Comeback der Gelbwesten?

Streit um Energie, Klimaschutz und Rentenalter: Frankreich droht ein brodelnder Januar

Macron will das französische Rentensystem reformieren.

Macron will das französische Rentensystem reformieren.

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Paris. Es war nur eine simple rhetorische Frage in einer Silvester­ansprache, aber Emmanuel Macron brachte sie heftige Kritik ein. In seiner Rede zählte der französische Präsident die Herausforderungen auf, die das Jahr 2022 bereitgehalten hatte. Wer hätte den Krieg auf europäischem Boden vorhersehen können, fragte er, die Tausenden Toten und Millionen Flüchtlinge, die Inflation oder „die Klimakrise mit spektakulären Effekten in unserem Land“? Sofort folgte ein empörter Aufschrei von Wissenschaftlern und Klimaaktivisten: Seit Langem warnten sie genau davor, Macron rechtfertige nur seine eigene Untätigkeit in Sachen Klimaschutz.

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Für den 45-Jährigen ist es der schroffe Beginn eines Jahres, das schwierig werden dürfte. Am Freitag trifft er Vertreter des Gesundheits­wesens vor dem Hintergrund einer Krise in den überlasteten Krankenhäusern. Vorgestern empfing die Regierung die Vereinigung der Bäcker, für die die hohen Energie­preise teilweise existenz­bedrohend werden; ihnen wurden Hilfs­maßnahmen versprochen. Am nächsten Dienstag stellt Premier­ministerin Élisabeth Borne die Grundzüge der Rentenreform vor, die Macron bis zum Sommer umsetzen will, als sein wichtigstes Projekt dieser Amtszeit.

Schon 2019 machte der Präsident einen ersten Anlauf, um das Renteneintritts­alter zu erhöhen und die 42 bestehenden Systeme für verschiedene Berufs­gruppen in ein einziges zu überführen. Nachdem das Gesetz nach zähen Streiks fast beschlossen war, setzte die Corona-Pandemie ein und Macron legte das Projekt auf Eis.

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Gewerkschaften kündigen Streiks an

Nun geht es ihm nur noch um die schrittweise Anhebung des Rentenbeginns von 62 auf 64 oder 65 Jahre, um das System zu sanieren. Dies hat er vor seiner Wiederwahl im April 2022 klar angekündigt. Trotzdem steht er einer breiten Front von Gegnern und Gegnerinnen gegenüber. Einer Umfrage des Instituts Harris Interactive zufolge lehnen 54 Prozent der Französinnen und Franzosen das Gesetz ab; lediglich die Senioren, die bereits im Ruhestand sind, befürworten es.

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Die Gewerkschaften haben geeint ihren Widerstand angekündigt, ebenso die Parteien des linken Spektrums sowie der rechtsextreme Rassemblement National. Schwerer tun sich die konservativen Republikaner, die seit Jahren für eine Reform der Alterssicherungs­systeme plädieren. Nun aber nennt der neue Parteichef Éric Ciotti Macrons Pläne „zu brutal“ und verweigert bislang die Zustimmung. Doch Macron ist auf Allianzen mit einer anderen Fraktion angewiesen, seit seine Partei Renaissance im Juni die absolute Mehrheit in der National­versammlung verlor. Dass er diese auflöst und Neuwahlen ausruft, wird nicht ausgeschlossen. Sonst bleibt noch die Möglichkeit, die Reform mithilfe des Sonderparagrafen 49.3 ohne Votum am Parlament vorbei durchzusetzen. Ihr hinge dann der Makel an, nicht demokratisch beschlossen worden zu sein.

Beobachter warnen vor einer „Gelbwestisierung“

Das wiederum droht die Menschen erst recht auf die Straße zu bringen. Schon jetzt kündigte die Linkspartei La France Insoumise („Das widerspenstige Frankreich“), kurz LFI, an, sich einem Protestaufruf mehrerer Studenten­vereinigungen am 21. Januar anzuschließen. „Im Januar wird es heiß“, kündigte LFI-Chef Jean-Luc Mélenchon an. Seit dem Jahreswechsel werden die Gaspreise weniger stark gedeckelt, ab Februar auch die Strompreise – dies könnte die Ängste der Menschen und ihre Unzufriedenheit noch anfachen, Beobachter warnen vor einer „Gelbwestisierung“ des Landes mit Bezug auf die Protest­bewegung im Herbst 2018.

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Biden verteidigt Subventionsgesetz gegen Kritik von Macron
 United States President Joe Biden L welcomes President Emmanuel Macron of France to a State Dinner, in their honor, on the North Portico of the White House, in Washington, DC on Thursday, December 1, 2022. PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxHUNxONLY WASP2022120164 CliffxOwen

Im Streit zwischen den USA und Frankreich hat US-Präsident Joe Biden seinem französischen Kollegen Macron eine harte Ansage gemacht, aber zugleich die Hand ausgestreckt.

Auch Frédéric Dabi, der Direktor des Meinungs­forschungs­institutes Ifop, spricht von „einer intensiven Konflikt­situation im Land, mit zwei großen sichtbaren Feuersäulen“, einerseits den Themen Inflation und Kaufkraft, andererseits der Rentenreform. „Um all das herum gibt es eine ganze Serie kleiner Flammen, die hier und dort auflodern.“ Dass sie sich zu einem Brand ausweiten, schließt Dabi nicht aus.

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