Brutale Ausschreitungen am 1. Mai in Frankreich: „Geprügelt wird auf allen Seiten“
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Eine Mai-Demonstration in Lyon.
© Quelle: IMAGO/NurPhoto
Paris. Die Fotos und Videoaufnahmen von diesem 1. Mai in Frankreich sind beeindruckend, teils auch erschreckend. In Lyon brannte ein BMW aus, auf dessen Motorhaube jemand mit einer weißen Farbe „reich“ geschrieben hatte. In Nantes drang schwarzer Rauch aus den Fenstern der Polizeipräfektur, die von Unbekannten angezündet worden war. In anderen Städten und vor allem in Paris versprühten Einsatzkräfte reichlich Tränengas in Menschengruppen und setzten Wasserwerfer ein. An anderen Orten schleuderten Randalierer Steine oder Brandsätze auf die Ordnungskräfte. Landesweit wurden 406 Polizisten und Gendarmen verletzt. Ein Beamter erlitt Verbrennungen zweiten Grades durch einen Molotowcocktail. Wie viele Demonstranten Verletzungen davontrugen, war nicht bekannt. 540 Personen kamen in Untersuchungshaft.
Ausschreitungen bei Mai-Protesten in Frankreich
In diesem Jahr nutzten die Gewerkschaften den Tag der Arbeit in Frankreich, um gegen die umstrittene Rentenreform der Regierung zu protestieren.
© Quelle: Reuters
Nicht alle Protestzüge an diesem 1. Mai verliefen brutal, aber das Ausmaß an Gewalt war beträchtlich. Zugleich strömten so viele Personen wie selten zu den traditionellen Demonstrationen. Den Gewerkschaften zufolge gingen landesweit 2,3 Millionen Menschen auf die Straße, darunter 550.000 in der französischen Hauptstadt. Das Innenministerium zählte hingegen 782.000 Teilnehmer im ganzen Land und 112.000 in Paris. Dass die Angaben der Organisatoren und der staatlichen Behörden weit auseinanderliegen, ist üblich. Der Gewerkschaftsführer Laurent Berger sprach von einer „Beteiligung historischen Ausmaßes“, die den Groll und die Wut der Menschen offenbare.
Erschütternde Szenen
Die Gewerkschaften hatten in diesem Jahr den Tag der Arbeit als Gelegenheit genutzt, um erneut zum Protest gegen die umstrittene Rentenreform der französischen Regierung aufzurufen. Das Gesetz ist inzwischen beschlossen und tritt ab 1. September in Kraft. Präsident Emmanuel Macron reiste zuletzt durch das Land, um neue Ankündigungen zu machen: In einer Schule versprach er den Lehrern höhere Gehälter, in einem Holzbetrieb massive Industrieinvestitionen, in einer Gesundheitseinrichtung besseren Zugang zu Ärzten. Doch viele Menschen wollen nicht einfach zu anderen Themen übergehen. Die Art und Weise, wie die Regierung die Rentenreform, die die Altersgrenze für den Eintritt in den Ruhestand von 62 auf 64 Jahre anhebt, am Parlament vorbei durchsetzte, missfällt einer großen Mehrheit. Seit Wochen kommt es immer wieder zu Zusammenstößen zwischen Protestlern und der Polizei, manchmal sogar zu regelrechten Straßenschlachten.
Einen Anteil an der Gewalt haben auch Vermummte des radikalisierten „Schwarzen Blocks“, die sich unter die Demonstranten mischen. Innenminister Gérald Darmanin gab ihre Zahl am Montag mit 2000 an. Wie brachial allerdings beide Seiten agieren, berichtete der sozialistische Senator Jérôme Durain, der eine mobile Polizeibrigade in einer Beobachterrolle begleitete. „Ich habe gesehen, wie Molotowcocktails, ein Hammer, Steine auf Polizisten flogen, aber auch einen Typen mit blutüberströmtem Kopf und Leute am Boden. Geprügelt wird auf allen Seiten.“ Zu ähnlichen Szenen kam es vor gut drei Jahren während der Proteste der „Gelbwesten“ regelmäßig. Dabei verloren durch den Einsatz von Gummigeschossen Dutzende Menschen ein Auge oder eine Hand. Die Polizei in Frankreich gilt als wenig zimperlich beim Einsatz von Schlagstöcken, Schock- und Tränengasgranaten, ihre Strategie als offensiv anstatt deeskalierend. Bei einer Ansprache Mitte April sagte Macron, er gebe sich 100 Tage bis zum Nationalfeiertag am 14. Juli, um das Land zu beruhigen. Doch es ist weiterhin in Aufruhr. Die Gewerkschaften kündigten nun einen neuerlichen Streik- und Protesttag am 6. Juni an.