Wo sich der radikale Widerstand versammelt: letzte Bastion „Paula“ geräumt
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Die Polizei dringt jetzt auch in die „Paula“ ein, einen alten Hof, aus dem zuletzt immer wieder Feuerwerkskörper auf Polizisten flogen und Steine geworfen wurden. Der Hof gilt als Rückzugsort radikalerer Aktivisten.
© Quelle: Rolf Vennenbernd/dpa
Lützerath. Am Ende gibt Peter einfach auf. Schwingt die Beine über die Mauern des letzten noch besetzten Hofes in Lützerath, lässt sich seinen Rucksack rüberreichen und geht zu zwei Polizisten. Die Aussicht auf eine gewaltsame Räumung des Hofes „habe ich psychisch nicht ertragen“, sagt der Mittzwanziger – und lässt sich gegen die Zusicherung, nach der Feststellung seiner Personalien nach Hause zu dürfen, wegbringen.
Peter gehört damit zu den inzwischen mehr als 200 Aktivisten, die ihre Besetzung von Lützerath freiwillig beendet haben – auch das ist ein Grund dafür, dass die Polizei bei der Räumung der Siedlung am Tagebau Garzweiler deutlich schneller vorankommt als ursprünglich angenommen.
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Peter – vollkommen vermummt – gibt die Besetzung des Hofes „Paula“ in Lützerath freiwillig auf.
© Quelle: Thorsten Fuchs
„1,5 Grad heißt: Lützerath bleibt“
Am Morgen von Tag zwei durchbricht die Polizei das alte hölzerne Tor zu jenem Hof, an dessen Wand das riesige gelbe Banner mit der Aufschrift „1,5 Grad heißt: Lützerath bleibt“ hängt – ein Symbol innerhalb des Symbols Lützerath. Dann führen und tragen Polizisten nach und nach weitere Klimaaktivistinnen und ‑aktivisten ab. Selbst der starke Wind scheint die Räumung aus den Höhen kaum zu verzögern: Am Nachmittag sind sogar viele der Baumhäuser geräumt oder bereits abgerissen.
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Noch einmal kommt es an diesem Tag auch zu gefährlichen Szenen: Von einem der Dächer werfen Aktivisten Dachpfannen auf Polizisten, schießen mit Feuerwerksraketen auf Beamte. Aber das bleibt die Ausnahme.
Häufiger sind friedliche bis skurrile Momente: Aus einem der Baumhäuser streckt ein Aktivist demonstrativ sein nacktes Hinterteil aus dem Fenster. Bei jeder Räumung umstellen ein Dutzend Polizisten die Holzhäuser – was dazu führt, dass die Zahl der Beamten die der Aktivisten stets deutlich übersteigt. „Du bist nicht allein!“, skandieren die Aktivistinnen und Aktivisten jedes Mal, wenn einer oder eine der ihren abgeführt wird, ein Abschiedsgruß. Der Ruf ist ein ständiger Begleiter an diesem Tag.
Schnelles Vorrücken der Polizei
Das schnelle Vorrücken der Polizei am ersten Tag hat Moral und Zuversicht der Aktivisten deutlich angekratzt. „Wir wurden ja förmlich überrannt“, sagt zum Beispiel Joschi, 29 Jahre, der im ersten Stock eines Holzhauses mit anderen ausharrt, zusammengekauert, vor dem Regen geschützt von einer blauen Plane.
Er und seine Mitstreiter haben sich die Fingerspitzen mit Sekundenkleber und Glitzer überzogen – ein Weg, um das Abnehmen von Fingerabdrücken unmöglich zu machen. Ihr Ziel, die Klimakrise stärker ins Bewusstsein der Öffentlichkeit zu heben, hätten sie ja erreicht, sagt er, insofern sei er zufrieden. Jetzt habe er noch ein Ziel: „Noch einmal hier die Nacht zu verbringen.“ Doch am späten Nachmittag ist auch sein Haus geräumt.
„Da hat sich die Polizei an ihre eigenen Vorgaben nicht gehalten“
Die Sprecher der Aktivisten haben die Polizei dennoch schwer kritisiert. Insbesondere die Räumungen in der Nacht seien extrem gefährlich und das Vorrücken der Beamten zum Teil brutal gewesen, erklärt Florian Özcan von der Initiative „Lützerath lebt“. Angekündigt worden sei eine offene, von Kommunikation geprägte Räumung: „Da hat sich die Polizei an ihre eigenen Vorgaben nicht gehalten.“ Die Polizei dagegen hat bislang von einer weitgehend friedlichen Räumung gesprochen.
Den Ort selbst hat RWE, der Konzern, der Lützerath für die Braunkohle darunter abbaggern will, mit einem eilends errichteten Zaun abgeriegelt. Auch eine Demonstration mit 800 Teilnehmern, darunter Klimaaktivistin Luisa Neubauer und Greenpeace-Vorstand Martin Kaiser, die am Vormittag im benachbarten Keyenberg gestartet war, kam deshalb nicht bis Lützerath durch.
Neubauer kritisiert unverhältnismäßiges Vorgehen der Polizei
Auch Neubauer kritisierte ein unverhältnismäßiges Vorgehen der Polizei, die erneut mit mehr als 1000 Beamten in Lützerath auftrat. Auch die Gruppe um Neubauer und Kaiser wurde dann von der Polizei eingekreist.
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Umweltaktivistin Luisa Neubauer hält ein Schild mit der Aufschrift „Klimaschutz ist Handarbeit“ in der Hand – umkreist von Beamten.
© Quelle: Federico Gambarini/dpa
Unklar ist nun, wie lange die Räumung von Lützerath noch dauert. Auch Sprecher der Aktivisten beteuern, sie wüssten nicht, wie viele von ihnen noch in Lützerath sind. Als letzte und von der Polizei am schwierigsten einzunehmende Bastion galt ein alter Hof, von den Aktivisten „Paula“ genannt. Doch am Ende ging es auch hier überraschend schnell. Noch am frühen Abend räumte die Polizei das Gebäude vollständig.
„Paula“ galt als Rückzugsort – auch für gewaltbereite Aktivisten
Die Fenster sind zubetoniert, der Hof selbst ist abgeriegelt. Von hier sind in den vergangenen Tagen auch immer wieder Steine geworfen und Feuerwerkskörper auf die Polizisten geschossen worden. Die „Paula“ galt daher als Rückzugsort auch für gewaltbereite Aktivisten. Von hier hatte sich auch der Aktivist Peter der Polizei gleichsam ergeben. Die anderen Aktivisten dort hätten ihn dazu ermutigt, „es gibt keinen Gruppendruck“, versicherte er. An diesem Tag jedoch ist er der einzige, der den Hof freiwillig verlässt.