Reform stößt auf Widerstand

Frankreich und das Renteneintrittsalter – Macron kämpft um sein Image als Reformpräsident

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält während einer Neujahrsansprache vor medizinischem Personal im Krankenhaus Centre Hospitalier Sud Francilien inne (Symbolbild).

Frankreichs Präsident Emmanuel Macron hält während einer Neujahrsansprache vor medizinischem Personal im Krankenhaus Centre Hospitalier Sud Francilien inne (Symbolbild).

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Paris. Nicht weniger als 17-mal hat Emmanuel Macron in seiner diesjährigen Neujahrsansprache das Wort „Arbeit“ oder die Verbform davon, „arbeiten“, verwendet. Frankreich, so der Präsident, werde nur stärker, wenn alle sich noch mehr anstrengen. Das rechtfertigt für ihn die geplante schrittweise Erhöhung des Renteneintrittsalters. „2023 wird das Jahr der Rentenreform“, kündigte Macron in der Rede an. Den Versuch eines weitreichenden Umbaus des Systems zog er Anfang 2020 zurück – nicht aufgrund der massiven Proteste, sondern infolge der Corona-Pandemie, die just begann, als das Projekt fast umgesetzt war.

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Nun geht es um Macrons Image als Reformpräsident, der für eine verantwortungs- und budgetbewusste Politik steht. Soeben hat er die Regeln der Arbeitslosenversicherung verschärft. Am Dienstag stellte seine Premierministerin Élisabeth Borne die Grundzüge der Rentenreform vor, die seit Monaten für Diskussionen und viele Ängste sorgt.

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Macron befürchtet Milliardendefizit im Rentensystem

Denn die Französinnen und Franzosen wollen nicht mehr und nicht länger arbeiten – ein Trend, den Studien bestätigen und den die Coronavirus-Pandemie noch verstärkt hat. Mehr als die Hälfte von ihnen empfinden einer Studie des Meinungsforschungsinstituts IFOP zufolge ihren Job als einengend, und 45 Prozent nennen ihr Einkommen als Hauptmotivation, um zu arbeiten. Im Jahr 1993 sagte das nur ein Drittel der Befragten.

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Eine Zweidrittelmehrheit spricht sich gegen die Rentenreform aus, obwohl es sich um eines der zentralen Wahlkampfversprechen Macrons handelte. Dieser argumentiert, dass den Alterssicherungssystemen ein Milliardendefizit drohe. Doch mehrere, meist linksstehende Wirtschaftswissenschaftler wie der Starökonom Thomas Piketty beschwichtigen, das Loch sei nicht bedrohlich groß, und so hat sich die Meinung verbreitet, eine Änderung sei nicht notwendig.

Nur ein Drittel der über 60-Jährigen arbeiten

„Das Gleichgewicht des Systems ist nicht mehr sichergestellt, das ist eine realistische Feststellung all derer, die sich mit den Renten auseinandergesetzt haben“, sagte hingegen Regierungschefin Borne. Sie schlug gestern eine schrittweise Anhebung der Altersgrenze von derzeit 62 auf 64 Jahre bis 2030 vor. Die bereits laufende allmähliche Erhöhung der Einzahldauer auf 43 Jahre für eine abschlagsfreie Pension soll zugleich beschleunigt und eine Vielzahl von Ausnahmen für bestimmte Berufsgruppen abgeschafft werden. Es soll Maßnahmen geben, um mehr über 60-Jährige in Arbeit zu bringen – in Frankreich ist das nur bei rund einem Drittel der Fall.

Vorgesehen sind zudem Sonderregeln für besonders beschwerliche Arbeit sowie eine Mindestrente von 1200 Euro pro Monat. Hierbei handelte es sich um eine Forderung der konservativen Republikaner, welche zwar seit Jahren eine Rentenreform mit höherer Altersgrenze vorschlugen, nun aber Bedingungen an ihre Zustimmung knüpften.

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„Es macht keinen Sinn mehr, 40 Stunden pro Woche zu arbeiten“

Die Berufswelt ist kaputt, wir alle leiden an einem kollektiven Burnout – das ist die ernüchternde Diagnose der Arbeits­markt­expertin Sara Weber. Sie selbst zog Konsequenzen und kündigte 2021 ihren Job. Was sich ändern muss, damit die Arbeit wieder zum Leben der Menschen passt, erklärt Weber im RND-Interview.

Gewerkschaften vereinigen sich zum Protest

Der neue Parteichef Éric Ciotti signalisierte zuletzt Kooperationsbereitschaft, sodass die Reform mit den Stimmen der Republikaner in der Nationalversammlung beschlossen werden könnte. Da Macrons Partei Renaissance dort über keine absolute Mehrheit verfügt, braucht sie weitere Verbündete; als letzte Waffe bliebe sonst nur ein Sonderparagraf, um das Gesetz am Parlament vorbei zu beschließen. Die linken Parteien sowie der rechtsextreme Rassemblement National haben schon ihren Widerstand angekündigt.

Das gilt auch für die Gewerkschaften, die sich nun zum ersten Mal seit zwölf Jahren, als unter dem damaligen Präsidenten Nicolas Sarkozy das Rentenalter von 60 auf 62 Jahre stieg, im Protest vereinigen und noch im Januar erste Demonstrationen organisieren wollen. Das Jahr 2023 könnte in Frankreich statt mit mehr Arbeit mit Blockaden und Protesten beginnen.

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