Stillstand im Autoland: Zur Verkehrswende fehlt der große Wurf
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Anlässlich des „Mobilitätsgipfels“ demonstriert Campact vor dem Bundeskanzleramt. Bei dieser Aktion richtet sich der Protest vordergründig gegen Bundesverkehrsminister Wissing.
© Quelle: Carsten Koall/dpa
Berlin. Menschen, die für mehr Klimaschutz protestieren, sind keine „Klimaterroristen“ – auch dann nicht, wenn sie zum Beispiel den Straßenverkehr blockieren. So sieht es die Jury aus Sprachwissenschaftlern und Journalistinnen, die den Begriff jetzt zum „Unwort des Jahres“ gekürt hat.
Und sie hat ja recht: Terroristen verbreiten Angst und Zerstörung, die Klimaaktivisten dagegen sorgen sich um die Lebensgrundlagen der Menschheit. Wer sich einmal in Ruhe die Prognosen für den Zustand der Erde – auch in unseren Breiten – bei drei Grad Erwärmung ansieht, dürfte sich vielmehr vom Klimawandel terrorisiert führen.
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© Quelle: dpa
Allerdings kommen wir bei diesem Gedanken alle nicht gut weg. Denn es ist ja gerade der Lebensstil in den Industrieländern, der den Klimawandel vorantreibt: unser Konsum, unser Energieverbrauch, unsere Ernährung, unsere Mobilität. Der Verkehr stößt dabei nach Energie und Industrie das meiste Treibhausgas aus. Das Schlimme daran: Anders als im Energiesektor hat das seit 1990 nicht ab-, sondern zugenommen. Wir alle sind also die wahren Klimaterroristen.
Also: Gefahr erkannt, Gefahr gebannt? So einfach ist es leider nicht. Denn oft genug – wenn auch keineswegs immer –, ist man machtlos, wenn man in Deutschland aufs Auto verzichten und auf klimaschonende Mobilität setzen will.
Das Auto bleibt vielerorts alternativlos
Für sicheres und angenehmes Radfahren in den Städten fehlt ebenso die Infrastruktur wie für den Verzicht auf Auto und Flugzeug, etwa bei entfernteren Zielen oder bei Transportbedarf. Oft genug mag man zu Recht ein schlechtes Gewissen haben, wenn man ins Verbrennerfahrzeug steigt – ebenso oft ist es aber auch alternativlos, besonders auf dem Land.
Auch das ist längst erkannt, und entsprechend groß war die Empörung, als Olaf Scholz am Dienstag zum „Mobilitätsgipfel“ lud – und ausschließlich Branchen- und Ländervertreter eingeladen hatte, die etwas mit der Autobranche zu tun haben. Allen voran die Chefs großen deutschen Autobauer.
Lautstark beklagten etwa die Interessenvertretern von Radfahrern und Schienenpassagieren, nicht eingeladen worden zu sein. Der Verdacht lag nahe, dass es – wie früher bei Merkels Autogipfeln – in Wahrheit um die Jobs und Profite in der deutschen Autoindustrie ging. Und weil die inzwischen eben von Elektroboom und Energiekrise bedroht sind, wählte man als Thema eben „Elektromobilität“ und „Klimaschutz im Verkehr“.
Was an diesem Vorwurf falsch ist: Der „Mobilitätsgipfel“ wäre zwar seinem Namen eher gerecht geworden, wenn auch noch Fahrradlobby und Bahnentsandte mit am Tisch gesessen hätten – er wäre allerdings noch weniger erfolgreich gewesen.
Schon als Autorunde haben die Teilnehmer ein riesiges Rad zu drehen: Selbst wenn man eines Tages einen größeren Teil des Straßenverkehrs durch Öffentliche und Fahrräder ersetzt, muss der verbleibende Autoanteil dringend klimaneutral werden. Noch ist offen, ob das allein mit Elektrifizierung gelingen kann oder ob grüner Wasserstoff noch eine größere Rolle spielen wird – und woher in beiden Fällen ausreichend Ökoenergie kommt.
Bislang zweifeln die Deutschen vor allem an der Reichweite und an ausreichend Lademöglichkeiten für E‑Autos – und kaufen sie deshalb nicht. Die Sorge ist völlig gerechtfertigt – und schon dafür wäre ein eigener Gipfel sinnvoll gewesen. Bislang bauen vor allem Stadtwerke und Co. die Ladestationen aus, während Staat und Industrie das Thema verschleppen – vor allem auf dem Land. Und während die Stromkosten steigen, sinken die staatlichen Zuschüsse gerade wieder.
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So wird „grüner“ Wasserstoff gewonnen: Wasserstoff – chemisch H – kommt natürlich nicht in Reinform vor, sondern nur in Verbindung mit anderen Elementen, vor allem mit Sauerstoff, nämlich als Wasser (H₂O). Als Energieträger zur Stromerzeugung kommt Wasserstoff zum Beispiel bereits in Autos mit Brennstoffzellen zum Einsatz. Dafür muss er zuvor stets mithilfe von Energie aus einem Ausgangsstoff abgespalten werden – bislang überwiegend aus Methan, dem Hauptbestandteil von fossilem Erdgas. Abhängig von der Gewinnung wird Wasserstuf mit Farbnamen eingestuft: So spricht man von „grauem“ Wasserstoff, wenn bei der Herstellung das Treibhausgas Kohlendioxid (CO₂) entweicht. Wird das Kohlendioxid gespeichert, bezeichnet man ihn als „blau“. Wird dabei fester Kohlenstoff gewonnen, wird der Wasserstoff „türkis“ genannt. Gewünscht wird aber „grüner“ Wasserstoff, der klimaneutral mithilfe von Ökostrom produziert wird. Bei dieser sogenannten Elektrolyse wird unter Einsatz von grünem Strom das Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff gespalten.
© Quelle: dpa
Das allein ist eine große und notwendige Aufgabe – und doch ist sie nichts im Vergleich zur Herausforderung einer echten Verkehrswende. Die braucht weit mehr als E‑Wagen, den Verzicht auf unnötige Autofahrten und ein bundesweites Tempolimit. Wozu Deutschland sich schnellstens durchringen muss, ist ein Wurf, dessen Größe der Energiewende gleichkommt.
Um den Rückstand zu begreifen, muss man sich klarmachen, dass Deutschland an seiner Energiewende bereits seit der rot-grünen Bundesregierung von 1998 ackert, während im Verkehrsbereich seit 25 Jahren Stillstand herrscht: Zunächst waren die SPD-Verkehrsminister vor allem mit der Privatisierung der Deutschen Bahn beschäftigt, dann kümmerten sich die CSU-Verkehrsminister um den Neubau von Autobahnen in Bayern, und bei der Koalitionsbildung der Ampel übernahm die FDP das Ressort und achtet nun auf die Verhinderung des Tempolimits und – genau: den Neubau von Autobahnen.
Es fehlt der große Wurf
Was also fehlt, sind nicht Rad- und Bahnvertreter und ‑vertreterinnen bei einem Autogipfel im Kanzleramt, sondern eine ganze Reihen von Fahrradstädtegipfeln, Schienenkonferenzen und Gesetzespakete zur Erstellung von Stufenplänen für den Umbau der deutschen Mobilität.
Und weil man sich vorstellen kann, welche Widerstände bei einer Verkehrswende vom Ausmaß der bisherigen Energiewende aufkämen, fehlt als Erstes wohl auch noch ein gesamtgesellschaftliches Umdenken. Das immerhin hat bei vielen Deutschen schon eingesetzt. Höchste Zeit, dass die Politik das Thema ernst nimmt.