Was Deutschland bei der Einwanderung von Kanada lernen kann
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Nancy Faeser (SPD, Mitte), Innenministerin, und Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD, rechts) bei einem Unternehmensbesuch in Ottawa.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa
Ottawa. Arbeitsminister Hubertus Heil möchte es genau wissen. „Warum Kanada, warum nicht Deutschland?“, fragt der SPD-Politiker den aus Indien stammenden Ingenieur Shreeram GR. Der 33-Jährige arbeitet in der kanadischen Firma Giatec mit Sitz in Ottawa, die Betonmesser herstellt. „Ich habe eine interessante Geschichte mit Deutschland“, antwortet er. Er sei selber interessiert an Deutschland gewesen, aber der Einwanderungsprozess für Kanada sei einfacher gewesen.
Später erzählt Shreeram der begleitenden Presse, er habe sogar in Deutschland gewohnt und gearbeitet. Ein Jahr in Paderborn, Nordrhein-Westfalen. Dann entschied er sich, in Kanada neu anzufangen. Weil das Einwanderungsverfahren einfach zu kompliziert war.
Und so treffen Heil und Bundesinnenministerin Nancy Faeser (ebenfalls SPD) Shreeram nicht in Paderborn, sondern im knapp 6000 Kilometer entfernten Ottawa. Die Minister sind nach Kanada gereist, um zu lernen, wie das Land Fachkräfte ins Land lockt.
Faeser: Willkommenskultur und wenig Bürokratie
Heil sagt während des Besuchs bei Giatec, Kanada habe Deutschland die Erfahrung mit einem funktionierendem Einwanderungssystem voraus. Innenministerin Faeser zählt auf, Kanada habe ein unbürokratisches System der Einwanderung, eine große Willkommenskultur, und Menschen mit guter Qualifikationen könnten schnell einwandern. „Da haben wir noch ein bisschen zu tun“, sagt sie.
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Termin bei Giatec in Ottawa: Es gab zwar viel zu lachen, aber die Herausforderungen für Deutschland sind groß.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa
Kanada gilt als Vorzeigeland für die Einwanderung von Arbeitskräften. Der Staat will jährlich bis zu 500.000 Arbeits- und Fachkräfte ins Land holen. Shreeram ist einer von ihnen: Einwandern konnte er mit dem im Jahr 1967 eingeführten Punktesystem, das für verschiedene Fähigkeiten Punkte vergibt. Ab 67 Punkten darf man nach Kanada gehen. Das trifft auf viele Fachkräfte bei Giatec zu: In dem Unternehmen arbeiten 120 Menschen aus 50 verschiedenen Nationen.
Hubertus Heil will ein ähnliches Punktesystem in Deutschland einführen. Ausländer sollen nach verschiedenen Kriterien Punkte erhalten, darunter Sprachkenntnisse, Berufserfahrung, Alter und Deutschlandbezug. Das Ziel: eine leicht verständliche, bürokratiearme weitere Säule zur Fachkräfteeinwanderung einführen.
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Ohnehin will der Minister die Bürokratie bei der Einwanderung abbauen – oder wie es Heil bei dem Unternehmensbesuch ausdrückt: „We want to destroy bureaucracy!“ Wir wollen die Bürokratie zerstören!
Zurzeit scheitern noch zu viele Menschen an den komplizierten Strukturen – so wie Shreeram. In Kanada sei das Verfahren hingegen digital gewesen, sagt er.
Ein Zustand, den sich Deutschland eigentlich nicht leisten kann. Nahezu jede Branche klagt über Arbeitskräftemangel. Und die Herausforderung werden immer größer: Bis 2030 werden Berechnungen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) zufolge sieben Millionen Menschen den Arbeitsmarkt verlassen, weil die Babyboomer-Generation in Rente geht.
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„Wir müssen hinterfragen, was in Unternehmen belohnt wird“
Teamleistung statt Einzelerfolg, Transparenz statt Geheimhaltung – klassische Vergütungsmodelle haben ausgedient, sagt die New-Pay-Vordenkerin Nadine Nobile. Im RND-Interview erklärt sie, warum Menschen unzufrieden mit ihrem Gehalt sind und wann sie es als fair empfinden.
Probleme auch in Kanada
Ein Problem, das Deutschland anders als Kanada viel zu spät erkannt hat. Doch auch in Kanada funktioniert das System nicht einwandfrei. Aktuell gibt es eine Million offene Stellen, Millionen Arbeitswillige warten im Punktesystem.
In dem Land wird sich ein zynischer Witz erzählt: Wenn man einen Herzanfall habe, solle man mit dem Taxi ins Krankenhaus fahren, heißt es. Denn der Taxifahrer sei ja meistens Kardiologe. Der Knackpunkt: Berufsanerkennung. Hier scheitert es besonders, bei stark reglementierten Berufen wie Mediziner oder Juristen an den Berufskammern – oder die Anerkennung dauert lange.
Ziemlich schnell ist in Kanada hingegen die Erlangung der Staatsbürgerschaft möglich: in nur drei Jahren. In Deutschland können Zuwanderer die Staatsbürgerschaft erst nach acht Jahren beantragen. Innenministerin Faeser will das ändern, die Mindestaufenthaltsdauer auf fünf beziehungsweise drei Jahre verkürzen. Die Fachkräfteeinwanderung mit dem Ziel der Einbürgerung sei in Kanada die Regel, sagt sie. „Das würde uns auch in Deutschland sehr helfen, qualifizierte Leute zu finden.“
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Sean Fraser ist Kanadas Minister für Einwanderung. Für ihn gehören Staatsbürgerschaft und Einwanderung zusammen.
© Quelle: Britta Pedersen/dpa
Kanada denkt die Staatsbürgerschaft und die Einwanderung zusammen. Den Fachkräften schnell die Staatsbürgerschaft zu geben sei essentiell, sagt der kanadische Einwanderungsminister Sean Fraser (Liberal). Er trifft Faeser und Heil bei Giatec. „Die Vision ist, nicht nur einen Job für ein paar Monate zu haben, sondern Kanadier zu werden“, sagt er.
So geht es auch Shreeram aus Indien. In Zukunft will er die Staatsbürgerschaft beantragen.