Luisa Neubauer: „Es ist völlig unklar, wie jemals wieder Klimaziele eingehalten werden können“
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„Lützerath bleibt“: Luisa Neubauer beim Protest vor dem Bundeswirtschaftsministerium in Berlin.
© Quelle: Annette Riedl/dpa
Hannover. Luisa Neubauer ist in ihrem Element. Gerade erst hat sie mit Fridays for Future vor dem Bundeswirtschaftsministerium gegen die Räumung von Lützerath protestiert, jetzt schon das nächste Interview. Es sei etwas „ganz Besonderes“, wenn sich eine Gemeinschaft für ein gemeinsames Ziel auf den Weg macht, sagt sie – und meint damit, den Ort am Tagebau Garzweiler doch noch zu erhalten.
Anfang Oktober hatten Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck und die nordrhein-westfälische Wirtschaftsministerin Mona Neubaur (beide Grüne) mit RWE vereinbart, den Kohleausstieg in NRW auf 2030 vorzuziehen, den Weiler Lützerath aber der Abbaggerung preiszugeben – als letzte Siedlung, die der Braunkohle zum Opfer fallen soll. Klimaaktivistin Luisa Neubauer, selbst Grünen-Mitglied, hatte ihre Partei dafür nun via Tweet heftig attackiert und einen Bruch des Pariser Klimaabkommens vorgeworfen. Zeit für ein paar Nachfragen.
Frau Neubauer, in der Vereinbarung zwischen Land, Bund und RWE aus dem Oktober über die Zukunft des Braunkohleabbaus sind viele Forderungen der Klimaschutz- und Protestbewegung rund um den Tagebau Garzweiler II erfüllt: Fünf Dörfer und mehrere bewohnte Höfe gerettet, Kohleausstieg in Nordrhein-Westfalen um acht Jahre auf 2030 vorgezogen – und dafür lediglich ein kleines, von den ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohnern schon verlassenes Dörfchen geopfert. Was soll daran kein guter Kompromiss sein?
Ja, es klingt wahnsinnig – zu gut, um wahr zu sein.
Es ist aus Ihrer Sicht auch nicht wahr?
Nein, denn bei der Klimakrise geht es unterm Strich darum, dass die Menge an CO₂, die wir emittieren, drastisch reduziert werden muss und mittelfristig bei Null ankommen muss. Mit diesem Deal hat es RWE hervorragend geschafft, die Grünen über den Tisch zu ziehen – und die Grünen haben sich über den Tisch ziehen lassen. Teil von diesem neuen Kohleausstieg sind so viele zusätzliche vereinbarte Emissionen, die durch RWE produziert werden dürfen, dass völlig unklar ist, wie jemals wieder Klimaziele eingehalten werden können.
„Politisch klug eingefädelt“
Der Kohleausstieg 2030 ist Ihre eigene Forderung.
Genau. Man hat dann diese schöne Zahl: 2030 Kohleausstieg. Das ist politisch klug eingefädelt. Aber es geht nur nachgelagert um diese Jahreszahl. Denn in diesen verkürzten Zeitraum der Kohleverfeuerung wurden nun mehr Emissionen hineingequetscht, als sonst bis 2038 verfeuert werden dürfen. Damit ist nichts gewonnen. Unabhängige Gutachten zeigen: Mit diesem Deal wird verfeuert, was wir noch an Chancen haben, unsere Klimaziele zu erreichen.
Deutschland verfehlt Klimaziel erneut
Deutschlands Ausstoß an klimaschädlichen Treibhausgasen ist nach vorläufigen Zahlen vergangenes Jahr um 4,5 Prozent gestiegen.
© Quelle: dpa
Die Kohle soll in zwei Kraftwerken verfeuert werden, um den Wegfall der russischen Gaslieferungen wettzumachen. Bezweifeln Sie den erhöhten Energiebedarf?
Am Energiebedarf muss ich nicht rumzweifeln, es gibt ja glücklicherweise Berechnungen dazu. Als Fridays-for-Future-Bewegung haben wir schon im März bejaht, dass man nachvollziehbarerweise teilweise kurzfristig auf Kohle setzen muss. Die Kohle aber, die unter Lützerath liegt, dient nicht der Krisenbewältigung. Die soll in den nächsten drei Jahren gar nicht angefasst werden. Es werden unter dem Vorwand der Krisenbewältigung die Weichen für die nächsten Jahre gestellt. Im Falle von Lützerath werden keine Krisen bekämpft, sondern Krisen produziert.
„Unzuverlässig und interessengeleitet“
Sie sprechen von ‚unabhängigen Gutachten‘. In diesem Falle stehen sich mehrere Gutachten gegenüber: Die einen, zum Teil im Auftrag kohlekritischer Initiativen, wollen zeigen, dass die Kohle unter Lützerath nicht gebraucht wird. Ein Gutachten im Auftrag des Landes belegt das Gegenteil …
… das aber maßgeblich auf Zahlen von RWE selbst beruht. RWE ist aber, wie wir aus der Vergangenheit und vom Hambacher Wald wissen, ein sehr unzuverlässiger und interessengeleiteter Auskunftsgeber.
