60 Jahre Freundschaftsvertrag

Frankreich und Deutschland: eine unverzichtbare Vernunftehe

Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle (rechts) und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichneten am 22. Januar 1963 im Pariser Élysée-Palast den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.

Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle (rechts) und der deutsche Bundeskanzler Konrad Adenauer unterzeichneten am 22. Januar 1963 im Pariser Élysée-Palast den deutsch-französischen Freundschaftsvertrag.

Paris. Wer sich mit dem Verhältnis zwischen Frankreich und Deutschland der letzten Jahrzehnte befasst, kommt nicht um jene politischen Persönlichkeiten herum, die es besonders positiv geprägt haben. Und auch nicht um ihre symbolisch aufgeladenen Gesten und Worte, angefangen von der „Rede an die deutsche Jugend“ des französischen Präsidenten Charles de Gaulle, in der er im Herbst 1962 in Ludwigsburg die jungen Leute auf Deutsch dazu beglückwünschte, „Kinder eines großen Volkes“ zu sein. Wie bitte? „Jawohl! Eines großen Volkes, das manchmal im Laufe seiner Geschichte große Fehler begangen hat“, rief de Gaulle, der nur 17 Jahre nach Ende des verheerenden Zweiten Weltkriegs einen atemberaubenden Weitblick, befreit von den Ressentiments langjähriger Erzfeinde, erkennen ließ.

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Wenig später, am 23. Januar 1963, unterzeichnete er an der Seite von Kanzler Konrad Adenauer den Élysée-Vertrag zwischen Frankreich und Deutschland für eine vertrauensvolle Zusammenarbeit. Als bedeutsam erwiesen sich auch die Initiative von Helmut Schmidt und Valéry Giscard d’Estaing, den Weg zu einem europäischen Währungssystem freizumachen, oder der Handschlag von François Mitterrand und Helmut Kohl 1984 auf einem Kriegsgräberfeld in Verdun.

Die langen Schatten dieser historischen Momente reichen bis heute und erhöhen den Druck auf die Nachfolger dieser Staatsmänner, ihre Versöhnung und Einigkeit ähnlich eindrucksvoll in Szene zu setzen – allen Streitfragen zum Trotz, die sie im Alltag trennen. In der Idealisierung der Vergangenheit wird oft verkannt, dass die bilaterale Beziehung nie frei von Konflikten und Konkurrenzdenken war. Zu unterschiedlich sind die (nicht nur politischen) Kulturen der Nachbarn und damit oft ihre Interessen. Zu wenig kennt man einander, trotz ständiger Absprachen auf allen Regierungsebenen, die diese Länderbeziehung so einmalig macht, auch wenn Paris mit Rom und nun auch Madrid ähnliche Abkommen schloss. Es gibt gemeinsame Sitzungen von deutsch-französischen Ministerräten, den Austausch von Beamten und zigfache persönliche Verbindungen dank Austauschprogrammen, Praktika oder Städtepartnerschaften.

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Aktuell viel Dissens

Doch diese Beziehung ist kein Selbstläufer, was Präsident Emmanuel Macron und Bundeskanzler Olaf Scholz gerade wieder erkennen müssen. Vor dem Hintergrund multipler Krisen fällt es ihnen sichtlich schwer, gemeinsame Linien zu finden oder den Reflex zu entwickeln, sich grundsätzlich abzustimmen, um das Austragen von Zwistigkeiten im Rampenlicht zu vermeiden. Paris setzt auf Kernenergie, den Ausbau einer europäischen Verteidigung und plädiert für schuldenfinanzierte EU-Investitionspakete. Deutschland lehnt letztere ab, bleibt beim Atomausstieg und hält sich weiter an US-Rüstungstechnik. Der französische Präsident kann in der Außen- und Sicherheitspolitik blitzschnell bestimmen; in Deutschland muss sich eine Koalition, manchmal mit Zustimmung des Parlaments, zu einer Entscheidung durchringen.

Scholz und Macron treffen sich zum Krisentreffen in Paris
PARIS, FRANCE - OCTOBER 26: In this handout image provided by German Government Press Office (BPA), French President Emmanuel Macron Hosts German Chancellor Olaf Scholz at the Elysée Palace on October 26, 2022 in Paris, France. (Photo by Ronny Hartmann/Bundesregierung via Getty Images)

Überschattet von Meinungsverschiedenheiten bei wichtigen Themen, hat sich Bundeskanzler Scholz mit dem französischen Präsidenten Macron in Paris getroffen.

Es gilt, mit diesen Unterschieden zu arbeiten, ohne sie zu bewerten. Aus ihnen eine Stärke zu machen, vor allem dann, wenn Paris und Berlin so weit auseinanderliegen, dass sich die anderen 25 EU-Partner in einem Kompromiss wiederfinden können. Neue Initiativen anlässlich des anstehenden 60-Jahr-Jubiläums, wie ein deutsch-französisches Bahnticket für Jugendliche, sind willkommen. Ebenso wichtig ist es aber auch, Errungenschaften zu bewahren. So droht dem einzigen deutsch-französischen Kindergarten in Paris durch eine Reform des französischen Bildungsministeriums das Ende. Zu den Versicherungen, sich immer noch mehr anzunähern, die auch am Sonntag wieder erklingen werden, passt das nicht.

In Frankreich wird oft emotional von einem „deutsch-französischen Paar“ gesprochen. Das ist insofern zutreffend, als es unabdingbar bleibt, sich auch nach Jahren füreinander zu interessieren. Fast wie ein altes Ehepaar, das einst eine Vernunftehe einging und mit all den Eigenarten des Partners, der so unfassbar anders ist, zurechtkommen muss. Gemeinsam in einem Boot rudert es sich besser als alleine. Das galt für de Gaulle und Adenauer wie für alle ihre Nachfolger.

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