Geheimes Strategiepapier des Kreml

Expertin: Moskau will in Moldau prorussische Kräfte an die Macht bringen

Moldau, Chisinau: Menschen schwenken moldauische Fahnen während eines Protests. In der früheren Sowjet­republik Moldau haben Tausende Menschen gegen die proeuropäische Regierung und hohe Gaspreise demonstriert.

Moldau, Chisinau: Menschen schwenken moldauische Fahnen während eines Protests. In der früheren Sowjet­republik Moldau haben Tausende Menschen gegen die proeuropäische Regierung und hohe Gaspreise demonstriert.

Berlin. Schon mit Beginn des Ukraine-Krieges ging in der kleinen Republik Moldau die Angst um, dass das Land bei einem russischen Vorstoß bis nach Odessa quasi mit überrannt werden könnte. „Wenn Odessa fällt, sind wir als Nächstes dran“, sagte die Mitarbeiterin einer Nicht­regierungsorganisation (NGO) im Mai 2022 in der moldauischen Hauptstadt Chisinau dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND).

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Später warnte auch der moldauische Geheimdienst immer wieder vor einer direkten Invasion russischer Truppen, zumal in der seit Anfang der 1990er-Jahre von Moldau abgespalteten prorussischen Region Transnistrien immer noch rund 1500 russische Soldaten stationiert sind. Dank massiver Gegenwehr der ukrainischen Armee, die den russischen Angriff weit vor Odessa zum Stehen brachte, hat Moskau offenbar zumindest temporär von einer Okkupation Moldaus Abstand genommen und verfolgt jetzt eher eine Strategie der inneren Destabili­sierung.

Moldau soll „prorussisch orientierter Puffer“ werden

Schon Mitte Februar hatte Moldaus Präsidentin Maia Sandu vor „Plänen des Kreml, Gewalt in unser Land zu bringen“ und „die Verfassungsordnung zu stürzen“ gewarnt. Das jetzt durch ein Recherchenetzwerk öffentlich gemachte geheime Strategiepapier des Kreml aus dem Sommer 2021 bestätigt diese Einschätzung.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Demnach wolle Moskau Moldau zwar nicht in ein Großrussland einbinden, dafür das 2,6‑Millionen-Einwohner-Land zwischen der Ukraine und Rumänien aber als „prorussisch orientierten Puffer“ nutzen, wie die an den Recherchen beteiligte „Süddeutsche Zeitung“ einen westlichen Geheim­dienst­mitarbeiter zitiert. Langfristig soll in Politik und Gesellschaft des Landes eine „negative Einstellung gegenüber der Nato“ geschaffen werden.

Russland will demnach „den Versuchen externer Akteure“ entgegen­wirken, „sich in die internen Angelegenheiten der Republik einzumischen“, und zudem Unterstützung leisten, sollte Moldau von Russland dominierten Vereinigungen beitreten wollen. In dem Papier werde neben der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) auch die Eurasische Wirtschaftsunion (EAEU) genannt. In Eliten aus Politik und Wirtschaft solle eine „prorussische Stimmung“ verbreitet werden. Zudem soll mehr „Fernunterricht in russischer Sprache“ angeboten sowie Ableger russischer Universitäten in Moldau gegründet werden. Nicht zuletzt solle eine „breite Präsenz russischer Medien“ in der Republik ausgebaut werden.

28.02.2023, Russland, Moskau: Dieses von der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Sputnik via AP veröffentlichte Foto zeigt Wladimir Putin, Präsident von Russland, der eine Rede während einer Sitzung des Vorstands des Föderalen Sicherheitsdienstes (FSB) hält. Putin hat den letzten großen atomaren Abrüstungsvertrag mit den USA außer Kraft gesetzt. Dazu habe Putin ein entsprechendes Gesetz unterzeichnet, teilte der Kreml am Dienstag in Moskau mit. Foto: Gavriil Grigorov/Pool Sputnik Kremlin/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Wie Putin Revanche für eine empfundene Kränkung nimmt

Schon 2005 bezeichnete Russlands Präsident Wladimir Putin den Zerfall der Sowjetunion als „die größte geopolitische Katastrophe“ des 20. Jahrhunderts. Während viele der ehemals 15 Sowjetrepubliken das Ende auch als Chance begriffen, trauern alte russische Eliten dem kollabierten Gebilde bis heute nach. Für Putin stellt er auch persönlich eine Kränkung dar. Seit Jahren arbeitet der Kremlchef zielstrebig an einem Comeback des untergegangenen Imperiums.