Worauf stützen Sie Ihre Annahme, dass der Strombedarf künftig nicht so hoch sein wird, wie es das Landesgutachten vorhersagt?
Unsere Annahme ist vor allem, dass sich die Bundesregierung an ihre Zusagen hält, die Energiewende umzusetzen und globale Klimaziele einzuhalten. Und dass die Bundesregierung anerkennt, dass sie verfassungsrechtlich verpflichtet ist, ausreichenden Klimaschutz umzusetzen. Glücklicherweise leben wir in einer Demokratie, in der wir das können. Plus, die Koalition ist als Fortschrittskoalition angetreten, und der Kanzler hat als Klimakanzler für sich geworben. Da müssen wir uns doch darauf verlassen können, dass in einer Dauereskalation der Klimakrise die Regierung auf nachhaltige Energieträger umsteuert. Ansonsten können wir doch einpacken. Das Problem an dieser RWE-inspirierten Berechnung, auf die sich auch die Grünen stützen, ist, dass man auf einen Kohlekonzern hört, der ein maximales Profitinteresse hat, weiter Kohle abzubaggern. Das ist, als würde man die Gesundheitstipps für Raucher von der Tabaklobby übernehmen.
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Schaufelradbagger am Tagebau Garzweiler II nahe Lützerath.
© Quelle: IMAGO/Jochen Tack
Sie haben in einem Tweet zuletzt die Grünen massiv kritisiert und ihnen eine ‚kalkulierte Unterwanderung der Pariser Klimaziele‘ vorgeworfen. Sehen Sie im Fall Lützerath eine neue Stufe der Entfremdung zwischen Klimaschutzbewegung und grüner Partei?
Ja. Ich fürchte schon.
Mit welchen Folgen?
Die Grünen sind die Partei, die mit den Hambacher Wald verteidigt hat, die jahrzehntelang die Dörfer ringsum verteidigt hat – und die jetzt, ohne energiepolitische Notwendigkeit, unter Berufung auf haltlose Zahlen von RWE Lützerath an diesen Konzern verkauft. Das ist ein großer Fehler, von dem ich nicht weiß, wie weitreichend die Folgen sein werden.
„Keine ökologische Oppositionspartei“
Repräsentieren die Grünen noch die Klimaschutzbewegung?
Es hilft in dieser Situation jedenfalls gar nicht, dass es im Bundestag keine ökologische Oppositionspartei gibt, die in diesem Falle ökologische Grenzlinien aufzeigt. Aber genau das ist, was wir machen. Es gibt bei den Grünen nach wie vor eine große ökologische Energie. Aber Klimaschutz ist inzwischen Konsens, muss auch Konsens sein, insofern appellieren wir an alle.
Sie sind selbst Mitglied der Grünen. Wollen Sie selbst trotz Ihrer schweren Kritik an den Grünen in der Partei bleiben?
Das ist keine Frage für den heutigen Tag.
Wie wollen Sie sich an den Protesten beteiligen?
Wir rufen als Klimabewegung und als Fridays for Future unsere über 300 Ortsgruppen auf, am 8. Januar nach Lützerath zu kommen, aber auch dezentral zu protestieren Wir appellieren an die Zivilgesellschaft, an alle Generationen, Familien, Eltern und Großeltern, Kirchen und Vereine, sich daran zu beteiligen und die Kohle unter Lützerath zu beschützen. Es muss durch uns politisch unbezahlbar werden, sich gegen das Pariser Klimaabkommen zu stellen, wie das die Ampel und die Grünen gerade tun. Wir wollen zeigen, welchen politischen Preis das hat.
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„Ich kann ja handeln“
Es gibt Befürchtungen vor einer Eskalation der Proteste und der Auseinandersetzung mit der Polizei. Unterstützen Sie die Forderung nach einer Blockade Lützeraths?
Ja, wir rufen zu den unterschiedlichsten Formen des friedlichen Widerstands dort auf – auch durch Blockaden.
Wie wollen Sie dazu beitragen, dass die Proteste friedlich bleiben?
Wir setzen uns für friedlichen Protest ein und setzen darauf, dass die Polizei das ebenfalls tut. Bisher haben wir auch anderes gesehen. Es wurde von einer friedlichen Räumung gesprochen – und dann wurden kurzfristig mehrere Hundertschaften in dieses Dorf reingeschickt, während viele Pressestimmen keinen Zugang hatten. Die friedlichste aller Lösungen ist ein Räumungsmoratorium, da liegt es an der Politik, zu handeln.
Glauben Sie noch an eine Rettung des Ortes?
Ich muss in diesem Falle zum Glück an gar nichts glauben – ich kann ja handeln.