Iran weiter in Aufruhr

Irans Religionsführer Chamenei kritisiert Vergiftungswelle - Journalist nach Berichterstattung inhaftiert

Ein Mädchen geht an einer Häuserfassade entlang. Hunderte Schulmädchen sind in den vergangenen drei Monaten im Iran vergiftet worden. Ein Journalist wurde nun verhaftet, nachdem er darüber berichtet hatte.

Ein Mädchen geht an einer Häuserfassade entlang. Hunderte Schulmädchen sind in den vergangenen drei Monaten im Iran vergiftet worden. Ein Journalist wurde nun verhaftet, nachdem er darüber berichtet hatte.

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Teheran. Irans Religionsführer Ajatollah Ali Chamenei hat die Vergiftungswelle an Mädchenschulen als „unverzeihliches Verbrechen“ bezeichnet. „Die Urheber dieses Verbrechens müssen streng bestraft werden. Es wird keine Amnestie für solche Leute geben“, sagte der Religionsführer am Montag laut der staatlichen Nachrichtenagentur IRNA. „Die Behörden müssen den Fall der vergifteten Schulkinder ernsthaft untersuchen“, forderte das Staatsoberhaupt. Chamenei, der im Iran in allen strategischen Belangen das letzte Wort hat, äußerte sich damit erstmals zu der landesweiten Vergiftungswelle.

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Gleichzeitig wurde Medienberichten zufolge nach der Berichterstattung über die mysteriöse Vergiftungswelle ein Journalist festgenommen worden. Der Zeitungsjournalist Ali Purtabatabai sei inhaftiert worden, berichtete die Zeitung „Entekhab“ am Sonntagabend (Ortszeit) unter Berufung auf dessen Schwester. Der Journalist arbeitete demnach in der religiösen Hochburg Ghom, wo vor Monaten die ersten Vergiftungsfälle gemeldet wurden. Genauere Informationen waren zunächst nicht bekannt.

Die Festnahme trage nicht zur „Entmystifizierung der Gerüchte und Nachrichten“ bei, schrieb der Reformpolitiker und Journalist Abbas Abdi auf Twitter. Es mache die Gerüchte „noch schlimmer. Ich hoffe, er wird bald freigelassen.“

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Die ersten Fälle der mysteriösen Vergiftungen wurden bereits im November gemeldet. Irans Regierung geht von gezielten Angriffen aus. Betroffen sind fast ausschließlich Mädchenschulen. Landesweit wurden bisher Hunderte Schülerinnen in Krankenhäusern behandelt. Eltern und Angehörige sind empört und wütend, noch immer gibt es keine offizielle Erklärung. Sie werfen den Behörden Versagen vor und geben ihnen eine Mitschuld. Ärzte sprechen von Giftgasangriffen.

Staatsmedien: Irans Religionsführer begnadigt 80.000 Gefangene

Chamenei hat zudem am Montag laut Staatsmedien mehr als 80.000 Gefangene begnadigt. Dies berichtete die staatliche Nachrichtenagentur IRNA am Montag unter Berufung auf Justizchef Gholam-Hussein Mohseni-Edschehi. Die Begnadigungen wurden im Februar kurz vor dem Jahrestag der Islamischen Revolution von 1979 angekündigt. Ähnliche Amnestien gab es immer wieder rund um den Jahrestag. Unter den Begnadigten sollen zahlreiche im Rahmen der jüngsten Protestwelle Inhaftierte sein. Überprüfen lassen sich die Zahlen nicht. Prominente Kulturschaffende, Aktivisten und Menschenrechtler wurden jüngst freigelassen.

Die Begnadigungen waren an strenge Voraussetzungen geknüpft. Unter anderem werde keinen Gefangenen vergeben, denen Spionage zur Last gelegt wird. Auch Mord, Beschädigung oder Brandstiftung von Regierungs- oder Militäreinrichtungen schließen einen Gnadenspruch aus. Die Amnestien seien ein Ablenkungsmanöver, nachdem die politische und geistliche Führung unter Druck geraten war, sagten Kritiker. Sie bemängelten auch, dass für eine Begnadigung eine Anklage vorliege müsse. Sei dies nicht der Fall, müssten sich Inhaftierte selbst belasten, kritisierten Menschenrechtler.

Proteste gegen Vergiftungen von Schülerinnen im Iran
Protest against poisonings of girls in Iran People chant slogans during a protest at the Interests Section of the Islamic Republic of Iran against the poisonings of school girls in Iran. The attacks have taken place over the last few months, sending hundreds of girls to the hospital in at least ten cities. Washington DC United States PUBLICATIONxNOTxINxFRA Copyright: xAllisonxBaileyx originalFilename: bailey-protesta230302_npMHX.jpg

Am Dienstag hatte das Gesundheitsministerium mitgeteilt, Hunderte Mädchen in mehreren Schulen seien erkrankt.

Die jüngste Protestwelle im Herbst hatte Irans Führung in die schwerste Krise seit Jahrzehnten gestürzt. Auslöser war der Tod der iranischen Kurdin Jina Mahsa Amini im Polizeigewahrsam. Die 22-Jährige war vor rund einem halben Jahr wegen Verstoßes gegen die islamischen Kleidungsvorschriften festgenommen worden. Mehr als 500 Demonstranten wurden im Rahmen der Proteste getötet, rund 20.000 nach Schätzungen von Menschenrechtlern inhaftiert. Berichte hatten die Proteste in Verbindung mit den mutmaßlichen Vergiftungen gestellt.

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RND/dpa

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