Moldau hat eine Inflation von 30 Prozent

„Uns überrascht dieses Strategiepapier in keiner Weise“, sagte Katja Plate, Leiterin des Auslandsbüros der Konrad-Adenauer-Stiftung in Chisinau dem RedaktionsNetzwerk Deutschland (RND). „Nach allem, was wir vor Ort beobachten, läuft es ganz klar darauf hinaus, dass Moskau in Moldau einen Vasallenstaat nach dem Vorbild von Belarus errichten will“, erläuterte Plate.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Derzeit gebe es wegen der hohen Inflation von 30 Prozent und der für moldauische Verhältnisse enormen Energiekosten ein „natürliches Protestpotenzial“ in der Bevölkerung, das von Moskau befeuert werde. Zwar tue die Regierung alles, um auch bei größeren Demonstrationen die Lage ruhig zu halten, aber prorussische Kräfte würden gezielt versuchen, Unruhen anzuheizen, sagte Plate.

„Das geheime Strategiepapier bestätigt, dass Russland die moldauische Regierung gezielt destabilisiert“, sagte die Bundestagsabgeordnete der Grünen, Merle Spellerberg. Sie hatte erst Ende Februar die Republik Moldau besucht, um sich einen Eindruck zu verschaffen. „Es ist Putin eindeutig ein Dorn im Auge, dass Moldau hart daran arbeitet, sich der russischen Einfluss­sphäre zu entziehen“, sagte Spellerberg. Das Papier zeige, dass Russlands Präsident keinen Respekt vor staatlicher Souveränität oder dem demokratischen Willen der mol­dauischen Bevölkerung habe.

Krisen-Radar

RND-Auslandsreporter Can Merey und sein Team analysieren die Entwicklung globaler Krisen im neuen wöchentlichen Newsletter zur Sicherheitslage. Jetzt kostenlos anmelden und in Kürze die erste Ausgabe erhalten.

Mit meiner Anmeldung zum Newsletter stimme ich der Werbevereinbarung zu.

Maia Sandu will Moldau in die EU führen

Nach Einschätzung von Katja Plate geht es Moskau langfristig darum, einen „Regime Change“ herbeizuführen und prorussische Kräfte an die Macht zu bringen. So finden in diesem Jahr Kommunalwahlen statt, bei denen es auch um das Amt des Bürgermeisters der Hauptstadt Chisinau geht. Hier amtiert Ion Ceban von den Sozialisten, der sich auch zur Wiederwahl stellt. „Er tritt moderat und modern auf, folgt aber der breiten prorussischen Linie, die in sowjetischer Tradition die enge Verbindung Moldaus zur rumänischen Sprache und Kultur negiert“, sagte Plate.

Sollte Ceban erneut die Wahl gewinnen, könnte er für die Präsidentschaftswahlen im Herbst 2024 als Gegenkandidat für die liberale prowestlich orientierte Maia Sandu aufgebaut werden, die das Land in die EU führen will. Die ehemalige Sowjetrepublik Moldau, die sich kurz nach dem Augustputsch in Moskau 1991 von der UdSSR löste und für unabhängig erklärte, ist seit Juni 2022 EU‑Beitrittskandidat.

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Der Berichterstatter für Moldau in der SPD-Bundestagsfraktion, Fabian Funke, sagte, man sehe die russische Einmischung mit großer Sorge. „Seit Monaten versucht Russland mit Desinformation, Kampagnen und wirtschaftlichem Druck Moldau zu destabilisieren“, kritisierte Funke. Damit werde es nicht durchkommen. „Die Menschen in der Republik Moldau haben sich für den Weg in die Europäische Union entschieden“, betonte der SPD-Politiker. Moldau sei ein souveräner Staat und Teil von Europa, kein politischer Spielball Moskaus.

