Umstrittene Rentenreform: Frankreichs Regierung übersteht beide Misstrauensanträge
:format(webp)/cloudfront-eu-central-1.images.arcpublishing.com/madsack/ZLEHXK3CSJD6DORXXR2YIFBCB4.jpg)
Die Nationalversammlung hat beide Misstrauensanträge gegen die französischen Premierministerin Élisabeth Borne abgelehnt.
© Quelle: IMAGO/Le Pictorium
Paris. Bis zum Nachmittag schwebte Unsicherheit über ihrem unmittelbaren politischen Schicksal, doch am Montagabend war klar: Élisabeth Borne bleibt die französische Premierministerin. Die Nationalversammlung lehnte beide Misstrauensanträge gegen die 61-Jährige ab – allerdings nur knapp. Mit dem Scheitern beider Voten gilt die umstrittene Rentenreform als angenommen. Sie wird dann an den Verfassungsrat weitergeleitet. Wenn er sie bestätigt, tritt sie in Kraft.
Die Misstrauensanträge waren eingegangen, nachdem Borne am vergangenen Donnerstag in letzter Minute darauf verzichtet hatte, die Abgeordneten über einen Endentwurf der umstrittenen Rentenreform der Regierung abstimmen zu lassen. Stattdessen verordnete sie das Gesetz mit Hilfe des Verfassungsartikels „49.3″. Zu unsicher erschien eine Verabschiedung durch die Parlamentarier, da ein Teil der 61 Republikaner unentschieden oder gegen die Hauptmaßnahme der Reform, die Erhöhung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre, waren.
Die umstrittene Rentenreform gilt nun als umgesetzt
Aus Präsident Emmanuel Macrons Umfeld hieß es, ihm seien die „finanziellen und wirtschaftlichen Risiken“ im Falle des Scheiterns seiner Reform, die die Finanzierung der Alterssicherungssysteme garantieren und ein wachsendes Defizit verhindern solle, zu groß erschienen. Doch dieses Vorgehen erzürnte nicht nur die französische Bevölkerung und die Gewerkschaften, sondern auch weite Teile der Opposition.
Heftige Ausschreitungen bei Renten-Protesten in Frankreich
Die Wut auf den französischen Präsidenten Emmanuel Macron und seine Regierung wächst.
© Quelle: Reuters
Dennoch überstand die Premierministerin beide Misstrauensanträge: Für den ersten Antrag der kleinen Zentrumspartei Liot stimmten demnach 278 Abgeordnete. Um der Regierung das Misstrauen auszusprechen, wären die Stimmen von mindestens 287 Abgeordneten nötig gewesen. Es fehlten also neun Stimmen.
Bei einem Erfolg eines der Misstrauensanträge hätte Borne mitsamt ihrer Regierung zurücktreten müssen. Möglicherweise hätte Macron sogar Neuwahlen ausgerufen.
So weit kommt es nicht. Doch der Zusammenschluss der sonst weit auseinanderliegenden Oppositionsparteien, um der Regierung das Misstrauen auszusprechen, ist ein Warnsignal. Auch fehlten lediglich neun Stimmen. Denn einer der beiden Anträge, eingebracht von der kleinsten Fraktion Liot, die sich aus 20 liberalen, unabhängigen sowie Abgeordneten aus Korsika und mehreren Übersee-Départements zusammensetzt, erreichte insgesamt 278 Stimmen. Diese stammten außer von der Liot-Gruppe selbst vom gesamten links-grünen Bündnis Nupes (Neue ökologische und soziale Volks-Union), Teilen der konservativen Republikaner sowie vom rechtsextremen Rassemblement National (RN).
Umfragen: 70 Prozent der Franzosen unzufrieden mit Macron
Die RN-Fraktion hatte ebenfalls einen eigenen Misstrauensantrag eingebracht, dem aber nur wenige andere Abgeordnete folgten. Seit den Parlamentswahlen im Juni vergangenen Jahres ist sie mit 88 Abgeordneten in der Nationalversammlung vertreten. Macron und seine verbündeten Parteien verloren damals die absolute Mehrheit, was alle Gesetzesprojekte zu Zitterpartien werden lässt – die Rentenreform vorneweg. Alle Beobachter sind sich einig, dass ihr autoritäres Durchsetzen zu einer handfesten politischen Krise geführt hat.
Bei den Kundgebungen der von den Gewerkschaften organisierten Protest- und Streiktagen schlossen sich teilweise weit mehr als eine Million Menschen landesweit an. Verliefen die Proteste überwiegend friedlich, so spitzte sich die Lage seit Donnerstag zu. Mülleimer brannten, Wahlkreisbüros wurden tätlich angegriffen, manche Abgeordnete erhielten sogar Polizeischutz. Laurent Berger, Chef der großen Gewerkschaft CFDT, sagte, die Anwendung des Verfassungsartikels „49.3″ verstärke die Verbitterung und damit die Mobilisierung vieler Menschen. „Wir sind von dem Eindruck, missachtet zu werden, übergegangen zu einem Gefühl der Wut“, warnte Berger.
Am Donnerstag findet ein neuerlicher Aktionstag statt. In Meinungsumfragen sagen 70 Prozent der Französinnen und Franzosen, sie seien unzufrieden mit Macron, fast so viele sind es auch mit Borne. Beobachter vermuten, dass der Präsident Macron demnächst seine Regierung umbilden und die Regierungschefin austauschen könnte, die die Reform an vorderster Front verteidigt hatte. Mittel- und langfristig erscheint Bornes Platz wackelig.