Kommentar zur Zeitenwende

Die Aufbruchstimmung ist verflogen

Der Bundeskanzler Olaf Scholz.

Der Bundeskanzler Olaf Scholz.

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Deutschland hat die Folgen des brutalen russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine im ersten Jahr besser überstanden, als viele befürchtet haben. Insofern sei dem Kanzler das Selbstlob in seiner Regierungserklärung zur Zeitenwende gestattet, die er kurz nach Kriegsbeginn ausgerufen hat.

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Es stimmt, die Wohnungen sind warm geblieben, die Bundesregierung hat Ersatz für russisches Gas geschaffen und milliardenschwere Pakete zur Entlastung der Bürgerinnen und Bürger bei den Energiekosten geschnürt. Auch deshalb hat es innenpolitisch keinen „Wutwinter“ gegeben. Den Tabubruch mit deutschen Waffenlieferungen in Konfliktgebiete trägt die Gesellschaft trotz Ängsten vor einer Eskalation dieses Krieges mehrheitlich mit. Und außenpolitisch sind die Verbündeten gegen den russischen Präsidenten Wladimir Putin überraschend eng zusammengerückt. Auch durch Scholz, für den die Abstimmung mit EU, Nato, G7 und vor allem US-Präsident Joe Biden oberstes Gebot ist.

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Aber von der Aufbruchstimmung, die der Kanzler mit seiner beeindruckenden Rede am 27. Februar 2022 erzeugt hatte, ist nicht mehr viel übrig. 100 Milliarden Euro – schuldenfinanziertes – Sondervermögen für die Bundeswehr nahm vielen Abgeordneten damals den Atem, auch Unionsmitglieder applaudierten im Stehen. Scholz hatte die Gewissheit versprüht, dass in die deutsche Verteidigungsfähigkeit, in die heruntergewirtschaftete Truppe investiert werde – koste es, was es wolle. Doch auch ein Jahr danach ist nicht einmal ein Bruchteil davon umgesetzt.

Von dieser Zeitenwende haben sich viele Menschen erhofft, dass sich insgesamt etwas ändern würde. Dass der Krieg vor der Haustür den Blick im eigenen Land schärft für das, was wichtig ist im Leben: Sicherheit, Gesundheit, Bildung. Bei aller Hilfe für die Ukraine, bei aller Fokussierung auf die Bundeswehr – die Bundesregierung muss sich auch um den Klimawandel, bezahlbare Mieten, gute Schulen, gesunde Ernährung, die Sanierung der Krankenhäuser, die Verbesserung der Pflege und die Integration von Migranten kümmern.

24.02.2023, USA, New York: Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen), Außenministerin, geht vor ihrer Rede im UN-Sicherheitsrat vom Deutschen Haus, der Ständigen Vertretung Deutschlands bei den Vereinten Nationen (UN), zum UN-Hauptquartier. Rund um den Jahrestag des Beginns des russischen Überfalls auf die Ukraine treffen sich die UN-Vollversammlung und der UN-Sicherheitsrat zu Sondersitzungen im UN-Hauptquartier. Die russische Armee hatte die Ukraine am 24. Februar 2022 überfallen. Foto: Bernd von Jutrczenka/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

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Fachwissen, Forschheit, Emotionen sind die Zutaten für die Politik von Außenministerin Annalena Baerbock.

Um die Schulden für die nachfolgenden Generationen nicht in unbezahlbare Höhen zu treiben, muss sie die Einnahmenseite verbessern, unnötige Subventionen streichen – unter Umständen auch einen Feiertag (wie Dänemark) – und viele Bürgergeldempfängerinnen und ‑empfänger in Arbeit bekommen. Als Notnagel bliebe auch eine gerechte Steuererhöhung.

Fortschritt muss sich zeigen

Koalitionsverträge bilden nie die Krisen ab, die später dazukommen und die schönen Pläne flugs zunichtemachen. Ohne Putins Überfall auf die Ukraine wäre die Finanzierung von Klimaschutz bis Digitalisierung natürlich leichter. Aber die Ampelregierung hat ihren Koalitionsvertrag immerhin mit „Mehr Fortschritt wagen“ überschrieben. Und wer sich selbstbewusst „Koalition des Fortschritts“ nennt, wird auch in Krisenzeiten daran gemessen.

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FDP und Grüne überziehen sich aber gegenseitig mit Attacken. Der Grünen-Wirtschaftsminister und der FDP-Finanzminister schreiben sich im Ringen um den Haushalt 2024 Briefe, die nicht zufällig öffentlich werden. Dann wollen die Grünen das Verbot von neuen Öl- und Gasheizungen vorziehen, die Liberalen revanchieren sich mit der Forderung nach einem späteren Aus für den Verbrennungsmotor. Auch die im Koalitionsvertrag vereinbarte Kindergrundsicherung gegen die Schande der Kinderarmut wird zum Zankapfel.

Olaf Scholz hat die Gesellschaft nach Putins Angriff auf die Ukraine mit einer riesigen finanziellen Kraftanstrengung der Regierung mühsam zusammengehalten, jetzt sollte er sich um den Zusammenhalt seiner Regierung kümmern. Zu einer Zeitenwende gehört, dass eine Koalition sich gemeinsam auf das Wichtigste konzentriert: auf den gesellschaftlichen Frieden im Inland.


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