Putin bezeichnet Krieg in der Ukraine als überlebenswichtig für Russland
Zur ARTE-Sendung Wer ist Wladimir Putin? (2/3) (2): Die Kehrtwende Der russische Präsident Wladimir Putin bei seinem Treffen mit den Mitgliedern des russischen Föderationsrates und der Staatsduma im Kreml am 21. Dezember 2016 in Moskau © Kremlin Pool/Alamy Stock Photo Foto: ARTE F Honorarfreie Verwendung nur im Zusammenhang mit genannter Sendung und bei folgender Nennung "Bild: Sendeanstalt/Copyright". Andere Verwendungen nur nach vorheriger Absprache: ARTE-Bildredaktion, Silke Wölk Tel.: +33 3 90 14 22 25, E-Mail: bildredaktion@arte.tv / Weiterer Text über ots und www.presseportal.de/nr/9021 / Die Verwendung dieses Bildes für redaktionelle Zwecke ist unter Beachtung aller mitgeteilten Nutzungsbedingungen zulässig und dann auch honorarfrei. Veröffentlichung ausschließlich mit Bildrechte-Hinweis. Foto: ARTE G.E.I.E./© Kremlin Pool/Alamy Stock Photo/obs

Beim Angriffskrieg gegen die Ukraine geht es nach den Worten von Kremlchef Wladimir Putin um Russlands Existenz.

„Jede Hilfe für Moldau ist eine Investition in die Sicherheit Deutschlands“

Knut Abraham (CDU), Mitglied im Auswärtigen Ausschuss des Bundestages, nannte die Lage in Moldau „absolut besorgniserregend“. „Das freie Europa muss alles tun, um das demokra­tische System und Präsidentin Maia Sandu zu stützen“, forderte Abraham. Die zugesagten Mittel der Bundesregierung müssten fließen. „Jede Hilfe für Moldau ist auch eine Investition in die Sicherheit Deutschlands“, so Abraham.

Tilman Kuban, der in der CDU/CSU-Bundestagsfraktion zu Moldau berichtet, sagte, Putins Plan zeige eindeutig, dass er nach der Ukraine nicht haltmachen wird. „Wir müssen endlich begreifen, dass die Ukraine auch unsere Freiheit verteidigt und dafür täglich den höchsten Preis zahlt“, sagte der CDU-Politiker. Weitere Waffenlieferungen seien deshalb zwingend notwendig. Kuban sagte weiter, die EU müsse den Abzug russischer Truppen aus Transnistrien fordern. Die EU‑Beitrittsverhandlungen mit Moldau würden für Perspektive und wirtschaft­liche Stabilität sorgen.

Das sieht auch Katja Plate so, die es für dringend geboten hält, dass die EU Moldau weiterhin finanziell unterstützt, um die sozialen Härten abzufedern, die mit der derzeitigen Kosten­explosion verbunden sind. „Auch eine weitere Liberalisierung des Handels würde helfen“, sagte Plate und nannte als Beispiel die Möglichkeit, dass moldauische Landwirte ihre Produkte auf den EU‑Markt bringen dürfen. „Das würde die Einkommenssituation der Bauern sehr verbessern.“

Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige

Demokratisches Medienangebot in russischer Sprache

Außerdem schlug Plate im Gespräch mit dem RND eine publizistische Gegenoffensive des Westens in russischer Sprache vor. Hintergrund ist, dass etwa 30 Prozent der Bevölkerung Moldaus russischsprachig sind und sich fast ausschließlich über das russische Staatsfernsehen informieren. So schlägt sich Putins Propaganda auch in Umfragen nieder und trägt dazu bei, dass etwa ein Drittel eher die Nato und die Ukraine für den Krieg verantwortlich machen.

„Ein alternatives Medienangebot in russischer Sprache mit demokratischen Inhalten, das würde sehr zur Aufklärung beitragen und helfen, Vorbehalte gegen Europa abzubauen“, sagte Katja Plate.



Weiterlesen nach der Anzeige
Weiterlesen nach der Anzeige




Mehr aus Politik

 
 
 
 
 
Anzeige
Anzeige

Letzte Meldungen

 
 
 
 
 
 
 
 
 

Spiele entdecken