belief sich laut den Angaben der damaligen Bundesregierung in 2020 auf 57,3 Millionen Euro, pro Fall waren das 680 Euro.

Freilich handelt es sich bei den genannten Zahlen lediglich um die nachgewiesenen Fälle von Überzahlungen. Es ist durchaus denkbar, dass es eine nicht bekannte Dunkelziffer gibt - sowohl beim Kapitalvermögen von Empfängern der Grundsicherung als auch bei unerlaubten zusätzlichen Beschäftigungen wie etwa Schwarzarbeit.

Deutsche Steuergewerkschaft: Jährlich 125 Milliarden Verluste durch Steuerhinterziehung

Welche finanziellen Schäden solche Dunkelziffern für den Staat und damit auch für die Steuerzahler bedeuten können, zeigen etwa Schätzungen der Deutschen Steuer-Gewerkschaft zur Steuerhinterziehung. In diesem Bereich belaufen sich die Verluste in Deutschland jedes Jahr auf rund 125 Milliarden Euro. „Die Steuerhinterziehung ist nach wie vor auf Rekordhoch“, sagt der Gewerkschaftsvorsitzende Florian Köbler.

Demnach würden dem Staat allein in der Bargeldbranche jährlich 15 Milliarden Euro entgehen. In Restaurants, Spielhallen, Taxi-Unternehmen, Juwelieren sowie in vielen Dienstleistungsbranchen sei Betrug weit verbreitet, da lediglich die Hälfte der Unternehmen eine Registrierkasse hätten.

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Große Verluste entstehen laut Köbler auch durch die Gewinnverlagerung. Dies sei zwar keine klassische Steuerhinterziehung, sondern vielmehr eine Steueroptimierung. „Bei den sogenannten MNE (Multi National Enterprises) rechnet man alleine in Deutschland ungefähr mit 6 Milliarden Euro entgangener Steuern, indem Gewinne in Niedrigsteuerländer und Steueroasen verschoben werden“, sagt Köbler.

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