Olaf Scholz und die Jugend: „Rausreden kann ich mich im Matheunterricht, nicht als Kanzler“
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Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) kommt bei den Jugendpolitiktagen 2023 mit Jugendlichen und jungen Erwachsenen ins Gespräch.
© Quelle: Jugendpresse Deutschland/Joscha F. Westerkamp
Berlin. Nicht der Bundeskanzler bekommt an diesem Nachmittag den lautesten Beifall, sondern ein junger Mann, der gerade ans Mikrofon getreten ist: „Wo ist der Klimakanzler? Wo bleibt der Klimaschutz?“ Der zweite Teil der Frage geht in tosendem Applaus unter, der lange anhält.
Olaf Scholz gibt sich davon unbeeindruckt, beginnt aber nach einiger Zeit in das Klatschen hinein seine Antwort, um die Situation zu beenden. Er spricht von „Herausforderungen, vor denen die viertgrößte Volkswirtschaft der Welt steht“ und dem damit verbundenen „großen industriellen Umbau“, der bevorstehe. Sein Publikum überzeugt das nicht. Es gibt leisen Höflichkeitsapplaus und einen Buhruf.
Der Kanzler spricht auf den Jugendpolitiktagen, rund 1000 Menschen zwischen 16 und 27 Jahren haben sich dafür in Berlin versammelt. Sie diskutieren vier Tage lang mit der Bundesregierung Ideen für eine jugendgerechtere Politik. Daraus sollen Empfehlungen für den Nationalen Aktionsplan für Kinder- und Jugendbeteiligung entstehen. Olaf Scholz will zeigen, dass ihm das Thema wichtig ist. Doch der jugendpolitische Dialog, wie der Programmpunkt mit ihm heißt, gerät eher zum Verhör.
Dabei ist die Erwartung niedrig: „Es wird eh nur Standardfragen und -antworten geben“, vermutet Alexander, ein aus Hildesheim angereister Teilnehmer. „Wir haben im Moment eine ziemlich langweilige Regierung“, findet der 19-Jährige. Als Scholz zu Beginn Entweder-oder-Fragen beantworten soll, gibt es von Alexander aber doch einige Lacher und Beifall für den Kanzler.
„Ich kenne das Format, aber ich versuche dem immer auszuweichen“, gesteht Scholz selbstironisch – und entscheidet sich dann doch klar für Kino statt Netflix, Hamburg statt Berlin und Döner mit Fleisch statt mit Falafel. Während Scholz mit vielen Zahlen erklärt, bis wann wie viele Windräder pro Tag gebaut werden müssen und bis wann wie viele Elektroautos auf dem Markt sein sollen, taucht Alexander hingegen wieder bei Instagram auf seinem Smartphone ab.
Scholz nimmt Wind aus den Segeln
Unpolitisch sind die Jugendlichen und jungen Erwachsenen aber keineswegs. Schon bevor Scholz angekommen ist, sammeln sie sich an den Mikrofonen im Saal um als erster eine Frage stellen zu dürfen. Ihre Beiträge zeugen dann meist von großem Detailwissen über die Politikfelder hinweg. Die Jugendlichen stellen teilweise Fragen aus persönlicher Betroffenheit, wie zur Förderung der Gebärdensprache, teilweise weltpolitische, wie zum Umgang mit Belarus. Eines sind sie aber nicht: spezifisch jugendliche Fragen. Den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Veranstaltung geht es nicht um den Skatepark oder das Jugendzentrum, sie wollen mitreden über das große Ganze.
Scholz lobt dieses Drängen, nimmt den Jugendlichen aber auch Wind aus den Segeln: „Man muss bei jeder Maßnahme schauen, ob man die Bürger davon überzeugen kann. Würde das einer Volksabstimmung standhalten?“ Der Kanzler erntet vorsichtige Zustimmung für diese Aussage, noch größer ist sie aber, als die Moderierenden der Veranstaltung aus der Vodafone-Jugendstudie 2022 zitieren: Drei Viertel der Jugendlichen erleben die deutsche Demokratie demnach als zu schwerfällig, um aktuelle und zukünftige Herausforderungen zu lösen.
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Manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Jugendpolitiktage sind in Jugendorganisationen von Parteien aktiv. Andere sehen sich eher als Aktivistinnen und Aktivisten. Auf Alexander trifft keines von beidem zu: „Ich will mich nicht jetzt schon festlegen. Viele sind tief drin in einer bestimmten Perspektive und kommen dann nicht mehr raus.“ Der 19-Jährige will sich erst weiter umschauen, mit anderen ins Gespräch kommen, wie bei dieser Veranstaltung. „Ich weiß, dass ich im Moment noch zu wenig weiß, um politisch aktiv zu sein.“
„Jugend, Zukunft, wird gut!“
Die Jugendlichen bestärken sich an diesem Tag, weiter zu lernen und sich zu engagieren. Sie loben sich zum Beispiel dafür, trotz Nervosität ans Mikrofon zu treten. „Wir können die Welt verändern“, sagt eine Teilnehmerin. Das „können“, so hört es sich an, bezieht sich aber mehr auf den Glauben an die eigenen Fähigkeiten, weniger an den Glauben, bei Olaf Scholz tatsächlich etwas zu bewegen.
Zum Abschluss seines Auftritts müsse Scholz sich dann wirklich mal kurzhalten, bitten die Moderierenden. In Tweet-Länge soll er formulieren, was er von der Veranstaltung mitgenommen hat. Nach kurzem Zögern antwortet der Kanzler dann selbst für Twitter-Verhältnisse knapp: „Jugend, Zukunft, wird gut!“
Als Scholz schon weg ist, bekommen auch die Jugendlichen die Möglichkeit, ein Fazit zu ziehen. Eine Teilnehmerin tritt wütend ans Mikrofon: „Rausreden kann ich mich, wenn ich im Matheunterricht eine Frage gestellt bekomme. Aber nicht als Bundeskanzler.“